Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755.Allgemeine Naturgeschichte wiederum verjüngt aufzuleben, durch alle Unend-lichkeit der Zeiten und Räume hindurch folgen: wenn man siehet, wie sie sogar in der Gegend da sie verfält und veraltet an neuen Auftritten unerschöpft und auf der anderen Grenze der Schöpfung in dem Raum der ungebildeten rohen Materie mit steti- gen Schritten zur Ausdehnung des Plans der gött- lichen Offenbarung fortschreitet, um die Ewigkeit sowohl, als alle Räume mit ihren Wundern zu fül- len; so versenket sich der Geist, der alles dieses über- dencket, in ein tiefes Erstaunen: aber annoch mit die- sem so grossen Gegenstande unzufrieden, dessen Vergänglichkeit die Seele nicht gnugsam zufrieden stellen kan, wünschet er dasjenige Wesen von na- hem kennen zu lernen, dessen Verstand, dessen Grösse die Quelle desjenigen Lichtes ist, das sich über die gesammte Natur, gleichsam als aus einem Mit- telpunkte, ausbreitet. Mit welcher Art der Ehr- furcht muß nicht die Seele so gar ihr eigen Wesen ansehen, wenn sie betrachtet, daß sie noch alle die- se Veränderungen überleben soll, sie kan zu sich sel- ber sagen, was der philosophische Dichter von der Ewigkeit saget:
Wirst
Allgemeine Naturgeſchichte wiederum verjuͤngt aufzuleben, durch alle Unend-lichkeit der Zeiten und Raͤume hindurch folgen: wenn man ſiehet, wie ſie ſogar in der Gegend da ſie verfaͤlt und veraltet an neuen Auftritten unerſchoͤpft und auf der anderen Grenze der Schoͤpfung in dem Raum der ungebildeten rohen Materie mit ſteti- gen Schritten zur Ausdehnung des Plans der goͤtt- lichen Offenbarung fortſchreitet, um die Ewigkeit ſowohl, als alle Raͤume mit ihren Wundern zu fuͤl- len; ſo verſenket ſich der Geiſt, der alles dieſes uͤber- dencket, in ein tiefes Erſtaunen: aber annoch mit die- ſem ſo groſſen Gegenſtande unzufrieden, deſſen Vergaͤnglichkeit die Seele nicht gnugſam zufrieden ſtellen kan, wuͤnſchet er dasjenige Weſen von na- hem kennen zu lernen, deſſen Verſtand, deſſen Groͤſſe die Quelle desjenigen Lichtes iſt, das ſich uͤber die geſammte Natur, gleichſam als aus einem Mit- telpunkte, ausbreitet. Mit welcher Art der Ehr- furcht muß nicht die Seele ſo gar ihr eigen Weſen anſehen, wenn ſie betrachtet, daß ſie noch alle die- ſe Veraͤnderungen uͤberleben ſoll, ſie kan zu ſich ſel- ber ſagen, was der philoſophiſche Dichter von der Ewigkeit ſaget:
Wirſt
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0194" n="126"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Naturgeſchichte</hi></fw><lb/> wiederum verjuͤngt aufzuleben, durch alle Unend-<lb/> lichkeit der Zeiten und Raͤume hindurch folgen:<lb/> wenn man ſiehet, wie ſie ſogar in der Gegend da ſie<lb/> verfaͤlt und veraltet an neuen Auftritten unerſchoͤpft<lb/> und auf der anderen Grenze der Schoͤpfung in dem<lb/> Raum der ungebildeten rohen Materie mit ſteti-<lb/> gen Schritten zur Ausdehnung des Plans der goͤtt-<lb/> lichen Offenbarung fortſchreitet, um die Ewigkeit<lb/> ſowohl, als alle Raͤume mit ihren Wundern zu fuͤl-<lb/> len; ſo verſenket ſich der Geiſt, der alles dieſes uͤber-<lb/> dencket, in ein tiefes Erſtaunen: aber annoch mit die-<lb/> ſem ſo groſſen Gegenſtande unzufrieden, deſſen<lb/> Vergaͤnglichkeit die Seele nicht gnugſam zufrieden<lb/> ſtellen kan, wuͤnſchet er dasjenige Weſen von na-<lb/> hem kennen zu lernen, deſſen Verſtand, deſſen<lb/> Groͤſſe die Quelle desjenigen Lichtes iſt, das ſich uͤber<lb/> die geſammte Natur, gleichſam als aus einem Mit-<lb/> telpunkte, ausbreitet. Mit welcher Art der Ehr-<lb/> furcht muß nicht die Seele ſo gar ihr eigen Weſen<lb/> anſehen, wenn ſie betrachtet, daß ſie noch alle die-<lb/> ſe Veraͤnderungen uͤberleben ſoll, ſie kan zu ſich ſel-<lb/> ber ſagen, was der philoſophiſche Dichter von der<lb/> Ewigkeit ſaget:<lb/><cit><quote><lg rendition="#et" type="poem"><l>Wenn denn ein zweytes Nichts, wird dieſe<lb/><hi rendition="#et">Welt begraben;</hi></l><lb/><l>Wenn von dem Alles ſelbſt, nichts bleibet<lb/><hi rendition="#et">als die Stelle;</hi></l><lb/><l>Wenn mancher Himmel noch, von andern<lb/><hi rendition="#et">Sternen helle,</hi></l><lb/><l>Wird ſeinen Lauf vollend haben;</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Wirſt</fw><lb/></lg></quote></cit></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [126/0194]
Allgemeine Naturgeſchichte
wiederum verjuͤngt aufzuleben, durch alle Unend-
lichkeit der Zeiten und Raͤume hindurch folgen:
wenn man ſiehet, wie ſie ſogar in der Gegend da ſie
verfaͤlt und veraltet an neuen Auftritten unerſchoͤpft
und auf der anderen Grenze der Schoͤpfung in dem
Raum der ungebildeten rohen Materie mit ſteti-
gen Schritten zur Ausdehnung des Plans der goͤtt-
lichen Offenbarung fortſchreitet, um die Ewigkeit
ſowohl, als alle Raͤume mit ihren Wundern zu fuͤl-
len; ſo verſenket ſich der Geiſt, der alles dieſes uͤber-
dencket, in ein tiefes Erſtaunen: aber annoch mit die-
ſem ſo groſſen Gegenſtande unzufrieden, deſſen
Vergaͤnglichkeit die Seele nicht gnugſam zufrieden
ſtellen kan, wuͤnſchet er dasjenige Weſen von na-
hem kennen zu lernen, deſſen Verſtand, deſſen
Groͤſſe die Quelle desjenigen Lichtes iſt, das ſich uͤber
die geſammte Natur, gleichſam als aus einem Mit-
telpunkte, ausbreitet. Mit welcher Art der Ehr-
furcht muß nicht die Seele ſo gar ihr eigen Weſen
anſehen, wenn ſie betrachtet, daß ſie noch alle die-
ſe Veraͤnderungen uͤberleben ſoll, ſie kan zu ſich ſel-
ber ſagen, was der philoſophiſche Dichter von der
Ewigkeit ſaget:
Wenn denn ein zweytes Nichts, wird dieſe
Welt begraben;
Wenn von dem Alles ſelbſt, nichts bleibet
als die Stelle;
Wenn mancher Himmel noch, von andern
Sternen helle,
Wird ſeinen Lauf vollend haben;
Wirſt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |