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Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

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K. hatte sich entschlossen, mehr zu beobachten als zu reden, infolgedessen verzichtete er auf die Verteidigung wegen seines angeblichen Zuspätkommens und sagte bloß: "Mag ich zu spät gekommen sein, jetzt bin ich hier." Ein Beifallklatschen, wieder aus der rechten Saalhälfte, folgte. "Leicht zu gewinnende Leute," dachte K. und war nur gestört durch die Stille in der linken Saalhälfte, die gerade hinter ihm lag und aus der sich nur ganz vereinzeltes Händeklatschen erhoben hatte. Er dachte nach, was er sagen könnte, um alle auf einmal oder, wenn das nicht möglich sein sollte, wenigstens zeitweilig auch die andern zu gewinnen.

"Ja," sagte der Mann, "aber ich bin nicht mehr verpflichtet, Sie jetzt zu verhören" - wieder das Murren, diesmal aber mißverständlich, denn der Mann fuhr, indem er den Leuten mit der Hand abwinkte, fort - "ich will es jedoch ausnahmsweise heute noch tun. Eine solche Verspätung darf sich aber nicht mehr wiederholen. Und nun treten Sie vor!" Irgend jemand sprang vom Podium herunter, so daß für K. ein Platz frei wurde, auf den er hinaufstieg. Er stand eng an den Tisch gedrückt, das Gedränge hinter ihm war so groß, daß er ihm

K. hatte sich entschlossen, mehr zu beobachten als zu reden, infolgedessen verzichtete er auf die Verteidigung wegen seines angeblichen Zuspätkommens und sagte bloß: „Mag ich zu spät gekommen sein, jetzt bin ich hier.“ Ein Beifallklatschen, wieder aus der rechten Saalhälfte, folgte. „Leicht zu gewinnende Leute,“ dachte K. und war nur gestört durch die Stille in der linken Saalhälfte, die gerade hinter ihm lag und aus der sich nur ganz vereinzeltes Händeklatschen erhoben hatte. Er dachte nach, was er sagen könnte, um alle auf einmal oder, wenn das nicht möglich sein sollte, wenigstens zeitweilig auch die andern zu gewinnen.

„Ja,“ sagte der Mann, „aber ich bin nicht mehr verpflichtet, Sie jetzt zu verhören“ – wieder das Murren, diesmal aber mißverständlich, denn der Mann fuhr, indem er den Leuten mit der Hand abwinkte, fort – „ich will es jedoch ausnahmsweise heute noch tun. Eine solche Verspätung darf sich aber nicht mehr wiederholen. Und nun treten Sie vor!“ Irgend jemand sprang vom Podium herunter, so daß für K. ein Platz frei wurde, auf den er hinaufstieg. Er stand eng an den Tisch gedrückt, das Gedränge hinter ihm war so groß, daß er ihm

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[68/0070] K. hatte sich entschlossen, mehr zu beobachten als zu reden, infolgedessen verzichtete er auf die Verteidigung wegen seines angeblichen Zuspätkommens und sagte bloß: „Mag ich zu spät gekommen sein, jetzt bin ich hier.“ Ein Beifallklatschen, wieder aus der rechten Saalhälfte, folgte. „Leicht zu gewinnende Leute,“ dachte K. und war nur gestört durch die Stille in der linken Saalhälfte, die gerade hinter ihm lag und aus der sich nur ganz vereinzeltes Händeklatschen erhoben hatte. Er dachte nach, was er sagen könnte, um alle auf einmal oder, wenn das nicht möglich sein sollte, wenigstens zeitweilig auch die andern zu gewinnen. „Ja,“ sagte der Mann, „aber ich bin nicht mehr verpflichtet, Sie jetzt zu verhören“ – wieder das Murren, diesmal aber mißverständlich, denn der Mann fuhr, indem er den Leuten mit der Hand abwinkte, fort – „ich will es jedoch ausnahmsweise heute noch tun. Eine solche Verspätung darf sich aber nicht mehr wiederholen. Und nun treten Sie vor!“ Irgend jemand sprang vom Podium herunter, so daß für K. ein Platz frei wurde, auf den er hinaufstieg. Er stand eng an den Tisch gedrückt, das Gedränge hinter ihm war so groß, daß er ihm

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Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/70>, abgerufen am 29.03.2024.