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Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

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seine Aufsicht bekommt, daß er auch für die physische Erziehung derselben Sorge tragen kann: so ist es doch nützlich zu wissen, was Alles bey der Erziehung von ihrem Anfange an, bis zu ihrem Ende zu beobachten, nöthig ist. Wenn man es auch als Hofmeister, nur mit größern Kindern zu thun hat, so geschieht es doch wohl, daß in dem Hause neue Kinder gebohren werden, und, wenn man sich gut führt, so hat man immer Ansprüche darauf, der Vertraute der Eltern zu seyn, und auch bey der physischen Erziehung von ihnen zu Rathe gezogen zu werden, da man ohnedem oft nur der einzige Gelehrte im Hause ist. Daher sind einem Hofmeister auch Kenntnisse hievon nöthig.

Die physische Erziehung ist eigentlich nur Verpflegung, entweder durch Eltern, oder Ammen, oder Wärterinnen. Die Nahrung, die die Natur dem Kinde bestimmt hat, ist die Muttermilch. Daß das Kind mit ihr Gesinnungen einsauge, wie man oft sagen hört: du hast das schon mit der Muttermilch eingesogen! ist ein bloßes Vorurtheil *). Es ist der Mutter und dem Kinde am zuträglichsten, wenn die Mutter selbst säuget. Doch finden auch hier im äußersten Falle, wegen kränklicher Umstände, Ausnahmen Statt. Man glaubte vor Zeiten, daß die erste Milch, die sich nach der Geburt bey der Mutter findet und molkicht ist, dem Kinde schädlich sey, und daß die Mutter sie erst fortschaffen

*) Specielle Laster dürften sich vielleicht eben so wenig, als specielle Krankheiten auf Kinder vererben, obwohl auch darüber die Meynungen noch sehr getheilet sind; aber eine größere Empfänglichkeit für jene, wie für diese, auf dem Wege der Fortpflanzung und ersten Nahrung, scheint denn doch nichts der Vernunft Widersprechendes zu enthalten.
A. d. H.

seine Aufsicht bekommt, daß er auch für die physische Erziehung derselben Sorge tragen kann: so ist es doch nützlich zu wissen, was Alles bey der Erziehung von ihrem Anfange an, bis zu ihrem Ende zu beobachten, nöthig ist. Wenn man es auch als Hofmeister, nur mit größern Kindern zu thun hat, so geschieht es doch wohl, daß in dem Hause neue Kinder gebohren werden, und, wenn man sich gut führt, so hat man immer Ansprüche darauf, der Vertraute der Eltern zu seyn, und auch bey der physischen Erziehung von ihnen zu Rathe gezogen zu werden, da man ohnedem oft nur der einzige Gelehrte im Hause ist. Daher sind einem Hofmeister auch Kenntnisse hievon nöthig.

Die physische Erziehung ist eigentlich nur Verpflegung, entweder durch Eltern, oder Ammen, oder Wärterinnen. Die Nahrung, die die Natur dem Kinde bestimmt hat, ist die Muttermilch. Daß das Kind mit ihr Gesinnungen einsauge, wie man oft sagen hört: du hast das schon mit der Muttermilch eingesogen! ist ein bloßes Vorurtheil *). Es ist der Mutter und dem Kinde am zuträglichsten, wenn die Mutter selbst säuget. Doch finden auch hier im äußersten Falle, wegen kränklicher Umstände, Ausnahmen Statt. Man glaubte vor Zeiten, daß die erste Milch, die sich nach der Geburt bey der Mutter findet und molkicht ist, dem Kinde schädlich sey, und daß die Mutter sie erst fortschaffen

