Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.I. Th. II. B. II. Hauptst. Von der Dialectik weihen, als eines Reichs Gottes, in welchem Naturund Sitten in eine, jeder von beiden für sich selbst frem- de, Harmonie, durch einen heiligen Urheber kommen, der das abgeleitete höchste Gut möglich macht. Die Hei- ligkeit der Sitten wird ihnen in diesem Leben schon zur Richtschnur angewiesen, das dieser proportionirte Wohl aber, die Seligkeit, nur als in einer Ewigkeit erreich- bar vorgestellt; weil jene immer das Urbild ihres Ver- haltens in jedem Stande seyn muß, und das Fortschrei- ten zu ihr schon in diesem Leben möglich und nothwen- dig ist, diese aber in dieser Welt, unter dem Namen der Glückseligkeit, gar nicht erreicht werden kann, (so viel auf unser Vermögen ankommt) und daher lediglich zum Gegenstande der Hoffnung gemacht wird. Diesem ungeachtet ist das christliche Princip der Moral selbst doch nicht theologisch (mithin Heteronomie) sondern Avtonomie der reinen practischen Vernunft für sich selbst, weil sie die Erkenntniß Gottes und seines Willens nicht zum Grunde dieser Gesetze, sondern nur der Gelangung zum höchsten Gute, unter der Bedingung der Befol- gung derselben macht, und selbst die eigentliche Trieb- feder zu Befolgung der ersteren nicht in den gewünsch- ten Folgen derselben, sondern in der Vorstellung der Pflicht allein setzt, als in deren treuer Beobachtung die Würdigkeit des Erwerbs der letztern allein be- steht. Auf
I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik weihen, als eines Reichs Gottes, in welchem Naturund Sitten in eine, jeder von beiden fuͤr ſich ſelbſt frem- de, Harmonie, durch einen heiligen Urheber kommen, der das abgeleitete hoͤchſte Gut moͤglich macht. Die Hei- ligkeit der Sitten wird ihnen in dieſem Leben ſchon zur Richtſchnur angewieſen, das dieſer proportionirte Wohl aber, die Seligkeit, nur als in einer Ewigkeit erreich- bar vorgeſtellt; weil jene immer das Urbild ihres Ver- haltens in jedem Stande ſeyn muß, und das Fortſchrei- ten zu ihr ſchon in dieſem Leben moͤglich und nothwen- dig iſt, dieſe aber in dieſer Welt, unter dem Namen der Gluͤckſeligkeit, gar nicht erreicht werden kann, (ſo viel auf unſer Vermoͤgen ankommt) und daher lediglich zum Gegenſtande der Hoffnung gemacht wird. Dieſem ungeachtet iſt das chriſtliche Princip der Moral ſelbſt doch nicht theologiſch (mithin Heteronomie) ſondern Avtonomie der reinen practiſchen Vernunft fuͤr ſich ſelbſt, weil ſie die Erkenntniß Gottes und ſeines Willens nicht zum Grunde dieſer Geſetze, ſondern nur der Gelangung zum hoͤchſten Gute, unter der Bedingung der Befol- gung derſelben macht, und ſelbſt die eigentliche Trieb- feder zu Befolgung der erſteren nicht in den gewuͤnſch- ten Folgen derſelben, ſondern in der Vorſtellung der Pflicht allein ſetzt, als in deren treuer Beobachtung die Wuͤrdigkeit des Erwerbs der letztern allein be- ſteht. Auf
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I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik
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und Sitten in eine, jeder von beiden fuͤr ſich ſelbſt frem-
de, Harmonie, durch einen heiligen Urheber kommen, der
das abgeleitete hoͤchſte Gut moͤglich macht. Die Hei-
ligkeit der Sitten wird ihnen in dieſem Leben ſchon zur
Richtſchnur angewieſen, das dieſer proportionirte Wohl
aber, die Seligkeit, nur als in einer Ewigkeit erreich-
bar vorgeſtellt; weil jene immer das Urbild ihres Ver-
haltens in jedem Stande ſeyn muß, und das Fortſchrei-
ten zu ihr ſchon in dieſem Leben moͤglich und nothwen-
dig iſt, dieſe aber in dieſer Welt, unter dem Namen
der Gluͤckſeligkeit, gar nicht erreicht werden kann, (ſo
viel auf unſer Vermoͤgen ankommt) und daher lediglich
zum Gegenſtande der Hoffnung gemacht wird. Dieſem
ungeachtet iſt das chriſtliche Princip der Moral ſelbſt
doch nicht theologiſch (mithin Heteronomie) ſondern
Avtonomie der reinen practiſchen Vernunft fuͤr ſich ſelbſt,
weil ſie die Erkenntniß Gottes und ſeines Willens nicht
zum Grunde dieſer Geſetze, ſondern nur der Gelangung
zum hoͤchſten Gute, unter der Bedingung der Befol-
gung derſelben macht, und ſelbſt die eigentliche Trieb-
feder zu Befolgung der erſteren nicht in den gewuͤnſch-
ten Folgen derſelben, ſondern in der Vorſtellung der
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