II. Beweis der nothwendigen Trennung Japans von der übrigen Welt.
krummen Spießen und Dolchen, mit denen sie ihn in der Nähe anfallen. Die leztern sind besonders so scharf, daß sie mit einem leichten Hieb einen menschlichen Körper zertheilen können. Sie sind auch mit besondrer Kunst gemacht, daher es ehmals verboten war, sie außer Landes zu führen, oder an Fremde zu verkaufen, bey Lebensstrafe des Verkäufers und aller, die den Handel etwa hindern konten.
Außerdem ist die Nation ausnehmend hart und gewohnt, Arbeit zu ertragen, mit schlechten Waldkräutern, Meergras und Schildkröten ihren Hunger, mit Wasser ihren Durst zu stillen, mit nakten Füßen und Kopf einherzugehn; ohne Hemder, ohne weiche Küssen schlafen sie auf der Erde, und einem Holzklotze stat des Kopfküssens. Kalte Nächte können sie durchwachen. Uebrigens aber sind sie bei ihrer Kleidung, Körper, Sitten und Wohnung ausnehmend rein und niedlich.
Daher bin ich auch gar nicht der Meynung, daß die Japaner von den weichlichen Sinesern abstammen, und sicher kan dieses niemand glauben, der, uneingenommen von der Auktorität des ersten Reisebeschreibers, im Lande selbst genauere Kentnisse einzieht. Diese Nation hat ein tatarisches, aber gezähmtes und ausgebildetes Genie, ein tatarisches Blut, das aber mit sinesischem gemischt ist, wie ich in der Beschreibung von Japan noch weiter zeigen werde.
§. 3.
Eine Nation, die auf die Art durch Lage und Charakter gegen äußere Anfälle be- vestigt und unüberwindlich gemacht ist, würde es indes doch vergebens versuchen, ihre Gäste und Feinde gleich streng einzuschränken, wenn sie nicht innerhalb ihrer eignen Grän- zen zufrieden und glüklicher (als durch die Gemeinschaft mit Fremden) leben könte. Daß sie dieses könne, bekent die Nation selbst, seit sie die Thore ihres Landes verschlossen hat, und jeder von uns kan sich davon auch leicht überzeugen, wenn er nun noch die übrigen Vor- theile dieses Landes erwägt. Denn es hat (welches gewis eine der ersten Glükseligkeiten ist) eine solche Lage, daß es weder von einer zu brennenden Hitze, noch einer eben so schädlichen Kälte leiden darf. Denn nirgend ist das Klima gelinder, und die Erde fruchtbarer, als in denen Ländern, welche zwischen dem 30 und 40sten Gr. der Breite liegen. Aber es ist doch, könte man einwerfen, ein unebnes, felsigtes, bergichtes und rauhes Land, das, wenn es sich allein überlassen wäre, nothwendig unfruchtbar seyn müßte. Aber dies ist gerade eine Wohlthat der Natur, daß die Fehler des Landes den Bewohnern Gelegenheit geben, ihre Tugenden, Fleis und Genügsamkeit zu üben. Nie wird man hier so harte Felsen, so hohe Gipfel der Berge finden, denen nicht unter diesem fruchtbaren Himmels- striche der fleißige Ackersman durch Schweis und Arbeit einen jährlichen Tribut zu entlocken
wüßte,
Zweiter Band. E e e
II. Beweis der nothwendigen Trennung Japans von der uͤbrigen Welt.
krummen Spießen und Dolchen, mit denen ſie ihn in der Naͤhe anfallen. Die leztern ſind beſonders ſo ſcharf, daß ſie mit einem leichten Hieb einen menſchlichen Koͤrper zertheilen koͤnnen. Sie ſind auch mit beſondrer Kunſt gemacht, daher es ehmals verboten war, ſie außer Landes zu fuͤhren, oder an Fremde zu verkaufen, bey Lebensſtrafe des Verkaͤufers und aller, die den Handel etwa hindern konten.
Außerdem iſt die Nation ausnehmend hart und gewohnt, Arbeit zu ertragen, mit ſchlechten Waldkraͤutern, Meergras und Schildkroͤten ihren Hunger, mit Waſſer ihren Durſt zu ſtillen, mit nakten Fuͤßen und Kopf einherzugehn; ohne Hemder, ohne weiche Kuͤſſen ſchlafen ſie auf der Erde, und einem Holzklotze ſtat des Kopfkuͤſſens. Kalte Naͤchte koͤnnen ſie durchwachen. Uebrigens aber ſind ſie bei ihrer Kleidung, Koͤrper, Sitten und Wohnung ausnehmend rein und niedlich.
Daher bin ich auch gar nicht der Meynung, daß die Japaner von den weichlichen Sineſern abſtammen, und ſicher kan dieſes niemand glauben, der, uneingenommen von der Auktoritaͤt des erſten Reiſebeſchreibers, im Lande ſelbſt genauere Kentniſſe einzieht. Dieſe Nation hat ein tatariſches, aber gezaͤhmtes und ausgebildetes Genie, ein tatariſches Blut, das aber mit ſineſiſchem gemiſcht iſt, wie ich in der Beſchreibung von Japan noch weiter zeigen werde.
§. 3.
