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Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

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holte eines der Mädchen ein, das gestolpert und hinter den andern zurückgeblieben war, und fragte es, während sie neben einander weiterstiegen: "Wohnt hier ein Maler Titorelli?" Das Mädchen, ein kaum dreizehnjähriges, etwas buckliges Mädchen, stieß ihn darauf mit dem Ellbogen an und sah von der Seite zu ihm auf. Weder ihre Jugend, noch ihr Körperfehler hatte verhindern können, daß sie schon ganz verdorben war. Sie lächelte nicht einmal, sondern sah K. ernst mit scharfem, aufforderndem Blicke an. K. tat, als hätte er ihr Benehmen nicht bemerkt, und fragte: "Kennst du den Maler Titorelli?" Sie nickte und fragte ihrerseits: "Was wollen Sie von ihm?" K. schien es vorteilhaft, sich noch schnell ein wenig über Titorelli zu unterrichten: "Ich will mich von ihm malen lassen," sagte er. "Malen lassen?" fragte sie, öffnete übermäßig den Mund, schlug leicht mit der Hand gegen K., als hätte er etwas außerordentlich Überraschendes oder Ungeschicktes gesagt, hob mit beiden Händen ihr ohnedies sehr kurzes Röckchen und lief, so schnell sie konnte, hinter den andern Mädchen her, deren Geschrei schon undeutlich in der Höhe sich verlor. Bei der nächsten Wendung der

holte eines der Mädchen ein, das gestolpert und hinter den andern zurückgeblieben war, und fragte es, während sie neben einander weiterstiegen: „Wohnt hier ein Maler Titorelli?“ Das Mädchen, ein kaum dreizehnjähriges, etwas buckliges Mädchen, stieß ihn darauf mit dem Ellbogen an und sah von der Seite zu ihm auf. Weder ihre Jugend, noch ihr Körperfehler hatte verhindern können, daß sie schon ganz verdorben war. Sie lächelte nicht einmal, sondern sah K. ernst mit scharfem, aufforderndem Blicke an. K. tat, als hätte er ihr Benehmen nicht bemerkt, und fragte: „Kennst du den Maler Titorelli?“ Sie nickte und fragte ihrerseits: „Was wollen Sie von ihm?“ K. schien es vorteilhaft, sich noch schnell ein wenig über Titorelli zu unterrichten: „Ich will mich von ihm malen lassen,“ sagte er. „Malen lassen?“ fragte sie, öffnete übermäßig den Mund, schlug leicht mit der Hand gegen K., als hätte er etwas außerordentlich Überraschendes oder Ungeschicktes gesagt, hob mit beiden Händen ihr ohnedies sehr kurzes Röckchen und lief, so schnell sie konnte, hinter den andern Mädchen her, deren Geschrei schon undeutlich in der Höhe sich verlor. Bei der nächsten Wendung der

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[246/0248] holte eines der Mädchen ein, das gestolpert und hinter den andern zurückgeblieben war, und fragte es, während sie neben einander weiterstiegen: „Wohnt hier ein Maler Titorelli?“ Das Mädchen, ein kaum dreizehnjähriges, etwas buckliges Mädchen, stieß ihn darauf mit dem Ellbogen an und sah von der Seite zu ihm auf. Weder ihre Jugend, noch ihr Körperfehler hatte verhindern können, daß sie schon ganz verdorben war. Sie lächelte nicht einmal, sondern sah K. ernst mit scharfem, aufforderndem Blicke an. K. tat, als hätte er ihr Benehmen nicht bemerkt, und fragte: „Kennst du den Maler Titorelli?“ Sie nickte und fragte ihrerseits: „Was wollen Sie von ihm?“ K. schien es vorteilhaft, sich noch schnell ein wenig über Titorelli zu unterrichten: „Ich will mich von ihm malen lassen,“ sagte er. „Malen lassen?“ fragte sie, öffnete übermäßig den Mund, schlug leicht mit der Hand gegen K., als hätte er etwas außerordentlich Überraschendes oder Ungeschicktes gesagt, hob mit beiden Händen ihr ohnedies sehr kurzes Röckchen und lief, so schnell sie konnte, hinter den andern Mädchen her, deren Geschrei schon undeutlich in der Höhe sich verlor. Bei der nächsten Wendung der

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Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/248>, abgerufen am 26.04.2024.