Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.zu allen Zeiten sollen essen können, so kann man hier wohl nicht die Thiere zum Beyspiele anführen. Denn weil z. E. alle Gras fressende Thiere wenig Nahrhaftes zu sich nehmen, so ist das Fressen bey ihnen ein ordentliches Geschäft. Es ist aber dem Menschen sehr zuträglich, wenn er immer zu einer bestimmten Zeit ißt. So wollen manche Eltern, daß ihre Kinder große Kälte, Gestank, alles und jedes Geräusch und dergl. sollen ertragen können. Dies ist aber gar nicht nöthig, wenn sie sich nur nichts angewöhnen. Und dazu ist es sehr dienlich, daß man die Kinder in verschiedene Zustände versetze. Ein hartes Lager ist viel gesünder, als ein weiches. Ueberhaupt dient eine harte Erziehung sehr zur Stärkung des Körpers. Durch harte Erziehung verstehen wir aber blos Verhinderung der Gemächlichkeit. An merkwürdigen Beyspielen zur Bestätigung dieser Behauptung mangelt es nicht, nur daß man sie nicht beachtet, oder, richtiger gesagt, nicht beachten will. Was die Gemüthsbildung betrifft, die man würklich auch in gewisser Weise physisch nennen kann, so ist hauptsächlich zu merken, das die Disciplin nicht sclavisch sey, sondern das Kind muß immer seine Freyheit fühlen, doch so, daß es nicht die Freyheit Anderer hindere; es muß daher Widerstand finden. Manche Eltern schlagen ihren Kindern Alles ab, um dadurch die Geduld der Kinder zu exerzieren, und fordern demnach mehr Geduld von den Kindern, als sie deren selbst haben. Dies ist aber grausam. Man gebe dem Kinde, soviel ihm dient, und nachher sage man ihm: du hast genug! Aber, daß dies dann unwiderruflich sey, ist schlechterdings nöthig. Man merke zu allen Zeiten sollen essen können, so kann man hier wohl nicht die Thiere zum Beyspiele anführen. Denn weil z. E. alle Gras fressende Thiere wenig Nahrhaftes zu sich nehmen, so ist das Fressen bey ihnen ein ordentliches Geschäft. Es ist aber dem Menschen sehr zuträglich, wenn er immer zu einer bestimmten Zeit ißt. So wollen manche Eltern, daß ihre Kinder große Kälte, Gestank, alles und jedes Geräusch und dergl. sollen ertragen können. Dies ist aber gar nicht nöthig, wenn sie sich nur nichts angewöhnen. Und dazu ist es sehr dienlich, daß man die Kinder in verschiedene Zustände versetze. Ein hartes Lager ist viel gesünder, als ein weiches. Ueberhaupt dient eine harte Erziehung sehr zur Stärkung des Körpers. Durch harte Erziehung verstehen wir aber blos Verhinderung der Gemächlichkeit. An merkwürdigen Beyspielen zur Bestätigung dieser Behauptung mangelt es nicht, nur daß man sie nicht beachtet, oder, richtiger gesagt, nicht beachten will. Was die Gemüthsbildung betrifft, die man würklich auch in gewisser Weise physisch nennen kann, so ist hauptsächlich zu merken, das die Disciplin nicht sclavisch sey, sondern das Kind muß immer seine Freyheit fühlen, doch so, daß es nicht die Freyheit Anderer hindere; es muß daher Widerstand finden. Manche Eltern schlagen ihren Kindern Alles ab, um dadurch die Geduld der Kinder zu exerzieren, und fordern demnach mehr Geduld von den Kindern, als sie deren selbst haben. Dies ist aber grausam. Man gebe dem Kinde, soviel ihm dient, und nachher sage man ihm: du hast genug! Aber, daß dies dann unwiderruflich sey, ist schlechterdings nöthig. Man merke <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0044" n="44"/> zu allen Zeiten sollen essen können, so kann man hier