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Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

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K., dem von der Anstrengung, mit der er sich zum Zuhören gezwungen hatte, der Kopf schmerzte. Trotz dieser Bestätigung sagte der Maler alles noch einmal zusammenfassend, als wolle er K. auf den Heimweg einen Trost mitgeben: "Beide Methoden haben das Gemeinsame, daß sie eine Verurteilung des Angeklagten verhindern." "Sie verhindern aber auch die wirkliche Freisprechung," sagte K. leise, als schäme er sich, das erkannt zu haben. "Sie haben den Kern der Sache erfaßt," sagte der Maler schnell. K. legte die Hand auf seinen Winterrock, konnte sich aber nicht einmal entschließen, den Rock anzuziehn. Am liebsten hätte er alles zusammengepackt und wäre damit an die frische Luft gelaufen. Auch die Mädchen konnten ihn nicht dazu bewegen, sich anzuziehn, trotzdem sie, verfrüht, einander schon zuriefen, daß er sich anziehe. Dem Maler lag daran, K.s Stimmung irgendwie zu deuten, er sagte deshalb: "Sie haben sich wohl hinsichtlich meiner Vorschläge noch nicht entschieden. Ich billige das. Ich hätte Ihnen sogar davon abgeraten, sich sofort zu entscheiden. Die Vorteile und Nachteile sind haarfein. Man muß alles genau abschätzen. Allerdings darf man

K., dem von der Anstrengung, mit der er sich zum Zuhören gezwungen hatte, der Kopf schmerzte. Trotz dieser Bestätigung sagte der Maler alles noch einmal zusammenfassend, als wolle er K. auf den Heimweg einen Trost mitgeben: „Beide Methoden haben das Gemeinsame, daß sie eine Verurteilung des Angeklagten verhindern.“ „Sie verhindern aber auch die wirkliche Freisprechung,“ sagte K. leise, als schäme er sich, das erkannt zu haben. „Sie haben den Kern der Sache erfaßt,“ sagte der Maler schnell. K. legte die Hand auf seinen Winterrock, konnte sich aber nicht einmal entschließen, den Rock anzuziehn. Am liebsten hätte er alles zusammengepackt und wäre damit an die frische Luft gelaufen. Auch die Mädchen konnten ihn nicht dazu bewegen, sich anzuziehn, trotzdem sie, verfrüht, einander schon zuriefen, daß er sich anziehe. Dem Maler lag daran, K.s Stimmung irgendwie zu deuten, er sagte deshalb: „Sie haben sich wohl hinsichtlich meiner Vorschläge noch nicht entschieden. Ich billige das. Ich hätte Ihnen sogar davon abgeraten, sich sofort zu entscheiden. Die Vorteile und Nachteile sind haarfein. Man muß alles genau abschätzen. Allerdings darf man

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[283/0285] K., dem von der Anstrengung, mit der er sich zum Zuhören gezwungen hatte, der Kopf schmerzte. Trotz dieser Bestätigung sagte der Maler alles noch einmal zusammenfassend, als wolle er K. auf den Heimweg einen Trost mitgeben: „Beide Methoden haben das Gemeinsame, daß sie eine Verurteilung des Angeklagten verhindern.“ „Sie verhindern aber auch die wirkliche Freisprechung,“ sagte K. leise, als schäme er sich, das erkannt zu haben. „Sie haben den Kern der Sache erfaßt,“ sagte der Maler schnell. K. legte die Hand auf seinen Winterrock, konnte sich aber nicht einmal entschließen, den Rock anzuziehn. Am liebsten hätte er alles zusammengepackt und wäre damit an die frische Luft gelaufen. Auch die Mädchen konnten ihn nicht dazu bewegen, sich anzuziehn, trotzdem sie, verfrüht, einander schon zuriefen, daß er sich anziehe. Dem Maler lag daran, K.s Stimmung irgendwie zu deuten, er sagte deshalb: „Sie haben sich wohl hinsichtlich meiner Vorschläge noch nicht entschieden. Ich billige das. Ich hätte Ihnen sogar davon abgeraten, sich sofort zu entscheiden. Die Vorteile und Nachteile sind haarfein. Man muß alles genau abschätzen. Allerdings darf man

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Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/285>, abgerufen am 22.11.2024.