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Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

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Der Begriff von Gott, dürfte am besten zuerst analogisch mit dem des Vaters, unter dessen Pflege wir sind, deutlich gemacht werden, wobey sich dann sehr vortheilhaft auf die Einigkeit der Menschen, als in einer Familie, hinweisen läßt.

Was ist denn aber Religion? Religion ist das Gesetz in uns, in so ferne es durch einen Gesetzgeber und Richter über uns Nachdruck erhält; sie ist eine auf die Erkenntniß Gottes angewandte Moral. Verbindet man Religion nicht mit Moralität, so wird Religion blos zur Gunstbewerbung. Lobpreisungen, Gebethe, Kirchengehen, sollen nur dem Menschen neue Stärke, neuen Muth zur Besserung geben, oder der Ausdruck eines von der Pflichtvorstellung beseelten Herzens seyn. Sie sind nur Vorbereitungen zu guten Werken, nicht aber selbst gute Werke, und man kann dem höchsten Wesen nicht anders gefällig werden, als dadurch, daß man ein besserer Mensch werde.

Zuerst muß man bey dem Kinde von dem Gesetze, das es in sich hat, anfangen. Der Mensch ist sich selbst verachtenswürdig, wenn er lasterhaft ist. Dieses ist in ihm selbst gegründet, und er ist es nicht deswegen erst, weil Gott das Böse verboten hat. Denn es ist nicht nöthig, daß der Gesetzgeber zugleich auch der Urheber des Gesetzes sey. So kann ein Fürst in seinem Lande das Stehlen verbieten, ohne deswegen der Urheber des Verbotes des Diebstahles genannt werden zu können. Hieraus lernt der Mensch einsehen, daß sein Wohlverhalten allein ihn der Glückseligkeit würdig mache. Das göttliche Gesetz muß zugleich als Naturgesetz erscheinen, denn es ist nicht willkührlich. Daher gehört Religion zu aller Moralität.

Der Begriff von Gott, dürfte am besten zuerst analogisch mit dem des Vaters, unter dessen Pflege wir sind, deutlich gemacht werden, wobey sich dann sehr vortheilhaft auf die Einigkeit der Menschen, als in einer Familie, hinweisen läßt.

Was ist denn aber Religion? Religion ist das Gesetz in uns, in so ferne es durch einen Gesetzgeber und Richter über uns Nachdruck erhält; sie ist eine auf die Erkenntniß Gottes angewandte Moral. Verbindet man Religion nicht mit Moralität, so wird Religion blos zur Gunstbewerbung. Lobpreisungen, Gebethe, Kirchengehen, sollen nur dem Menschen neue Stärke, neuen Muth zur Besserung geben, oder der Ausdruck eines von der Pflichtvorstellung beseelten Herzens seyn. Sie sind nur Vorbereitungen zu guten Werken, nicht aber selbst gute Werke, und man kann dem höchsten Wesen nicht anders gefällig werden, als dadurch, daß man ein besserer Mensch werde.

Zuerst muß man bey dem Kinde von dem Gesetze, das es in sich hat, anfangen. Der Mensch ist sich selbst verachtenswürdig, wenn er lasterhaft ist. Dieses ist in ihm selbst gegründet, und er ist es nicht deswegen erst, weil Gott das Böse verboten hat. Denn es ist nicht nöthig, daß der Gesetzgeber zugleich auch der Urheber des Gesetzes sey. So kann ein Fürst in seinem Lande das Stehlen verbieten, ohne deswegen der Urheber des Verbotes des Diebstahles genannt werden zu können. Hieraus lernt der Mensch einsehen, daß sein Wohlverhalten allein ihn der Glückseligkeit würdig mache. Das göttliche Gesetz muß zugleich als Naturgesetz erscheinen, denn es ist nicht willkührlich. Daher gehört Religion zu aller Moralität.

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            <p>Was ist denn aber Religion? Religion ist das Gesetz in uns, in so ferne es durch einen Gesetzgeber und Richter über uns Nachdruck erhält; sie ist eine auf die Erkenntniß Gottes angewandte Moral. Verbindet man Religion nicht mit Moralität, so wird Religion blos zur Gunstbewerbung. Lobpreisungen, Gebethe, Kirchengehen, sollen nur dem Menschen neue Stärke, neuen Muth zur Besserung geben, oder der Ausdruck eines von der Pflichtvorstellung beseelten Herzens seyn. Sie sind nur Vorbereitungen zu guten Werken, nicht aber selbst gute Werke, und man kann dem höchsten Wesen nicht anders gefällig werden, als dadurch, daß man ein besserer Mensch werde.</p>
            <p>Zuerst muß man bey dem Kinde von dem Gesetze, das es in sich hat, anfangen. Der Mensch ist sich selbst verachtenswürdig, wenn er lasterhaft ist. Dieses ist in ihm selbst gegründet, und er ist es nicht deswegen erst, weil Gott das Böse verboten hat. Denn es ist nicht nöthig, daß der Gesetzgeber zugleich auch der Urheber des Gesetzes sey. So kann ein Fürst in seinem Lande das Stehlen verbieten, ohne deswegen der Urheber des Verbotes des Diebstahles genannt werden zu können. Hieraus lernt der Mensch einsehen, daß sein Wohlverhalten allein ihn der Glückseligkeit würdig mache. Das göttliche Gesetz muß zugleich als Naturgesetz erscheinen, denn es ist nicht willkührlich. Daher gehört Religion zu aller Moralität.</p>
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[93/0093] Der Begriff von Gott, dürfte am besten zuerst analogisch mit dem des Vaters, unter dessen Pflege wir sind, deutlich gemacht werden, wobey sich dann sehr vortheilhaft auf die Einigkeit der Menschen, als in einer Familie, hinweisen läßt. Was ist denn aber Religion? Religion ist das Gesetz in uns, in so ferne es durch einen Gesetzgeber und Richter über uns Nachdruck erhält; sie ist eine auf die Erkenntniß Gottes angewandte Moral. Verbindet man Religion nicht mit Moralität, so wird Religion blos zur Gunstbewerbung. Lobpreisungen, Gebethe, Kirchengehen, sollen nur dem Menschen neue Stärke, neuen Muth zur Besserung geben, oder der Ausdruck eines von der Pflichtvorstellung beseelten Herzens seyn. Sie sind nur Vorbereitungen zu guten Werken, nicht aber selbst gute Werke, und man kann dem höchsten Wesen nicht anders gefällig werden, als dadurch, daß man ein besserer Mensch werde. Zuerst muß man bey dem Kinde von dem Gesetze, das es in sich hat, anfangen. Der Mensch ist sich selbst verachtenswürdig, wenn er lasterhaft ist. Dieses ist in ihm selbst gegründet, und er ist es nicht deswegen erst, weil Gott das Böse verboten hat. Denn es ist nicht nöthig, daß der Gesetzgeber zugleich auch der Urheber des Gesetzes sey. So kann ein Fürst in seinem Lande das Stehlen verbieten, ohne deswegen der Urheber des Verbotes des Diebstahles genannt werden zu können. Hieraus lernt der Mensch einsehen, daß sein Wohlverhalten allein ihn der Glückseligkeit würdig mache. Das göttliche Gesetz muß zugleich als Naturgesetz erscheinen, denn es ist nicht willkührlich. Daher gehört Religion zu aller Moralität.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/93>, abgerufen am 27.04.2024.