Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.Kämpfers Geschichte von Japan. Fünftes Buch. auf. Außer dem niedrigen Flus, wo wir durch musten, lief unser Weg durch einen mitnicht wenig Dörfern besezten meist fruchtbaren Grund, die bewohntesten und fürnehmsten derselben waren: 1) Das Dorf Tsisj oder Tsisicku von etwa 150, und nach anderthalb Meilen, 2) Das Städtchen Kowasacki von mehr als 300 Häusern, wo wir einen gelind fließenden Strohm mit Prahmen übersezten, zu dem jenseitigen kleinen Dorfe. 3) Tookingo. Hier hielt man viele Kähne, deren man sich auf der See zu fischen bediente, in Bereitschaft. 4) Tsuno moori, ein kleines Fischerdorf anderthalb Meilen vom vorigen; wo wir zur Erholung ein wenig verweileten. Da der Seegrund von Canagawa bis Jedo sumpfig, gar nicht tief und daher zur Ebbezeit an vielen Stellen von Wasser ganz entblößet ist, so werden verzüglich bei diesem Dorfe die hinterbliebenen Muscheln, Meerschnecken und Seekräuter (algae) zur Speise eingesamlet, so, daß dies Dorf wegen des Muschel- sanges berühmt ist. Jch habe das Seekraut (algam) so zubereiten sehen. Die aufge- brachten Muscheln sind mit zweierlei Sorten von Seekraut, einer grünen und feinen und einer andern etwas röthlichen und breiten bewachsen; beide wurden davon abgerissen, jedoch jede allein gelassen, so wie auch eine jede in einem Küben mit frischem Wasser wohl durch- gespült. Die grüne legte man alsdann auf ein Holz, zerkerbte sie mit einem großen Mes- ser, wie Tobak, ganz fein, spülte sie nochmals, fülte sie in ein viereckigtes zwei Fus lan- ges und breites hölzernes Sieb, sprüzte einige mal Wasser darüber, wodurch es sich fester an einander schlos, stürzte es hierauf auf ein von Rohr gemachtes Gitter oder Art von ei- nem Kamm um, drükte es mit den Händen gelinde zusammen, und sezte es endlich in die Sonne zum troknen. Die röthliche Sorte, wovon es nicht viel gab, wurde ohnzerkerbt auf eben die Weise behandelt und zu Kuchen gemacht, und sodann, wenn sie trocken ge- worden, zum Verkauf eingepakt. Am Ende eben dieses Dorfs stand ein Fatzmann oder Martistempel, in dessen Mitte ein schwarzer glatter Feldstein, den man den berühmten Susu no Jsj, d. i. den Stein in Susu nante, auf einem Gestelle von Bambus Knie hoch erhaben lag, und zu Be- warheitung einer heidnischen Fabel dem andächtigen Pilgrim vorgewiesen wurde. Hinter selbigem hieng ein Kettenförmig zerschnittenes und geflochtenes weißes Papier, so daß man in der Tiefe des Tempels nichts erkennen konte: oben an der Hintermauer aber ein bloßer Säbel in die Quere, nebst zwei ausgeschnizten kleinen Figuren eines Pferdes, davon die Vor- stellung in der vorhin gedachten Fabel gegründet war. 5) Die Jedosche Vorstadt Sinagava, welche von Jedo oder dessen Hauptbrücke (Nipon basj, d. i. die Brücke von Japan genant) zwei Meilen entfernt gehalten wird, jedoch mit selbiger, wie Fudsimi mit Miaco, zusammenhängt, und also für eine würkliche Vor-
Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Fuͤnftes Buch. auf. Außer dem niedrigen Flus, wo wir durch muſten, lief unſer Weg durch einen mitnicht wenig Doͤrfern beſezten meiſt fruchtbaren Grund, die bewohnteſten und fuͤrnehmſten derſelben waren: 1) Das Dorf Tſiſj oder Tſiſicku von etwa 150, und nach anderthalb Meilen, 2) Das Staͤdtchen Kowaſacki von mehr als 300 Haͤuſern, wo wir einen gelind fließenden Strohm mit Prahmen uͤberſezten, zu dem jenſeitigen kleinen Dorfe. 3) Tookingo. Hier hielt man viele Kaͤhne, deren man ſich auf der See zu fiſchen bediente, in Bereitſchaft. 4) Tſuno moori, ein kleines Fiſcherdorf anderthalb Meilen vom vorigen; wo wir zur Erholung ein wenig verweileten. Da der Seegrund von Canagawa bis Jedo ſumpfig, gar nicht tief und daher zur Ebbezeit an vielen Stellen von Waſſer ganz entbloͤßet iſt, ſo werden verzuͤglich bei dieſem Dorfe die hinterbliebenen Muſcheln, Meerſchnecken und Seekraͤuter (algae) zur Speiſe eingeſamlet, ſo, daß dies Dorf wegen des Muſchel- ſanges beruͤhmt iſt. Jch habe das Seekraut (algam) ſo zubereiten ſehen. Die aufge- brachten Muſcheln ſind mit zweierlei Sorten von Seekraut, einer gruͤnen und feinen und einer andern etwas roͤthlichen und breiten bewachſen; beide wurden davon abgeriſſen, jedoch jede allein gelaſſen, ſo wie auch eine jede in einem Kuͤben mit friſchem Waſſer wohl durch- geſpuͤlt. Die gruͤne legte man alsdann auf ein Holz, zerkerbte ſie mit einem großen Meſ- ſer, wie Tobak, ganz fein, ſpuͤlte ſie nochmals, fuͤlte ſie in ein viereckigtes zwei Fus lan- ges und breites hoͤlzernes Sieb, ſpruͤzte einige mal Waſſer daruͤber, wodurch es ſich feſter an einander ſchlos, ſtuͤrzte es hierauf auf ein von Rohr gemachtes Gitter oder Art von ei- nem Kamm um, druͤkte es mit den Haͤnden gelinde zuſammen, und ſezte es endlich in die Sonne zum troknen. Die roͤthliche Sorte, wovon es nicht viel gab, wurde ohnzerkerbt auf eben die Weiſe behandelt und zu Kuchen gemacht, und ſodann, wenn ſie trocken ge- worden, zum Verkauf eingepakt. Am Ende eben dieſes Dorfs ſtand ein Fatzmann oder Martistempel, in deſſen Mitte ein ſchwarzer glatter Feldſtein, den man den beruͤhmten Suſu no Jſj, d. i. den Stein in Suſu nante, auf einem Geſtelle von Bambus Knie hoch erhaben lag, und zu Be- warheitung einer heidniſchen Fabel dem andaͤchtigen Pilgrim vorgewieſen wurde. Hinter ſelbigem hieng ein Kettenfoͤrmig zerſchnittenes und geflochtenes weißes Papier, ſo daß man in der Tiefe des Tempels nichts erkennen konte: oben an der Hintermauer aber ein bloßer Saͤbel in die Quere, nebſt zwei ausgeſchnizten kleinen Figuren eines Pferdes, davon die Vor- ſtellung in der vorhin gedachten Fabel gegruͤndet war. 5) Die Jedoſche Vorſtadt Sinagava, welche von Jedo oder deſſen Hauptbruͤcke (Nipon baſj, d. i. die Bruͤcke von Japan genant) zwei Meilen entfernt gehalten wird, jedoch mit ſelbiger, wie Fudſimi mit Miaco, zuſammenhaͤngt, und alſo fuͤr eine wuͤrkliche Vor-
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Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Fuͤnftes Buch.
auf. Außer dem niedrigen Flus, wo wir durch muſten, lief unſer Weg durch einen mit
nicht wenig Doͤrfern beſezten meiſt fruchtbaren Grund, die bewohnteſten und fuͤrnehmſten
derſelben waren:
1) Das Dorf Tſiſj oder Tſiſicku von etwa 150, und nach anderthalb Meilen,
2) Das Staͤdtchen Kowaſacki von mehr als 300 Haͤuſern, wo wir einen gelind
fließenden Strohm mit Prahmen uͤberſezten, zu dem jenſeitigen kleinen Dorfe.
