der Spinozism, unerachtet der Ungereimtheit seiner Grundidee, doch weit bündiger, als es nach der Schö- pfungstheorie geschehen kann, wenn die für Substan- zen angenommene und an sich in der Zeit existirende Wesen Wirkungen einer obersten Ursache, und doch nicht zugleich zu ihm und seiner Handlung, sondern für sich als Substanzen angesehen werden.
Die Auflösung obgedachter Schwierigkeit geschicht, kurz und einleuchtend, auf folgende Art: Wenn die Existenz in der Zeit eine bloße sinnliche Vorstellungsart der denkenden Wesen in der Welt ist, folglich sie, als Dinge an sich selbst, nicht angeht: so ist die Schöpfung dieser Wesen eine Schöpfung der Dinge an sich selbst; weil der Begriff einer Schöpfung nicht zu der sinnlichen Vorstellungsart der Existenz und zur Causalität gehört, sondern nur auf Noumenen bezogen werden kann. Folg- lich, wenn ich von Wesen in der Sinnenwelt sage: sie sind erschaffen; so betrachte ich sie so fern als Noume- nen. So, wie es also ein Widerspruch wäre, zu sagen, Gott sey ein Schöpfer von Erscheinungen, so ist es auch ein Widerspruch, zu sagen, er sey, als Schöpfer, Ursache der Handlungen in der Sinnenwelt, mithin als Erscheinungen, wenn er gleich Ursache des Daseyns der handelnden Wesen (als Noumenen) ist. Ist es nun möglich, (wenn wir nur das Daseyn in der Zeit für et- was, was blos von Erscheinungen, nicht von Dingen an sich selbst gilt, annehmen,) die Freyheit, unbeschadet
dem
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der reinen practiſchen Vernunft.
der Spinozism, unerachtet der Ungereimtheit ſeiner Grundidee, doch weit buͤndiger, als es nach der Schoͤ- pfungstheorie geſchehen kann, wenn die fuͤr Subſtan- zen angenommene und an ſich in der Zeit exiſtirende Weſen Wirkungen einer oberſten Urſache, und doch nicht zugleich zu ihm und ſeiner Handlung, ſondern fuͤr ſich als Subſtanzen angeſehen werden.
Die Aufloͤſung obgedachter Schwierigkeit geſchicht, kurz und einleuchtend, auf folgende Art: Wenn die Exiſtenz in der Zeit eine bloße ſinnliche Vorſtellungsart der denkenden Weſen in der Welt iſt, folglich ſie, als Dinge an ſich ſelbſt, nicht angeht: ſo iſt die Schoͤpfung dieſer Weſen eine Schoͤpfung der Dinge an ſich ſelbſt; weil der Begriff einer Schoͤpfung nicht zu der ſinnlichen Vorſtellungsart der Exiſtenz und zur Cauſalitaͤt gehoͤrt, ſondern nur auf Noumenen bezogen werden kann. Folg- lich, wenn ich von Weſen in der Sinnenwelt ſage: ſie ſind erſchaffen; ſo betrachte ich ſie ſo fern als Noume- nen. So, wie es alſo ein Widerſpruch waͤre, zu ſagen, Gott ſey ein Schoͤpfer von Erſcheinungen, ſo iſt es auch ein Widerſpruch, zu ſagen, er ſey, als Schoͤpfer, Urſache der Handlungen in der Sinnenwelt, mithin als Erſcheinungen, wenn er gleich Urſache des Daſeyns der handelnden Weſen (als Noumenen) iſt. Iſt es nun moͤglich, (wenn wir nur das Daſeyn in der Zeit fuͤr et- was, was blos von Erſcheinungen, nicht von Dingen an ſich ſelbſt gilt, annehmen,) die Freyheit, unbeſchadet
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der reinen practiſchen Vernunft.
der Spinozism, unerachtet der Ungereimtheit ſeiner
Grundidee, doch weit buͤndiger, als es nach der Schoͤ-
pfungstheorie geſchehen kann, wenn die fuͤr Subſtan-
zen angenommene und an ſich in der Zeit exiſtirende
Weſen Wirkungen einer oberſten Urſache, und doch
nicht zugleich zu ihm und ſeiner Handlung, ſondern
fuͤr ſich als Subſtanzen angeſehen werden.
Die Aufloͤſung obgedachter Schwierigkeit geſchicht,
kurz und einleuchtend, auf folgende Art: Wenn die
Exiſtenz in der Zeit eine bloße ſinnliche Vorſtellungsart
der denkenden Weſen in der Welt iſt, folglich ſie, als
Dinge an ſich ſelbſt, nicht angeht: ſo iſt die Schoͤpfung
dieſer Weſen eine Schoͤpfung der Dinge an ſich ſelbſt;
weil der Begriff einer Schoͤpfung nicht zu der ſinnlichen
Vorſtellungsart der Exiſtenz und zur Cauſalitaͤt gehoͤrt,
ſondern nur auf Noumenen bezogen werden kann. Folg-
lich, wenn ich von Weſen in der Sinnenwelt ſage: ſie
ſind erſchaffen; ſo betrachte ich ſie ſo fern als Noume-
nen. So, wie es alſo ein Widerſpruch waͤre, zu ſagen,
Gott ſey ein Schoͤpfer von Erſcheinungen, ſo iſt es
auch ein Widerſpruch, zu ſagen, er ſey, als Schoͤpfer,
Urſache der Handlungen in der Sinnenwelt, mithin als
Erſcheinungen, wenn er gleich Urſache des Daſeyns der
handelnden Weſen (als Noumenen) iſt. Iſt es nun
moͤglich, (wenn wir nur das Daſeyn in der Zeit fuͤr et-
was, was blos von Erſcheinungen, nicht von Dingen an
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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/191>, abgerufen am 17.07.2024.
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