*) Specielle Laster dürften sich vielleicht eben so wenig, als specielle Krankheiten auf Kinder vererben, obwohl auch darüber die Meynungen noch sehr getheilet sind; aber eine größere Empfänglichkeit für jene, wie für diese, auf dem Wege der Fortpflanzung und ersten Nahrung, scheint denn doch nichts der Vernunft Widersprechendes zu enthalten.
A. d. H.
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seine Aufsicht bekommt, daß er auch für die physische Erziehung derselben Sorge tragen kann: so ist es doch nützlich zu wissen, was Alles bey der Erziehung von ihrem Anfange an, bis zu ihrem Ende zu beobachten, nöthig ist. Wenn man es auch als Hofmeister, nur mit größern Kindern zu thun hat, so geschieht es doch wohl, daß in dem Hause neue Kinder gebohren werden, und, wenn man sich gut führt, so hat man immer Ansprüche darauf, der Vertraute der Eltern zu seyn, und auch bey der physischen Erziehung von ihnen zu Rathe gezogen zu werden, da man ohnedem oft nur der einzige Gelehrte im Hause ist. Daher sind einem Hofmeister auch Kenntnisse hievon nöthig.</p>
            <p>Die physische Erziehung ist eigentlich nur Verpflegung, entweder durch Eltern, oder Ammen, oder Wärterinnen. Die Nahrung, die die Natur dem Kinde bestimmt hat, ist die Muttermilch. Daß das Kind mit ihr Gesinnungen einsauge, wie man oft sagen hört: du hast das schon mit der Muttermilch eingesogen! ist ein bloßes Vorurtheil <note place="foot" n="*)">Specielle Laster dürften sich vielleicht eben so wenig, als specielle Krankheiten auf Kinder vererben, obwohl auch darüber die Meynungen noch sehr getheilet sind; aber eine größere Empfänglichkeit für jene, wie für diese, auf dem Wege der Fortpflanzung und ersten Nahrung, scheint denn doch nichts der Vernunft Widersprechendes zu enthalten.<lb/><hi rendition="#right">A. d. H.</hi></note>. Es ist der Mutter und dem Kinde am zuträglichsten, wenn die Mutter selbst säuget. Doch finden auch hier im äußersten Falle, wegen kränklicher Umstände, Ausnahmen Statt. Man glaubte vor Zeiten, daß die erste Milch, die sich nach der Geburt bey der Mutter findet und molkicht ist, dem Kinde schädlich sey, und daß die Mutter sie erst fortschaffen
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[31/0031] seine Aufsicht bekommt, daß er auch für die physische Erziehung derselben Sorge tragen kann: so ist es doch nützlich zu wissen, was Alles bey der Erziehung von ihrem Anfange an, bis zu ihrem Ende zu beobachten, nöthig ist. Wenn man es auch als Hofmeister, nur mit größern Kindern zu thun hat, so geschieht es doch wohl, daß in dem Hause neue Kinder gebohren werden, und, wenn man sich gut führt, so hat man immer Ansprüche darauf, der Vertraute der Eltern zu seyn, und auch bey der physischen Erziehung von ihnen zu Rathe gezogen zu werden, da man ohnedem oft nur der einzige Gelehrte im Hause ist. Daher sind einem Hofmeister auch Kenntnisse hievon nöthig. Die physische Erziehung ist eigentlich nur Verpflegung, entweder durch Eltern, oder Ammen, oder Wärterinnen. Die Nahrung, die die Natur dem Kinde bestimmt hat, ist die Muttermilch. Daß das Kind mit ihr Gesinnungen einsauge, wie man oft sagen hört: du hast das schon mit der Muttermilch eingesogen! ist ein bloßes Vorurtheil *). Es ist der Mutter und dem Kinde am zuträglichsten, wenn die Mutter selbst säuget. Doch finden auch hier im äußersten Falle, wegen kränklicher Umstände, Ausnahmen Statt. Man glaubte vor Zeiten, daß die erste Milch, die sich nach der Geburt bey der Mutter findet und molkicht ist, dem Kinde schädlich sey, und daß die Mutter sie erst fortschaffen *) Specielle Laster dürften sich vielleicht eben so wenig, als specielle Krankheiten auf Kinder vererben, obwohl auch darüber die Meynungen noch sehr getheilet sind; aber eine größere Empfänglichkeit für jene, wie für diese, auf dem Wege der Fortpflanzung und ersten Nahrung, scheint denn doch nichts der Vernunft Widersprechendes zu enthalten. A. d. H.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/31>, abgerufen am 20.04.2024.