3) Tookingo. Hier hielt man viele Kaͤhne, deren man ſich auf der See zu fiſchen
bediente, in Bereitſchaft.
4) Tſuno moori, ein kleines Fiſcherdorf anderthalb Meilen vom vorigen; wo
wir zur Erholung ein wenig verweileten. Da der Seegrund von Canagawa bis Jedo
ſumpfig, gar nicht tief und daher zur Ebbezeit an vielen Stellen von Waſſer ganz entbloͤßet
iſt, ſo werden verzuͤglich bei dieſem Dorfe die hinterbliebenen Muſcheln, Meerſchnecken
und Seekraͤuter (algae) zur Speiſe eingeſamlet, ſo, daß dies Dorf wegen des Muſchel-
ſanges beruͤhmt iſt. Jch habe das Seekraut (algam) ſo zubereiten ſehen. Die aufge-
brachten Muſcheln ſind mit zweierlei Sorten von Seekraut, einer gruͤnen und feinen und
einer andern etwas roͤthlichen und breiten bewachſen; beide wurden davon abgeriſſen, jedoch
jede allein gelaſſen, ſo wie auch eine jede in einem Kuͤben mit friſchem Waſſer wohl durch-
geſpuͤlt. Die gruͤne legte man alsdann auf ein Holz, zerkerbte ſie mit einem großen Meſ-
ſer, wie Tobak, ganz fein, ſpuͤlte ſie nochmals, fuͤlte ſie in ein viereckigtes zwei Fus lan-
ges und breites hoͤlzernes Sieb, ſpruͤzte einige mal Waſſer daruͤber, wodurch es ſich feſter
an einander ſchlos, ſtuͤrzte es hierauf auf ein von Rohr gemachtes Gitter oder Art von ei-
nem Kamm um, druͤkte es mit den Haͤnden gelinde zuſammen, und ſezte es endlich in die
Sonne zum troknen. Die roͤthliche Sorte, wovon es nicht viel gab, wurde ohnzerkerbt
auf eben die Weiſe behandelt und zu Kuchen gemacht, und ſodann, wenn ſie trocken ge-
worden, zum Verkauf eingepakt.
Am Ende eben dieſes Dorfs ſtand ein Fatzmann oder Martistempel, in deſſen
Mitte ein ſchwarzer glatter Feldſtein, den man den beruͤhmten Suſu no Jſj, d. i. den
Stein in Suſu nante, auf einem Geſtelle von Bambus Knie hoch erhaben lag, und zu Be-
warheitung einer heidniſchen Fabel dem andaͤchtigen Pilgrim vorgewieſen wurde. Hinter
ſelbigem hieng ein Kettenfoͤrmig zerſchnittenes und geflochtenes weißes Papier, ſo daß
man in der Tiefe des Tempels nichts erkennen konte: oben an der Hintermauer aber ein bloßer
Saͤbel in die Quere, nebſt zwei ausgeſchnizten kleinen Figuren eines Pferdes, davon die Vor-
ſtellung in der vorhin gedachten Fabel gegruͤndet war.
5) Die Jedoſche Vorſtadt Sinagava, welche von Jedo oder deſſen Hauptbruͤcke
(Nipon baſj, d. i. die Bruͤcke von Japan genant) zwei Meilen entfernt gehalten wird,
jedoch mit ſelbiger, wie Fudſimi mit Miaco, zuſammenhaͤngt, und alſo fuͤr eine wuͤrkliche
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