Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

Bild:
<< vorherige Seite

in meine Wohnung oder wo sie mich sonst antreffen konnten, das war natürlich störend (heute ist es wenigstens in dieser Hinsicht viel besser, der telephonische Anruf stört mich weniger), auch unter meinen Geschäftsfreunden, insbesondere aber unter meinen Verwandten, fingen Gerüchte von meinem Prozeß sich zu verbreiten an, Schädigungen gab es also von allen Seiten, aber nicht das geringste Anzeichen sprach dafür, daß auch nur die erste Gerichtsverhandlung in der nächsten Zeit stattfinden würde. Ich ging also zum Advokaten und beklagte mich. Er gab mir zwar lange Erklärungen, lehnte es aber entschieden ab, etwas in meinem Sinne zu tun, niemand habe Einfluß auf die Festsetzung der Verhandlung, in einer Eingabe darauf zu dringen - wie ich es verlangte - sei einfach unerhört und würde mich und ihn verderben. Ich dachte: was dieser Advokat nicht will oder kann, wird ein anderer wollen und können. Ich sah mich also nach andern Advokaten um. Ich will es gleich vorwegnehmen: keiner hat die Festsetzung der Hauptverhandlung verlangt oder durchgesetzt, es ist, allerdings mit einem Vorbehalt, von dem ich noch sprechen werde, wirklich

in meine Wohnung oder wo sie mich sonst antreffen konnten, das war natürlich störend (heute ist es wenigstens in dieser Hinsicht viel besser, der telephonische Anruf stört mich weniger), auch unter meinen Geschäftsfreunden, insbesondere aber unter meinen Verwandten, fingen Gerüchte von meinem Prozeß sich zu verbreiten an, Schädigungen gab es also von allen Seiten, aber nicht das geringste Anzeichen sprach dafür, daß auch nur die erste Gerichtsverhandlung in der nächsten Zeit stattfinden würde. Ich ging also zum Advokaten und beklagte mich. Er gab mir zwar lange Erklärungen, lehnte es aber entschieden ab, etwas in meinem Sinne zu tun, niemand habe Einfluß auf die Festsetzung der Verhandlung, in einer Eingabe darauf zu dringen – wie ich es verlangte – sei einfach unerhört und würde mich und ihn verderben. Ich dachte: was dieser Advokat nicht will oder kann, wird ein anderer wollen und können. Ich sah mich also nach andern Advokaten um. Ich will es gleich vorwegnehmen: keiner hat die Festsetzung der Hauptverhandlung verlangt oder durchgesetzt, es ist, allerdings mit einem Vorbehalt, von dem ich noch sprechen werde, wirklich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0313" n="311"/>
in meine Wohnung oder wo sie mich sonst antreffen konnten, das war natürlich störend (heute ist es wenigstens in dieser Hinsicht viel besser, der telephonische Anruf stört mich weniger), auch unter meinen Geschäftsfreunden, insbesondere aber unter meinen Verwandten, fingen Gerüchte von meinem Prozeß sich zu verbreiten an, Schädigungen gab es also von allen Seiten, aber nicht das geringste Anzeichen sprach dafür, daß auch nur die erste Gerichtsverhandlung in der nächsten Zeit stattfinden würde. Ich ging also zum Advokaten und beklagte mich. Er gab mir zwar lange Erklärungen, lehnte es aber entschieden ab, etwas in meinem Sinne zu tun, niemand habe Einfluß auf die Festsetzung der Verhandlung, in einer Eingabe darauf zu dringen &#x2013; wie ich es verlangte &#x2013; sei einfach unerhört und würde mich und ihn verderben. Ich dachte: was dieser Advokat nicht will oder kann, wird ein anderer wollen und können. Ich sah mich also nach andern Advokaten um. Ich will es gleich vorwegnehmen: keiner hat die Festsetzung der Hauptverhandlung verlangt oder durchgesetzt, es ist, allerdings mit einem Vorbehalt, von dem ich noch sprechen werde, wirklich
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0313] in meine Wohnung oder wo sie mich sonst antreffen konnten, das war natürlich störend (heute ist es wenigstens in dieser Hinsicht viel besser, der telephonische Anruf stört mich weniger), auch unter meinen Geschäftsfreunden, insbesondere aber unter meinen Verwandten, fingen Gerüchte von meinem Prozeß sich zu verbreiten an, Schädigungen gab es also von allen Seiten, aber nicht das geringste Anzeichen sprach dafür, daß auch nur die erste Gerichtsverhandlung in der nächsten Zeit stattfinden würde. Ich ging also zum Advokaten und beklagte mich. Er gab mir zwar lange Erklärungen, lehnte es aber entschieden ab, etwas in meinem Sinne zu tun, niemand habe Einfluß auf die Festsetzung der Verhandlung, in einer Eingabe darauf zu dringen – wie ich es verlangte – sei einfach unerhört und würde mich und ihn verderben. Ich dachte: was dieser Advokat nicht will oder kann, wird ein anderer wollen und können. Ich sah mich also nach andern Advokaten um. Ich will es gleich vorwegnehmen: keiner hat die Festsetzung der Hauptverhandlung verlangt oder durchgesetzt, es ist, allerdings mit einem Vorbehalt, von dem ich noch sprechen werde, wirklich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-28T19:24:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-28T19:24:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat (2012-11-28T19:24:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Trennungen am Zeilen- und am Seitenende werden aufgelöst, der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/313
Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/313>, abgerufen am 27.11.2024.