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Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

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eine kleine Bedenkzeit. "Wen betrifft es denn?" fragte der Advokat mit erlöschender Stimme und legte sich wieder zurück. "Meinen Neffen," sagte der Onkel, "ich habe ihn auch mitgebracht." Und er stellte vor: Prokurist Josef K. "Oh," sagte der Kranke viel lebhafter und streckte K. die Hand entgegen, "verzeihen Sie, ich habe Sie gar nicht bemerkt. Geh, Leni," sagte er dann zu der Pflegerin, die sich auch gar nicht mehr wehrte, und reichte ihr die Hand, als gelte es einen Abschied für lange Zeit. "Du bist also," sagte er endlich zum Onkel, der, auch versöhnt nähergetreten war, "nicht gekommen, mir einen Krankenbesuch zu machen, sondern du kommst in Geschäften." Es war, als hätte die Vorstellung eines Krankenbesuches den Advokaten bisher gelähmt, so gekräftigt sah er jetzt aus, blieb ständig auf einen Ellbogen aufgestützt, was ziemlich anstrengend sein mußte, und zog immer wieder an einem Bartstrahn in der Mitte seines Bartes. "Du siehst schon viel gesünder aus," sagte der Onkel, "seitdem diese Hexe draußen ist." Er unterbrach sich, flüsterte: "Ich wette, daß sie horcht" und sprang zur Tür. Aber hinter der Tür war niemand, der Onkel kam

eine kleine Bedenkzeit. „Wen betrifft es denn?“ fragte der Advokat mit erlöschender Stimme und legte sich wieder zurück. „Meinen Neffen,“ sagte der Onkel, „ich habe ihn auch mitgebracht.“ Und er stellte vor: Prokurist Josef K. „Oh,“ sagte der Kranke viel lebhafter und streckte K. die Hand entgegen, „verzeihen Sie, ich habe Sie gar nicht bemerkt. Geh, Leni,“ sagte er dann zu der Pflegerin, die sich auch gar nicht mehr wehrte, und reichte ihr die Hand, als gelte es einen Abschied für lange Zeit. „Du bist also,“ sagte er endlich zum Onkel, der, auch versöhnt nähergetreten war, „nicht gekommen, mir einen Krankenbesuch zu machen, sondern du kommst in Geschäften.“ Es war, als hätte die Vorstellung eines Krankenbesuches den Advokaten bisher gelähmt, so gekräftigt sah er jetzt aus, blieb ständig auf einen Ellbogen aufgestützt, was ziemlich anstrengend sein mußte, und zog immer wieder an einem Bartstrahn in der Mitte seines Bartes. „Du siehst schon viel gesünder aus,“ sagte der Onkel, „seitdem diese Hexe draußen ist.“ Er unterbrach sich, flüsterte: „Ich wette, daß sie horcht“ und sprang zur Tür. Aber hinter der Tür war niemand, der Onkel kam

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[176/0178] eine kleine Bedenkzeit. „Wen betrifft es denn?“ fragte der Advokat mit erlöschender Stimme und legte sich wieder zurück. „Meinen Neffen,“ sagte der Onkel, „ich habe ihn auch mitgebracht.“ Und er stellte vor: Prokurist Josef K. „Oh,“ sagte der Kranke viel lebhafter und streckte K. die Hand entgegen, „verzeihen Sie, ich habe Sie gar nicht bemerkt. Geh, Leni,“ sagte er dann zu der Pflegerin, die sich auch gar nicht mehr wehrte, und reichte ihr die Hand, als gelte es einen Abschied für lange Zeit. „Du bist also,“ sagte er endlich zum Onkel, der, auch versöhnt nähergetreten war, „nicht gekommen, mir einen Krankenbesuch zu machen, sondern du kommst in Geschäften.“ Es war, als hätte die Vorstellung eines Krankenbesuches den Advokaten bisher gelähmt, so gekräftigt sah er jetzt aus, blieb ständig auf einen Ellbogen aufgestützt, was ziemlich anstrengend sein mußte, und zog immer wieder an einem Bartstrahn in der Mitte seines Bartes. „Du siehst schon viel gesünder aus,“ sagte der Onkel, „seitdem diese Hexe draußen ist.“ Er unterbrach sich, flüsterte: „Ich wette, daß sie horcht“ und sprang zur Tür. Aber hinter der Tür war niemand, der Onkel kam

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Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/178>, abgerufen am 20.04.2024.