Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.muß. Eine starre Anheftung unserer Gedanken an ein Objekt ist nicht sowohl ein Talent, als vielmehr eine Schwäche unsers innern Sinnes, da er in diesem Falle unbiegsam ist, und sich nicht nach Gefallen anwenden läßt. Zerstreuung ist der Feind aller Erziehung. Das Gedächtniß aber beruht auf der Aufmerksamkeit. Was aber die obern Verstandeskräfte betrifft, so kommt hier vor, die Kultur des Verstandes, der Urtheilskraft und der Vernunft. Den Verstand kann man im Anfange gewissermaßen auch passiv bilden, durch Anführung von Beyspielen für die Regel, oder umgekehrt, durch Auffindung der Regel für die einzelnen Fälle. Die Urtheilskraft zeigt, welcher Gebrauch von dem Verstande zu machen ist. Er ist erforderlich, um, was man lernt, oder spricht, zu verstehen, und um nichts, ohne es zu verstehen, nachzusagen. Wie mancher liest und hört etwas, ohne es, wenn er es auch glaubt, zu verstehen. Dazu gehören Bilder und Sachen. Durch die Vernunft sieht man die Gründe ein. Aber man muß bedenken, daß hier von einer Vernunft die Rede ist, die noch geleitet wird. Sie muß also nicht immer raisonniren wollen, aber es muß auch ihr, überdas, was die Begriffe übersteigt, nicht viel vorraisonnirt werden. Noch gilt es hier nicht die speculative Vernunft, sondern die Reflexion über das, was vorgeht, nach seinen Ursachen und Würkungen. Es ist eine in ihrer Wirthschaft und Einrichtung practische Vernunft. Die Gemüthskräfte werden am besten dadurch kultivirt, wenn man das Alles selbst thut, was man muß. Eine starre Anheftung unserer Gedanken an ein Objekt ist nicht sowohl ein Talent, als vielmehr eine Schwäche unsers innern Sinnes, da er in diesem Falle unbiegsam ist, und sich nicht nach Gefallen anwenden läßt. Zerstreuung ist der Feind aller Erziehung. Das Gedächtniß aber beruht auf der Aufmerksamkeit. Was aber die obern Verstandeskräfte betrifft, so kommt hier vor, die Kultur des Verstandes, der Urtheilskraft und der Vernunft. Den Verstand kann man im Anfange gewissermaßen auch passiv bilden, durch Anführung von Beyspielen für die Regel, oder umgekehrt, durch Auffindung der Regel für die einzelnen Fälle. Die Urtheilskraft zeigt, welcher Gebrauch von dem Verstande zu machen ist. Er ist erforderlich, um, was man lernt, oder spricht, zu verstehen, und um nichts, ohne es zu verstehen, nachzusagen. Wie mancher liest und hört etwas, ohne es, wenn er es auch glaubt, zu verstehen. Dazu gehören Bilder und Sachen. Durch die Vernunft sieht man die Gründe ein. Aber man muß bedenken, daß hier von einer Vernunft die Rede ist, die noch geleitet wird. Sie muß also nicht immer raisonniren wollen, aber es muß auch ihr, überdas, was die Begriffe übersteigt, nicht viel vorraisonnirt werden. Noch gilt es hier nicht die speculative Vernunft, sondern die Reflexion über das, was vorgeht, nach seinen Ursachen und Würkungen. Es ist eine in ihrer Wirthschaft und Einrichtung practische Vernunft. Die Gemüthskräfte werden am besten dadurch kultivirt, wenn man das Alles selbst thut, was man <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0064" n="64"/> muß. Eine starre Anheftung unserer Gedanken an ein Objekt ist nicht sowohl ein Talent, als vielmehr eine Schwäche unsers innern Sinnes, da er in diesem Falle unbiegsam ist, und sich nicht nach Gefallen anwenden läßt. Zerstreuung ist der Feind aller Erziehung. Das Gedächtniß aber beruht auf der Aufmerksamkeit.</p> <p>Was aber die <hi rendition="#g">obern Verstandeskräfte</hi> betrifft, so kommt hier vor, die Kultur des Verstandes, der Urtheilskraft und der Vernunft. Den Verstand kann man im Anfange gewissermaßen auch passiv bilden, durch Anführung von Beyspielen für die Regel, oder umgekehrt, durch Auffindung der Regel für die einzelnen Fälle. Die Urtheilskraft zeigt, welcher Gebrauch von dem Verstande zu machen ist. Er ist erforderlich, um, was man lernt, oder spricht, zu verstehen, und um nichts, ohne es zu verstehen, nachzusagen. Wie mancher liest und hört etwas, ohne es, wenn er es auch glaubt, zu verstehen. Dazu gehören Bilder und Sachen.</p> <p>Durch die Vernunft sieht man die Gründe ein. Aber man muß bedenken, daß hier von einer Vernunft die Rede ist, die noch geleitet wird. Sie muß also nicht immer raisonniren wollen, aber es muß auch ihr, überdas, was die Begriffe übersteigt, nicht viel vorraisonnirt werden. Noch gilt es hier nicht die speculative Vernunft, sondern die Reflexion über das, was vorgeht, nach seinen Ursachen und Würkungen. Es ist eine in ihrer Wirthschaft und Einrichtung practische Vernunft.</p> <p>Die Gemüthskräfte werden am besten dadurch kultivirt, wenn man das Alles selbst thut, was man </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0064]
muß. Eine starre Anheftung unserer Gedanken an ein Objekt ist nicht sowohl ein Talent, als vielmehr eine Schwäche unsers innern Sinnes, da er in diesem Falle unbiegsam ist, und sich nicht nach Gefallen anwenden läßt. Zerstreuung ist der Feind aller Erziehung. Das Gedächtniß aber beruht auf der Aufmerksamkeit.
Was aber die obern Verstandeskräfte betrifft, so kommt hier vor, die Kultur des Verstandes, der Urtheilskraft und der Vernunft. Den Verstand kann man im Anfange gewissermaßen auch passiv bilden, durch Anführung von Beyspielen für die Regel, oder umgekehrt, durch Auffindung der Regel für die einzelnen Fälle. Die Urtheilskraft zeigt, welcher Gebrauch von dem Verstande zu machen ist. Er ist erforderlich, um, was man lernt, oder spricht, zu verstehen, und um nichts, ohne es zu verstehen, nachzusagen. Wie mancher liest und hört etwas, ohne es, wenn er es auch glaubt, zu verstehen. Dazu gehören Bilder und Sachen.
Durch die Vernunft sieht man die Gründe ein. Aber man muß bedenken, daß hier von einer Vernunft die Rede ist, die noch geleitet wird. Sie muß also nicht immer raisonniren wollen, aber es muß auch ihr, überdas, was die Begriffe übersteigt, nicht viel vorraisonnirt werden. Noch gilt es hier nicht die speculative Vernunft, sondern die Reflexion über das, was vorgeht, nach seinen Ursachen und Würkungen. Es ist eine in ihrer Wirthschaft und Einrichtung practische Vernunft.
Die Gemüthskräfte werden am besten dadurch kultivirt, wenn man das Alles selbst thut, was man
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