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Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

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und sah durch das Fenster auf die gegenüberliegende Straßenseite, von der von seinem Sitz aus nur ein kleiner dreieckiger Ausschnitt zu sehen war, ein Stück leerer Häusermauer, zwischen zwei Geschäftsauslagen. "Du schaust aus dem Fenster," rief der Onkel mit erhobenen Armen, "um Himmels willen, Josef, antworte mir doch. Ist es wahr, kann es denn wahr sein?" "Lieber Onkel," sagte K. und riß sich von seiner Zerstreutheit los, "ich weiß ja gar nicht, was du von mir willst." "Josef," sagte der Onkel warnend, "die Wahrheit hast du immer gesagt, soviel ich weiß. Soll ich deine letzten Worte als schlimmes Zeichen auffassen." "Ich ahne ja, was du willst," sagte K. folgsam, "du hast wahrscheinlich von meinem Prozeß gehört." "So ist es," antwortete der Onkel, langsam nickend, "ich habe von deinem Prozeß gehört." "Von wem denn?" fragte K. "Erna hat es mir geschrieben," sagte der Onkel, "sie hat ja keinen Verkehr mit dir, du kümmerst dich leider nicht viel um sie, trotzdem hat sie es erfahren. Heute habe ich den Brief bekommen und bin natürlich sofort hergefahren. Aus keinem andern Grund, aber es scheint ein genügender Grund zu sein.

und sah durch das Fenster auf die gegenüberliegende Straßenseite, von der von seinem Sitz aus nur ein kleiner dreieckiger Ausschnitt zu sehen war, ein Stück leerer Häusermauer, zwischen zwei Geschäftsauslagen. „Du schaust aus dem Fenster,“ rief der Onkel mit erhobenen Armen, „um Himmels willen, Josef, antworte mir doch. Ist es wahr, kann es denn wahr sein?“ „Lieber Onkel,“ sagte K. und riß sich von seiner Zerstreutheit los, „ich weiß ja gar nicht, was du von mir willst.“ „Josef,“ sagte der Onkel warnend, „die Wahrheit hast du immer gesagt, soviel ich weiß. Soll ich deine letzten Worte als schlimmes Zeichen auffassen.“ „Ich ahne ja, was du willst,“ sagte K. folgsam, „du hast wahrscheinlich von meinem Prozeß gehört.“ „So ist es,“ antwortete der Onkel, langsam nickend, „ich habe von deinem Prozeß gehört.“ „Von wem denn?“ fragte K. „Erna hat es mir geschrieben,“ sagte der Onkel, „sie hat ja keinen Verkehr mit dir, du kümmerst dich leider nicht viel um sie, trotzdem hat sie es erfahren. Heute habe ich den Brief bekommen und bin natürlich sofort hergefahren. Aus keinem andern Grund, aber es scheint ein genügender Grund zu sein.

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[158/0160] und sah durch das Fenster auf die gegenüberliegende Straßenseite, von der von seinem Sitz aus nur ein kleiner dreieckiger Ausschnitt zu sehen war, ein Stück leerer Häusermauer, zwischen zwei Geschäftsauslagen. „Du schaust aus dem Fenster,“ rief der Onkel mit erhobenen Armen, „um Himmels willen, Josef, antworte mir doch. Ist es wahr, kann es denn wahr sein?“ „Lieber Onkel,“ sagte K. und riß sich von seiner Zerstreutheit los, „ich weiß ja gar nicht, was du von mir willst.“ „Josef,“ sagte der Onkel warnend, „die Wahrheit hast du immer gesagt, soviel ich weiß. Soll ich deine letzten Worte als schlimmes Zeichen auffassen.“ „Ich ahne ja, was du willst,“ sagte K. folgsam, „du hast wahrscheinlich von meinem Prozeß gehört.“ „So ist es,“ antwortete der Onkel, langsam nickend, „ich habe von deinem Prozeß gehört.“ „Von wem denn?“ fragte K. „Erna hat es mir geschrieben,“ sagte der Onkel, „sie hat ja keinen Verkehr mit dir, du kümmerst dich leider nicht viel um sie, trotzdem hat sie es erfahren. Heute habe ich den Brief bekommen und bin natürlich sofort hergefahren. Aus keinem andern Grund, aber es scheint ein genügender Grund zu sein.

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Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/160>, abgerufen am 26.04.2024.