Eine Nation, die auf die Art durch Lage und Charakter gegen aͤußere Anfaͤlle be- veſtigt und unuͤberwindlich gemacht iſt, wuͤrde es indes doch vergebens verſuchen, ihre Gaͤſte und Feinde gleich ſtreng einzuſchraͤnken, wenn ſie nicht innerhalb ihrer eignen Graͤn- zen zufrieden und gluͤklicher (als durch die Gemeinſchaft mit Fremden) leben koͤnte. Daß ſie dieſes koͤnne, bekent die Nation ſelbſt, ſeit ſie die Thore ihres Landes verſchloſſen hat, und jeder von uns kan ſich davon auch leicht uͤberzeugen, wenn er nun noch die uͤbrigen Vor- theile dieſes Landes erwaͤgt. Denn es hat (welches gewis eine der erſten Gluͤkſeligkeiten iſt) eine ſolche Lage, daß es weder von einer zu brennenden Hitze, noch einer eben ſo ſchaͤdlichen Kaͤlte leiden darf. Denn nirgend iſt das Klima gelinder, und die Erde fruchtbarer, als in denen Laͤndern, welche zwiſchen dem 30 und 40ſten Gr. der Breite liegen. Aber es iſt doch, koͤnte man einwerfen, ein unebnes, felſigtes, bergichtes und rauhes Land, das, wenn es ſich allein uͤberlaſſen waͤre, nothwendig unfruchtbar ſeyn muͤßte. Aber dies iſt gerade eine Wohlthat der Natur, daß die Fehler des Landes den Bewohnern Gelegenheit geben, ihre Tugenden, Fleis und Genuͤgſamkeit zu uͤben. Nie wird man hier ſo harte Felſen, ſo hohe Gipfel der Berge finden, denen nicht unter dieſem fruchtbaren Himmels- ſtriche der fleißige Ackersman durch Schweis und Arbeit einen jaͤhrlichen Tribut zu entlocken
wuͤßte,
Zweiter Band. E e e
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II. Beweis der nothwendigen Trennung Japans von der uͤbrigen Welt.
krummen Spießen und Dolchen, mit denen ſie ihn in der Naͤhe anfallen. Die leztern ſind
beſonders ſo ſcharf, daß ſie mit einem leichten Hieb einen menſchlichen Koͤrper zertheilen
koͤnnen. Sie ſind auch mit beſondrer Kunſt gemacht, daher es ehmals verboten war, ſie
außer Landes zu fuͤhren, oder an Fremde zu verkaufen, bey Lebensſtrafe des Verkaͤufers und
aller, die den Handel etwa hindern konten.
Außerdem iſt die Nation ausnehmend hart und gewohnt, Arbeit zu ertragen, mit
ſchlechten Waldkraͤutern, Meergras und Schildkroͤten ihren Hunger, mit Waſſer ihren
Durſt zu ſtillen, mit nakten Fuͤßen und Kopf einherzugehn; ohne Hemder, ohne weiche
Kuͤſſen ſchlafen ſie auf der Erde, und einem Holzklotze ſtat des Kopfkuͤſſens. Kalte Naͤchte
koͤnnen ſie durchwachen. Uebrigens aber ſind ſie bei ihrer Kleidung, Koͤrper, Sitten und
Wohnung ausnehmend rein und niedlich.
Daher bin ich auch gar nicht der Meynung, daß die Japaner von den weichlichen
Sineſern abſtammen, und ſicher kan dieſes niemand glauben, der, uneingenommen von
der Auktoritaͤt des erſten Reiſebeſchreibers, im Lande ſelbſt genauere Kentniſſe einzieht.
Dieſe Nation hat ein tatariſches, aber gezaͤhmtes und ausgebildetes Genie, ein tatariſches
Blut, das aber mit ſineſiſchem gemiſcht iſt, wie ich in der Beſchreibung von Japan noch
weiter zeigen werde.
§. 3.
Eine Nation, die auf die Art durch Lage und Charakter gegen aͤußere Anfaͤlle be-
veſtigt und unuͤberwindlich gemacht iſt, wuͤrde es indes doch vergebens verſuchen, ihre
Gaͤſte und Feinde gleich ſtreng einzuſchraͤnken, wenn ſie nicht innerhalb ihrer eignen Graͤn-
zen zufrieden und gluͤklicher (als durch die Gemeinſchaft mit Fremden) leben koͤnte. Daß
ſie dieſes koͤnne, bekent die Nation ſelbſt, ſeit ſie die Thore ihres Landes verſchloſſen hat,
und jeder von uns kan ſich davon auch leicht uͤberzeugen, wenn er nun noch die uͤbrigen Vor-
theile dieſes Landes erwaͤgt. Denn es hat (welches gewis eine der erſten Gluͤkſeligkeiten iſt)
eine ſolche Lage, daß es weder von einer zu brennenden Hitze, noch einer eben ſo ſchaͤdlichen
Kaͤlte leiden darf. Denn nirgend iſt das Klima gelinder, und die Erde fruchtbarer, als
in denen Laͤndern, welche zwiſchen dem 30 und 40ſten Gr. der Breite liegen. Aber es iſt
doch, koͤnte man einwerfen, ein unebnes, felſigtes, bergichtes und rauhes Land, das,
wenn es ſich allein uͤberlaſſen waͤre, nothwendig unfruchtbar ſeyn muͤßte. Aber dies iſt
gerade eine Wohlthat der Natur, daß die Fehler des Landes den Bewohnern Gelegenheit
geben, ihre Tugenden, Fleis und Genuͤgſamkeit zu uͤben. Nie wird man hier ſo harte
Felſen, ſo hohe Gipfel der Berge finden, denen nicht unter dieſem fruchtbaren Himmels-
ſtriche der fleißige Ackersman durch Schweis und Arbeit einen jaͤhrlichen Tribut zu entlocken
wuͤßte,
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/457>, abgerufen am 22.07.2024.
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