wohl nicht die Thiere zum Beyspiele anführen. Denn weil z. E. alle Gras fressende Thiere wenig Nahrhaftes zu sich nehmen, so ist das Fressen bey ihnen ein ordentliches Geschäft. Es ist aber dem Menschen sehr zuträglich, wenn er immer zu einer bestimmten Zeit ißt. So wollen manche Eltern, daß ihre Kinder große Kälte, Gestank, alles und jedes Geräusch und dergl. sollen ertragen können. Dies ist aber gar nicht nöthig, wenn sie sich nur nichts angewöhnen. Und dazu ist es sehr dienlich, daß man die Kinder in verschiedene Zustände versetze.</p> <p>Ein hartes Lager ist viel gesünder, als ein weiches. Ueberhaupt dient eine harte Erziehung sehr zur Stärkung des Körpers. Durch harte Erziehung verstehen wir aber blos Verhinderung der Gemächlichkeit. An merkwürdigen Beyspielen zur Bestätigung dieser Behauptung mangelt es nicht, nur daß man sie nicht beachtet, oder, richtiger gesagt, nicht beachten will.</p> <p>Was die Gemüthsbildung betrifft, die man würklich auch in gewisser Weise physisch nennen kann, so ist hauptsächlich zu merken, das die Disciplin nicht sclavisch sey, sondern das Kind muß immer seine Freyheit fühlen, doch so, daß es nicht die Freyheit Anderer hindere; es muß daher Widerstand finden. Manche Eltern schlagen ihren Kindern Alles ab, um dadurch die Geduld der Kinder zu exerzieren, und fordern demnach mehr Geduld von den Kindern, als sie deren selbst haben. Dies ist aber grausam. Man gebe dem Kinde, soviel ihm dient, und nachher sage man ihm: du hast genug! Aber, daß dies dann unwiderruflich sey, ist schlechterdings nöthig. Man merke </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0044]
zu allen Zeiten sollen essen können, so kann man hier wohl nicht die Thiere zum Beyspiele anführen. Denn weil z. E. alle Gras fressende Thiere wenig Nahrhaftes zu sich nehmen, so ist das Fressen bey ihnen ein ordentliches Geschäft. Es ist aber dem Menschen sehr zuträglich, wenn er immer zu einer bestimmten Zeit ißt. So wollen manche Eltern, daß ihre Kinder große Kälte, Gestank, alles und jedes Geräusch und dergl. sollen ertragen können. Dies ist aber gar nicht nöthig, wenn sie sich nur nichts angewöhnen. Und dazu ist es sehr dienlich, daß man die Kinder in verschiedene Zustände versetze.
Ein hartes Lager ist viel gesünder, als ein weiches. Ueberhaupt dient eine harte Erziehung sehr zur Stärkung des Körpers. Durch harte Erziehung verstehen wir aber blos Verhinderung der Gemächlichkeit. An merkwürdigen Beyspielen zur Bestätigung dieser Behauptung mangelt es nicht, nur daß man sie nicht beachtet, oder, richtiger gesagt, nicht beachten will.
Was die Gemüthsbildung betrifft, die man würklich auch in gewisser Weise physisch nennen kann, so ist hauptsächlich zu merken, das die Disciplin nicht sclavisch sey, sondern das Kind muß immer seine Freyheit fühlen, doch so, daß es nicht die Freyheit Anderer hindere; es muß daher Widerstand finden. Manche Eltern schlagen ihren Kindern Alles ab, um dadurch die Geduld der Kinder zu exerzieren, und fordern demnach mehr Geduld von den Kindern, als sie deren selbst haben. Dies ist aber grausam. Man gebe dem Kinde, soviel ihm dient, und nachher sage man ihm: du hast genug! Aber, daß dies dann unwiderruflich sey, ist schlechterdings nöthig. Man merke
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Zitationshilfe: | Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/44>, abgerufen am 22.07.2024. |