Die negative Wirkung auf Gefühl (der Unannehm- lichkeit) ist, so wie aller Einfluß auf dasselbe, und wie jedes Gefühl überhaupt, pathologisch. Als Wirkung aber vom Bewußtseyn des moralischen Gesetzes, folglich in Beziehung auf eine intelligibele Ursache, nemlich das Subject der reinen practischen Vernunft, als ober- sten Gesetzgeberin, heißt dieses Gefühl eines vernünfti- gen von Neigungen afficirten Subjects, zwar Demü- thigung (intellectuelle Verachtung), aber in Beziehung auf den positiven Grund derselben das Gesetz zugleich Achtung für dasselbe, für welches Gesetz gar kein Gefühl stattfindet, sondern im Urtheile der Vernunft, indem es den Widerstand aus dem Wege schafft, die Wegräu- mung eines Hindernisses einer positiven Beförderung der Causalität gleichgeschätzt wird. Darum kann die- ses Gefühl nun auch ein Gefühl der Achtung fürs mo- ralische Gesetz, aus beiden Gründen zusammen aber ein moralisches Gefühl genannt werden.
Das moralische Gesetz also, so wie es formaler Bestimmungsgrund der Handlung ist, durch practische reine Vernunft, so wie es zwar auch materialer, aber nur objectiver Bestimmungsgrund der Gegenstände der Handlung unter dem Namen des Guten und Bösen, ist, so ist es auch subjectiver Bestimmungsgrund, d. i. Trieb- feder, zu dieser Handlung, indem es auf die Sittlichkeit des Subjects Einfluß hat, und ein Gefühl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen beför-
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der reinen practiſchen Vernunft.
Die negative Wirkung auf Gefuͤhl (der Unannehm- lichkeit) iſt, ſo wie aller Einfluß auf daſſelbe, und wie jedes Gefuͤhl uͤberhaupt, pathologiſch. Als Wirkung aber vom Bewußtſeyn des moraliſchen Geſetzes, folglich in Beziehung auf eine intelligibele Urſache, nemlich das Subject der reinen practiſchen Vernunft, als ober- ſten Geſetzgeberin, heißt dieſes Gefuͤhl eines vernuͤnfti- gen von Neigungen afficirten Subjects, zwar Demuͤ- thigung (intellectuelle Verachtung), aber in Beziehung auf den poſitiven Grund derſelben das Geſetz zugleich Achtung fuͤr daſſelbe, fuͤr welches Geſetz gar kein Gefuͤhl ſtattfindet, ſondern im Urtheile der Vernunft, indem es den Widerſtand aus dem Wege ſchafft, die Wegraͤu- mung eines Hinderniſſes einer poſitiven Befoͤrderung der Cauſalitaͤt gleichgeſchaͤtzt wird. Darum kann die- ſes Gefuͤhl nun auch ein Gefuͤhl der Achtung fuͤrs mo- raliſche Geſetz, aus beiden Gruͤnden zuſammen aber ein moraliſches Gefuͤhl genannt werden.
Das moraliſche Geſetz alſo, ſo wie es formaler Beſtimmungsgrund der Handlung iſt, durch practiſche reine Vernunft, ſo wie es zwar auch materialer, aber nur objectiver Beſtimmungsgrund der Gegenſtaͤnde der Handlung unter dem Namen des Guten und Boͤſen, iſt, ſo iſt es auch ſubjectiver Beſtimmungsgrund, d. i. Trieb- feder, zu dieſer Handlung, indem es auf die Sittlichkeit des Subjects Einfluß hat, und ein Gefuͤhl bewirkt, welches dem Einfluſſe des Geſetzes auf den Willen befoͤr-
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der reinen practiſchen Vernunft.
Die negative Wirkung auf Gefuͤhl (der Unannehm-
lichkeit) iſt, ſo wie aller Einfluß auf daſſelbe, und wie
jedes Gefuͤhl uͤberhaupt, pathologiſch. Als Wirkung
aber vom Bewußtſeyn des moraliſchen Geſetzes, folglich
in Beziehung auf eine intelligibele Urſache, nemlich
das Subject der reinen practiſchen Vernunft, als ober-
ſten Geſetzgeberin, heißt dieſes Gefuͤhl eines vernuͤnfti-
gen von Neigungen afficirten Subjects, zwar Demuͤ-
thigung (intellectuelle Verachtung), aber in Beziehung
auf den poſitiven Grund derſelben das Geſetz zugleich
Achtung fuͤr daſſelbe, fuͤr welches Geſetz gar kein Gefuͤhl
ſtattfindet, ſondern im Urtheile der Vernunft, indem
es den Widerſtand aus dem Wege ſchafft, die Wegraͤu-
mung eines Hinderniſſes einer poſitiven Befoͤrderung
der Cauſalitaͤt gleichgeſchaͤtzt wird. Darum kann die-
ſes Gefuͤhl nun auch ein Gefuͤhl der Achtung fuͤrs mo-
raliſche Geſetz, aus beiden Gruͤnden zuſammen aber
ein moraliſches Gefuͤhl genannt werden.
Das moraliſche Geſetz alſo, ſo wie es formaler
Beſtimmungsgrund der Handlung iſt, durch practiſche
reine Vernunft, ſo wie es zwar auch materialer, aber
nur objectiver Beſtimmungsgrund der Gegenſtaͤnde der
Handlung unter dem Namen des Guten und Boͤſen, iſt,
ſo iſt es auch ſubjectiver Beſtimmungsgrund, d. i. Trieb-
feder, zu dieſer Handlung, indem es auf die Sittlichkeit
des Subjects Einfluß hat, und ein Gefuͤhl bewirkt,
welches dem Einfluſſe des Geſetzes auf den Willen befoͤr-
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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/141>, abgerufen am 16.02.2025.
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