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Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

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Schein. Das Dissimuliren ist nicht allemal Verstellung, und kann bisweilen erlaubt seyn, aber es gränzt doch nahe an Unlauterkeit. Die Verhehlung ist ein trostloses Mittel. Zur Weltklugheit gehört, daß man nicht gleich auffahre; man muß aber auch nicht gar zu lässig seyn. Man muß also nicht heftig, aber doch wacker seyn. Wacker ist noch unterschieden von heftig. Ein Wackerer (strenuus) ist der, der Lust zum Wollen hat. Dieses gehört zur Mäßigung des Affectes. Die Weltklugheit ist für das Temperament.

Sittlichkeit ist für den Charakter. Sustine et abstine, ist die Vorbereithung zu einer weisen Mäßigkeit, Wenn man einen guten Charakter bilden will: so muß man erst die Leidenschaften wegräumen. Der Mensch muß sich in Betreff seiner Neigungen so gewöhnen, daß sie nicht zu Leidenschaften werden, sondern er muß lernen, etwas zu entbehren, wenn es ihm abgeschlagen wird. Sustine heißt, erdulde, und gewöhne dich zu ertragen!

Es wird Mut und Neigung erfordert, wenn man etwas entbehren lernen will. Man muß abschlägige Antworten, Widerstand, u. s. w. gewohnt werden.

Zum Temperamente gehört Sympathie. Eine sehnsuchtsvolle, schmachtende Theilnehmung muß bey Kindern verhütet werden. Theilnehmung ist würklich Empfindsamkeit; sie stimmt nur mit einem solchen Charakter überein, der empfindsam ist. Sie ist noch vom Mitleiden unterschieden, und ein Uebel, das darin besteht, eine Sache blos zu bejammern. Man sollte den Kindern ein Taschengeld geben, von dem sie Nothleidenden Gutes thun könnten, da würde man sehen, ob

Schein. Das Dissimuliren ist nicht allemal Verstellung, und kann bisweilen erlaubt seyn, aber es gränzt doch nahe an Unlauterkeit. Die Verhehlung ist ein trostloses Mittel. Zur Weltklugheit gehört, daß man nicht gleich auffahre; man muß aber auch nicht gar zu lässig seyn. Man muß also nicht heftig, aber doch wacker seyn. Wacker ist noch unterschieden von heftig. Ein Wackerer (strenuus) ist der, der Lust zum Wollen hat. Dieses gehört zur Mäßigung des Affectes. Die Weltklugheit ist für das Temperament.

Sittlichkeit ist für den Charakter. Sustine et abstine, ist die Vorbereithung zu einer weisen Mäßigkeit, Wenn man einen guten Charakter bilden will: so muß man erst die Leidenschaften wegräumen. Der Mensch muß sich in Betreff seiner Neigungen so gewöhnen, daß sie nicht zu Leidenschaften werden, sondern er muß lernen, etwas zu entbehren, wenn es ihm abgeschlagen wird. Sustine heißt, erdulde, und gewöhne dich zu ertragen!

Es wird Mut und Neigung erfordert, wenn man etwas entbehren lernen will. Man muß abschlägige Antworten, Widerstand, u. s. w. gewohnt werden.

Zum Temperamente gehört Sympathie. Eine sehnsuchtsvolle, schmachtende Theilnehmung muß bey Kindern verhütet werden. Theilnehmung ist würklich Empfindsamkeit; sie stimmt nur mit einem solchen Charakter überein, der empfindsam ist. Sie ist noch vom Mitleiden unterschieden, und ein Uebel, das darin besteht, eine Sache blos zu bejammern. Man sollte den Kindern ein Taschengeld geben, von dem sie Nothleidenden Gutes thun könnten, da würde man sehen, ob

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[81/0081] Schein. Das Dissimuliren ist nicht allemal Verstellung, und kann bisweilen erlaubt seyn, aber es gränzt doch nahe an Unlauterkeit. Die Verhehlung ist ein trostloses Mittel. Zur Weltklugheit gehört, daß man nicht gleich auffahre; man muß aber auch nicht gar zu lässig seyn. Man muß also nicht heftig, aber doch wacker seyn. Wacker ist noch unterschieden von heftig. Ein Wackerer (strenuus) ist der, der Lust zum Wollen hat. Dieses gehört zur Mäßigung des Affectes. Die Weltklugheit ist für das Temperament. Sittlichkeit ist für den Charakter. Sustine et abstine, ist die Vorbereithung zu einer weisen Mäßigkeit, Wenn man einen guten Charakter bilden will: so muß man erst die Leidenschaften wegräumen. Der Mensch muß sich in Betreff seiner Neigungen so gewöhnen, daß sie nicht zu Leidenschaften werden, sondern er muß lernen, etwas zu entbehren, wenn es ihm abgeschlagen wird. Sustine heißt, erdulde, und gewöhne dich zu ertragen! Es wird Mut und Neigung erfordert, wenn man etwas entbehren lernen will. Man muß abschlägige Antworten, Widerstand, u. s. w. gewohnt werden. Zum Temperamente gehört Sympathie. Eine sehnsuchtsvolle, schmachtende Theilnehmung muß bey Kindern verhütet werden. Theilnehmung ist würklich Empfindsamkeit; sie stimmt nur mit einem solchen Charakter überein, der empfindsam ist. Sie ist noch vom Mitleiden unterschieden, und ein Uebel, das darin besteht, eine Sache blos zu bejammern. Man sollte den Kindern ein Taschengeld geben, von dem sie Nothleidenden Gutes thun könnten, da würde man sehen, ob

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/81>, abgerufen am 27.04.2024.