Drittes Kap. Beschreibung der weltlichen und geistlichen Gebände.
Die weißen Mauren, Bastionen und Thore, auf welchen Häuser von zwei oder mehr Etagen stehen, und besonders der gekränzte schöne Thurm der inneren Vestung, -- dies alles leuchtet von weitem vortreflich in die Augen.
Außerhalb den Vestungen siehet man einen weiten ledigen Plaz, Oo te guts, d. i. der große äußere Mund genant, welcher zur Versamlung und Musterung des Vol- kes dienen sol.
Gegen die Macht inländischer Belagerungen und Kriege, die ohne grobes Geschütz geführt werden, sind daher diese Schlösser wohl hinlänglich wehrbar.
Es werden dieselben im Bau sehr wohl unterhalten, Hauptverbesserungen aber dürfen ohne Vorwissen und Erlaubniß des Kaisers so wenig vorgenommen, als an irgend einem Orte des Reichs ein neues Schlos angelegt werden.
Die Residenzschlösser liegen allemal bei einer ziemlich großen Stadt, welche sie ge- meiniglich in Form eines halben Mondes umgiebt.
Die Städte sind fast alle stark bebauet und sehr volkreich; ihre Gassen gehen ge- rade sowol in die Quere als Länge und so regelmäßig, als wenn sie alle auf einmal angelegt wären. Mauren, Wälle oder Graben siehet man nicht. Die zwei Stadtthore sind nicht besser, als die, womit man des Nachts die Gassen verschließt. Vor denselben findet man bisweilen ein Stük Walles nur zum Zierrath aufgeworfen. Jn einer Fürstlichen Residenz- stadt sind diese zwei Thore besser angelegt, und zur Ehre des Landsherrn mit einer ansehnli- chen Schloswache besezt. Der übrige Theil der Stadt nach dem Felde zu ist offen und gar selten mit einem Zaun oder tiefen Graben umgeben. Die Kaiserlichen Gränzstädte, ob sie gleich an den Seiten nicht durch die Kunst bevestigt sind, haben an ihren engen Pässen, die man nicht vermeiden kan, starke Thore, welche mit einer Kaiserlichen Jnquisitionswa- che besezt sind. An Residenzstädte, die wir auf unserer Reise entweder durch- oder vorbei- passirt sind, auch nur zum Theil von ferne gesehen, habe ich 33, von übrigen Städten und großen Flecken 75 bis 80 gezählt, ohne verschiedene Palläste, die nur von Landdrosten be- wohnt werden, auch wol für auf- und abreisende große Herren zum Nachtlager angelegt sind. Ueber die vielen Kramhäuser in den Städten, womit oft ganze Gassen nach der Länge besezt sind, mus man sich sehr verwundern, weil nicht zu begreifen ist, woher die Käufer kommen, durch welche so viele Verkäufer ernährt werden.
Jn den an den Landstraßen der großen Jnsel Nipon gelegenen Dörfern trift man wenig Ackerleute, mehr aber sonst Einwohner von verschiednem Stande an, die davon le- ben, daß sie im Taglohn arbeiten, oder Knechtsdienste verrichten, auch wol den Reisenden allerhand Kleinigkeiten verkaufen. Es bestehen daher diese Dörfer nur aus einer langen Gasse, durch welche zu beiden Seiten die Landstraße hingehet. Wegen der Länge der Gassen reicht öfters ein Dorf fast bis an das andere, welches etwa eine viertel Meile da-
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Drittes Kap. Beſchreibung der weltlichen und geiſtlichen Gebaͤnde.
Die weißen Mauren, Baſtionen und Thore, auf welchen Haͤuſer von zwei oder mehr Etagen ſtehen, und beſonders der gekraͤnzte ſchoͤne Thurm der inneren Veſtung, — dies alles leuchtet von weitem vortreflich in die Augen.
Außerhalb den Veſtungen ſiehet man einen weiten ledigen Plaz, Oo te guts, d. i. der große aͤußere Mund genant, welcher zur Verſamlung und Muſterung des Vol- kes dienen ſol.
Gegen die Macht inlaͤndiſcher Belagerungen und Kriege, die ohne grobes Geſchuͤtz gefuͤhrt werden, ſind daher dieſe Schloͤſſer wohl hinlaͤnglich wehrbar.
Es werden dieſelben im Bau ſehr wohl unterhalten, Hauptverbeſſerungen aber duͤrfen ohne Vorwiſſen und Erlaubniß des Kaiſers ſo wenig vorgenommen, als an irgend einem Orte des Reichs ein neues Schlos angelegt werden.
Die Reſidenzſchloͤſſer liegen allemal bei einer ziemlich großen Stadt, welche ſie ge- meiniglich in Form eines halben Mondes umgiebt.
Die Staͤdte ſind faſt alle ſtark bebauet und ſehr volkreich; ihre Gaſſen gehen ge- rade ſowol in die Quere als Laͤnge und ſo regelmaͤßig, als wenn ſie alle auf einmal angelegt waͤren. Mauren, Waͤlle oder Graben ſiehet man nicht. Die zwei Stadtthore ſind nicht beſſer, als die, womit man des Nachts die Gaſſen verſchließt. Vor denſelben findet man bisweilen ein Stuͤk Walles nur zum Zierrath aufgeworfen. Jn einer Fuͤrſtlichen Reſidenz- ſtadt ſind dieſe zwei Thore beſſer angelegt, und zur Ehre des Landsherrn mit einer anſehnli- chen Schloswache beſezt. Der uͤbrige Theil der Stadt nach dem Felde zu iſt offen und gar ſelten mit einem Zaun oder tiefen Graben umgeben. Die Kaiſerlichen Graͤnzſtaͤdte, ob ſie gleich an den Seiten nicht durch die Kunſt beveſtigt ſind, haben an ihren engen Paͤſſen, die man nicht vermeiden kan, ſtarke Thore, welche mit einer Kaiſerlichen Jnquiſitionswa- che beſezt ſind. An Reſidenzſtaͤdte, die wir auf unſerer Reiſe entweder durch- oder vorbei- paſſirt ſind, auch nur zum Theil von ferne geſehen, habe ich 33, von uͤbrigen Staͤdten und großen Flecken 75 bis 80 gezaͤhlt, ohne verſchiedene Pallaͤſte, die nur von Landdroſten be- wohnt werden, auch wol fuͤr auf- und abreiſende große Herren zum Nachtlager angelegt ſind. Ueber die vielen Kramhaͤuſer in den Staͤdten, womit oft ganze Gaſſen nach der Laͤnge beſezt ſind, mus man ſich ſehr verwundern, weil nicht zu begreifen iſt, woher die Kaͤufer kommen, durch welche ſo viele Verkaͤufer ernaͤhrt werden.
Jn den an den Landſtraßen der großen Jnſel Nipon gelegenen Doͤrfern trift man wenig Ackerleute, mehr aber ſonſt Einwohner von verſchiednem Stande an, die davon le- ben, daß ſie im Taglohn arbeiten, oder Knechtsdienſte verrichten, auch wol den Reiſenden allerhand Kleinigkeiten verkaufen. Es beſtehen daher dieſe Doