I. Japan übertrift in Künsten und Wissenschaften alle andre Nationen.
Wir wissen izt die Kentnisse der östlichen Welt richtiger als ehmals zu schätzen. Es ist gewis, daß die Jndier, Sineser und Japaner gewisse Künste und Fabriken sehr früh, und in einem ziemlichen Grad von Volkommenheit besessen haben, daß sie auch in manchen Wissenschaften schon vor Jahrtausenden einige Schritte gethan haben. Aber sie blieben stehn, ehe wir anfiengen, und stehn noch auf dem Flek, über den die Europäer lange hinaus sind. Fast jede Kunst ist von diesen Asiatern erfunden, und fast in jeder sind sie von den Europäern übertroffen worden. Der sanste Himmelsstrich des südlichen Asiens erhob seine Bewohner bald über die dringendste Bedürfnisse, lud zu einem leichten Nach- denken ein, und reizte mehr die Einbildungskraft als den Verstand, den Anlässen, die der Zufal darbot, nachzugehn, und Künste zu erfinden, die das Leben bequemer und schöner machen konten. Aber eben dieser Himmelsstrich machte auch zu weiterm Forschen zu schlaf, oder der Despotismus drükte den Erfindungsgeist zu früh nieder, oder die ruhige mit dem Gewöhnten zufriedne Sinnesart dieser Völker machte zu wenig Foderungen an seine Künst- ler: eine dieser Ursachen oder wahrscheinlicher alle vereinigt, haben die sonderbare Wirkung hervorgebracht, daß die Künste in Asien gar keine Fortschritte gemacht haben, sondern noch in eben dem Zustande zu seyn scheinen, in dem sie bald nach ihrer ersten Erfindung waren, und daß in den schönen Künsten die Asiater die Europäer in keinem Zeitalter erreicht haben. Jhre Arbeiten kennen auch keine Abwechselungen der Mode; die Jndier haben schon lange vor Alexanders Zeit (vermuthlich schon seit Jahrtausenden) baumwollene Zeuge gemacht, die Japaner schon seit undenklicher Zeit ihr Porzellain bemahlt, aber wahrscheinlich liefern die Cattunmanufakturen in Frankreich, und die Porzellainfabriken in Meissen und Berlin schon weit mannichfachre Formen und Desseins, als die asiatischen in dem unermeslichen Zeitraum ihrer Jndüstrie.
Von den Wissenschaften der Japaner mus der Verfasser selbst zugeben, daß sie meistens den europäischen gar nicht beikommen. Jn der That ist kein Fach zu nennen, worin die asiatischen Nationen jemals einigen großen Fortschrit gemacht hätten. Jhre Philosophie, Physik und Mathematik verdienen den Namen nicht. Sokrates verliert durch Konfucius nichts von dem Ruhm, daß er die Moral zuerst vom Himmel geholt habe. Die Lehre des sinesischen Weisen war viel zu irdisch, war zu sehr auf politische Vortheile beschränkt, als daß sie himlischen Ursprungs und mit sokratischer Philosophie verwandt seyn solte. Von der Medicin kan man aus dem, was Kämpfer selbst von ihr sagt, schon urtheilen. Sie
grün-
Nacherinnerungen des Herausgebers.
I. Japan uͤbertrift in Kuͤnſten und Wiſſenſchaften alle andre Nationen.
Wir wiſſen izt die Kentniſſe der oͤſtlichen Welt richtiger als ehmals zu ſchaͤtzen. Es iſt gewis, daß die Jndier, Sineſer und Japaner gewiſſe Kuͤnſte und Fabriken ſehr fruͤh, und in einem ziemlichen Grad von Volkommenheit beſeſſen haben, daß ſie auch in manchen Wiſſenſchaften ſchon vor Jahrtauſenden einige Schritte gethan haben. Aber ſie blieben ſtehn, ehe wir anfiengen, und ſtehn noch auf dem Flek, uͤber den die Europaͤer lange hinaus ſind. Faſt jede Kunſt iſt von dieſen Aſiatern erfunden, und faſt in jeder ſind ſie von den Europaͤern uͤbertroffen worden. Der ſanſte Himmelsſtrich des ſuͤdlichen Aſiens erhob ſeine Bewohner bald uͤber die dringendſte Beduͤrfniſſe, lud zu einem leichten Nach- denken ein, und reizte mehr die Einbildungskraft als den Verſtand, den Anlaͤſſen, die der Zufal darbot, nachzugehn, und Kuͤnſte zu erfinden, die das Leben bequemer und ſchoͤner machen konten. Aber eben dieſer Himmelsſtrich machte auch zu weiterm Forſchen zu ſchlaf, oder der Deſpotismus druͤkte den Erfindungsgeiſt zu fruͤh nieder, oder die ruhige mit dem Gewoͤhnten zufriedne Sinnesart dieſer Voͤlker machte zu wenig Foderungen an ſeine Kuͤnſt- ler: eine dieſer Urſachen oder wahrſcheinlicher alle vereinigt, haben die ſonderbare Wirkung hervorgebracht, daß die Kuͤnſte in Aſien gar keine Fortſchritte gemacht haben, ſondern noch in eben dem Zuſtande zu ſeyn ſcheinen, in dem ſie bald nach ihrer erſten Erfindung waren, und daß in den ſchoͤnen Kuͤnſten die Aſiater die Europaͤer in keinem Zeitalter erreicht haben. Jhre Arbeiten kennen auch keine Abwechſelungen der Mode; die Jndier haben ſchon lange vor Alexanders Zeit (vermuthlich ſchon ſeit Jahrtauſenden) baumwollene Zeuge gemacht, die Japaner ſchon ſeit undenklicher Zeit ihr Porzellain bemahlt, aber wahrſcheinlich liefern die Cattunmanufakturen in Frankreich, und die Porzellainfabriken in Meiſſen und Berlin ſchon weit mannichfachre Formen und Deſſeins, als die aſiatiſchen in dem unermeslichen Zeitraum ihrer Jnduͤſtrie.
Von den Wiſſenſchaften der Japaner mus der Verfaſſer ſelbſt zugeben, daß ſie meiſtens den europaͤiſchen gar nicht beikommen. Jn der That iſt kein Fach zu nennen, worin die aſiatiſchen Nationen jemals einigen großen Fortſchrit gemacht haͤtten. Jhre Philoſophie, Phyſik und Mathematik verdienen den Namen nicht. Sokrates verliert durch Konfucius nichts von dem Ruhm, daß er die Moral zuerſt vom Himmel geholt habe. Die Lehre des ſineſiſchen Weiſen war viel zu irdiſch, war zu ſehr auf politiſche Vortheile beſchraͤnkt, als daß ſie himliſchen Urſprungs und mit ſokratiſcher Philoſophie verwandt ſeyn ſolte. Von der Medicin kan man aus dem, was Kaͤmpfer ſelbſt von ihr ſagt, ſchon urtheilen. Sie
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Nacherinnerungen des Herausgebers.
I.
Japan uͤbertrift in Kuͤnſten und Wiſſenſchaften alle andre Nationen.
Wir wiſſen izt die Kentniſſe der oͤſtlichen Welt richtiger als ehmals zu ſchaͤtzen.
Es iſt gewis, daß die Jndier, Sineſer und Japaner gewiſſe Kuͤnſte und Fabriken ſehr
fruͤh, und in einem ziemlichen Grad von Volkommenheit beſeſſen haben, daß ſie auch in
manchen Wiſſenſchaften ſchon vor Jahrtauſenden einige Schritte gethan haben. Aber ſie
blieben ſtehn, ehe wir anfiengen, und ſtehn noch auf dem Flek, uͤber den die Europaͤer
lange hinaus ſind. Faſt jede Kunſt iſt von dieſen Aſiatern erfunden, und faſt in jeder ſind
ſie von den Europaͤern uͤbertroffen worden. Der ſanſte Himmelsſtrich des ſuͤdlichen Aſiens
erhob ſeine Bewohner bald uͤber die dringendſte Beduͤrfniſſe, lud zu einem leichten Nach-
denken ein, und reizte mehr die Einbildungskraft als den Verſtand, den Anlaͤſſen, die der
Zufal darbot, nachzugehn, und Kuͤnſte zu erfinden, die das Leben bequemer und ſchoͤner
machen konten. Aber eben dieſer Himmelsſtrich machte auch zu weiterm Forſchen zu ſchlaf,
oder der Deſpotismus druͤkte den Erfindungsgeiſt zu fruͤh nieder, oder die ruhige mit dem
Gewoͤhnten zufriedne Sinnesart dieſer Voͤlker machte zu wenig Foderungen an ſeine Kuͤnſt-
ler: eine dieſer Urſachen oder wahrſcheinlicher alle vereinigt, haben die ſonderbare Wirkung
hervorgebracht, daß die Kuͤnſte in Aſien gar keine Fortſchritte gemacht haben, ſondern noch
in eben dem Zuſtande zu ſeyn ſcheinen, in dem ſie bald nach ihrer erſten Erfindung waren,
und daß in den ſchoͤnen Kuͤnſten die Aſiater die Europaͤer in keinem Zeitalter erreicht haben.
Jhre Arbeiten kennen auch keine Abwechſelungen der Mode; die Jndier haben ſchon lange
vor Alexanders Zeit (vermuthlich ſchon ſeit Jahrtauſenden) baumwollene Zeuge gemacht,
die Japaner ſchon ſeit undenklicher Zeit ihr Porzellain bemahlt, aber wahrſcheinlich liefern
die Cattunmanufakturen in Frankreich, und die Porzellainfabriken in Meiſſen und Berlin
ſchon weit mannichfachre Formen und Deſſeins, als die aſiatiſchen in dem unermeslichen
Zeitraum ihrer Jnduͤſtrie.
Von den Wiſſenſchaften der Japaner mus der Verfaſſer ſelbſt zugeben, daß ſie meiſtens
den europaͤiſchen gar nicht beikommen. Jn der That iſt kein Fach zu nennen, worin die
aſiatiſchen Nationen jemals einigen großen Fortſchrit gemacht haͤtten. Jhre Philoſophie,
Phyſik und Mathematik verdienen den Namen nicht. Sokrates verliert durch Konfucius
nichts von dem Ruhm, daß er die Moral zuerſt vom Himmel geholt habe. Die Lehre des
ſineſiſchen Weiſen war viel zu irdiſch, war zu ſehr auf politiſche Vortheile beſchraͤnkt, als
daß ſie himliſchen Urſprungs und mit ſokratiſcher Philoſophie verwandt ſeyn ſolte. Von
der Medicin kan man aus dem, was Kaͤmpfer ſelbſt von ihr ſagt, ſchon urtheilen. Sie
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/472>, abgerufen am 23.11.2024.
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