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Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

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die wilden Nationen betragen sich dabey mit einer Art von Scham und Zurückhaltung. Kinder legen den Erwachsenen bisweilen hierüber vorwitzige Fragen vor, z. E. wo die Kinder herkämen? sie lassen sich aber leicht befriedigen, wenn man ihnen entweder unvernünftige Antworten, die Nichts bedeuten, giebt; oder sie mit der Antwort, daß dieses Kinderfrage sey; abweiset.

Die Entwickelung dieser Neigungen bey dem Jünglinge ist mechanisch, und es verhält sich dabey, wie bey allen Instinkten, daß sie sich entwickeln, auch ohne einen Gegenstand zu können. Es ist also unmöglich, den Jüngling hier in der Unwissenheit, und in der Unschuld, die mit ihr verbunden ist, zu bewahren. Durch Schweigen macht man das Uebel aber nur noch ärger. Dieses sieht man an der Erziehung unserer Vorfahren. Bey der Erziehung in neuern Zeiten nimmt man richtig an, daß man unverhohlen, deutlich und bestimmt mit dem Jünglinge davon reden müsse. Es ist dies freylich ein delikater Punkt, weil man ihn nicht gern als den Gegenstand eines öffentlichen Gespräches ansieht. Alles wird aber dadurch gut gemacht, daß man mit würdigem Ernste davon redet, und daß man in seine Neigungen entrirt *).

verecundia, u. s. w. Gerne schriebe ich diese ganze schöne Stelle hier ab, aber der Raum verbietet es mir, und sonach muß ich bitten, daß ein jeder sie de officiis Libr. I. c. 35. selbst nachlese.
A. d. H.
*) Siehe hierüber besonders: Salzmann über die heimlichen Sünden der Jugend.
A. d. H.

die wilden Nationen betragen sich dabey mit einer Art von Scham und Zurückhaltung. Kinder legen den Erwachsenen bisweilen hierüber vorwitzige Fragen vor, z. E. wo die Kinder herkämen? sie lassen sich aber leicht befriedigen, wenn man ihnen entweder unvernünftige Antworten, die Nichts bedeuten, giebt; oder sie mit der Antwort, daß dieses Kinderfrage sey; abweiset.

Die Entwickelung dieser Neigungen bey dem Jünglinge ist mechanisch, und es verhält sich dabey, wie bey allen Instinkten, daß sie sich entwickeln, auch ohne einen Gegenstand zu können. Es ist also unmöglich, den Jüngling hier in der Unwissenheit, und in der Unschuld, die mit ihr verbunden ist, zu bewahren. Durch Schweigen macht man das Uebel aber nur noch ärger. Dieses sieht man an der Erziehung unserer Vorfahren. Bey der Erziehung in neuern Zeiten nimmt man richtig an, daß man unverhohlen, deutlich und bestimmt mit dem Jünglinge davon reden müsse. Es ist dies freylich ein delikater Punkt, weil man ihn nicht gern als den Gegenstand eines öffentlichen Gespräches ansieht. Alles wird aber dadurch gut gemacht, daß man mit würdigem Ernste davon redet, und daß man in seine Neigungen entrirt *).

verecundia, u. s. w. Gerne schriebe ich diese ganze schöne Stelle hier ab, aber der Raum verbietet es mir, und sonach muß ich bitten, daß ein jeder sie de officiis Libr. I. c. 35. selbst nachlese.
A. d. H.
*) Siehe hierüber besonders: Salzmann über die heimlichen Sünden der Jugend.
A. d. H.
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            <p>Die Entwickelung dieser Neigungen bey dem Jünglinge ist mechanisch, und es verhält sich dabey, wie bey allen Instinkten, daß sie sich entwickeln, auch ohne einen Gegenstand zu können. Es ist also unmöglich, den Jüngling hier in der Unwissenheit, und in der Unschuld, die mit ihr verbunden ist, zu bewahren. Durch Schweigen macht man das Uebel aber nur noch ärger. Dieses sieht man an der Erziehung unserer Vorfahren. Bey der Erziehung in neuern Zeiten nimmt man richtig an, daß man unverhohlen, deutlich und bestimmt mit dem Jünglinge davon reden müsse. Es ist dies freylich ein delikater Punkt, weil man ihn nicht gern als den Gegenstand eines öffentlichen Gespräches ansieht. Alles wird aber dadurch gut gemacht, daß man mit würdigem Ernste davon redet, und daß man in seine Neigungen entrirt <note place="foot" n="*)">Siehe hierüber besonders: <hi rendition="#g">Salzmann über die heimlichen Sünden der Jugend</hi>.<lb/><hi rendition="#right">A. d. H.</hi></note>.</p>
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[97/0097] die wilden Nationen betragen sich dabey mit einer Art von Scham und Zurückhaltung. Kinder legen den Erwachsenen bisweilen hierüber vorwitzige Fragen vor, z. E. wo die Kinder herkämen? sie lassen sich aber leicht befriedigen, wenn man ihnen entweder unvernünftige Antworten, die Nichts bedeuten, giebt; oder sie mit der Antwort, daß dieses Kinderfrage sey; abweiset. Die Entwickelung dieser Neigungen bey dem Jünglinge ist mechanisch, und es verhält sich dabey, wie bey allen Instinkten, daß sie sich entwickeln, auch ohne einen Gegenstand zu können. Es ist also unmöglich, den Jüngling hier in der Unwissenheit, und in der Unschuld, die mit ihr verbunden ist, zu bewahren. Durch Schweigen macht man das Uebel aber nur noch ärger. Dieses sieht man an der Erziehung unserer Vorfahren. Bey der Erziehung in neuern Zeiten nimmt man richtig an, daß man unverhohlen, deutlich und bestimmt mit dem Jünglinge davon reden müsse. Es ist dies freylich ein delikater Punkt, weil man ihn nicht gern als den Gegenstand eines öffentlichen Gespräches ansieht. Alles wird aber dadurch gut gemacht, daß man mit würdigem Ernste davon redet, und daß man in seine Neigungen entrirt *). *) *) Siehe hierüber besonders: Salzmann über die heimlichen Sünden der Jugend. A. d. H. *) verecundia, u. s. w. Gerne schriebe ich diese ganze schöne Stelle hier ab, aber der Raum verbietet es mir, und sonach muß ich bitten, daß ein jeder sie de officiis Libr. I. c. 35. selbst nachlese. A. d. H.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/97>, abgerufen am 27.04.2024.