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Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

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nach Regeln der Gerechtigkeit regierten Republik! Ist sie deßwegen unmöglich? Erst muß unsere Idee nur richtig seyn, und dann ist sie bey allen Hindernissen, die ihrer Ausführung noch im Wege stehen, gar nicht unmöglich. Wenn z. E. ein jeder löge, wäre deßhalb das Wahrreden eine bloße Grille? Und die Idee einer Erziehung, die alle Naturanlagen im Menschen entwickelt, ist allerdings wahrhaft.

Bey der jetzigen Erziehung erreicht der Mensch nicht ganz den Zweck seines Daseyns. Denn wie verschieden leben die Menschen! Eine Gleichförmigkeit unter ihnen kann nur Statt finden, wenn sie nach einerley Grundsätzen handeln, und diese Grundsätze müßten ihnen zur andern Natur werden. Wir kennen an dem Plane einer zweckmäßigeren Erziehung arbeiten, und eine Anweisung zu ihr der Nachkommenschaft überliefern, die sie nach und nach realisiren kann. Man sieht z. B. an den Aurikeln, daß, wenn man sie aus der Wurzel zieht, man sie alle nur von einer und derselben Farbe bekommt; wenn man dagegen aber ihren Saamen aussäet: so bekommt man sie von ganz andern und den verschiedensten Farben. Die Natur hat also doch die Keime in sie gelegt, und es kömmt nur auf das gehörige Säen und Verpflanzen an, um diese in ihnen zu entwickeln. So auch bey dem Menschen!

Es liegen viele Keime in der Menschheit, und nun ist es unsere Sache, die Naturanlagen proportionirlich zu entwickeln, und die Menschheit aus ihren Keimen zu entfalten, und zu machen, daß der Mensch seine Bestimmung erreiche. Die Thiere erfüllen diese von selbst, und ohne daß sie sie kennen. Der Mensch muß erst suchen, sie zu erreichen, dieses kann aber

nach Regeln der Gerechtigkeit regierten Republik! Ist sie deßwegen unmöglich? Erst muß unsere Idee nur richtig seyn, und dann ist sie bey allen Hindernissen, die ihrer Ausführung noch im Wege stehen, gar nicht unmöglich. Wenn z. E. ein jeder löge, wäre deßhalb das Wahrreden eine bloße Grille? Und die Idee einer Erziehung, die alle Naturanlagen im Menschen entwickelt, ist allerdings wahrhaft.

Bey der jetzigen Erziehung erreicht der Mensch nicht ganz den Zweck seines Daseyns. Denn wie verschieden leben die Menschen! Eine Gleichförmigkeit unter ihnen kann nur Statt finden, wenn sie nach einerley Grundsätzen handeln, und diese Grundsätze müßten ihnen zur andern Natur werden. Wir kennen an dem Plane einer zweckmäßigeren Erziehung arbeiten, und eine Anweisung zu ihr der Nachkommenschaft überliefern, die sie nach und nach realisiren kann. Man sieht z. B. an den Aurikeln, daß, wenn man sie aus der Wurzel zieht, man sie alle nur von einer und derselben Farbe bekommt; wenn man dagegen aber ihren Saamen aussäet: so bekommt man sie von ganz andern und den verschiedensten Farben. Die Natur hat also doch die Keime in sie gelegt, und es kömmt nur auf das gehörige Säen und Verpflanzen an, um diese in ihnen zu entwickeln. So auch bey dem Menschen!

Es liegen viele Keime in der Menschheit, und nun ist es unsere Sache, die Naturanlagen proportionirlich zu entwickeln, und die Menschheit aus ihren Keimen zu entfalten, und zu machen, daß der Mensch seine Bestimmung erreiche. Die Thiere erfüllen diese von selbst, und ohne daß sie sie kennen. Der Mensch muß erst suchen, sie zu erreichen, dieses kann aber

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[13/0013] nach Regeln der Gerechtigkeit regierten Republik! Ist sie deßwegen unmöglich? Erst muß unsere Idee nur richtig seyn, und dann ist sie bey allen Hindernissen, die ihrer Ausführung noch im Wege stehen, gar nicht unmöglich. Wenn z. E. ein jeder löge, wäre deßhalb das Wahrreden eine bloße Grille? Und die Idee einer Erziehung, die alle Naturanlagen im Menschen entwickelt, ist allerdings wahrhaft. Bey der jetzigen Erziehung erreicht der Mensch nicht ganz den Zweck seines Daseyns. Denn wie verschieden leben die Menschen! Eine Gleichförmigkeit unter ihnen kann nur Statt finden, wenn sie nach einerley Grundsätzen handeln, und diese Grundsätze müßten ihnen zur andern Natur werden. Wir kennen an dem Plane einer zweckmäßigeren Erziehung arbeiten, und eine Anweisung zu ihr der Nachkommenschaft überliefern, die sie nach und nach realisiren kann. Man sieht z. B. an den Aurikeln, daß, wenn man sie aus der Wurzel zieht, man sie alle nur von einer und derselben Farbe bekommt; wenn man dagegen aber ihren Saamen aussäet: so bekommt man sie von ganz andern und den verschiedensten Farben. Die Natur hat also doch die Keime in sie gelegt, und es kömmt nur auf das gehörige Säen und Verpflanzen an, um diese in ihnen zu entwickeln. So auch bey dem Menschen! Es liegen viele Keime in der Menschheit, und nun ist es unsere Sache, die Naturanlagen proportionirlich zu entwickeln, und die Menschheit aus ihren Keimen zu entfalten, und zu machen, daß der Mensch seine Bestimmung erreiche. Die Thiere erfüllen diese von selbst, und ohne daß sie sie kennen. Der Mensch muß erst suchen, sie zu erreichen, dieses kann aber

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/13>, abgerufen am 26.04.2024.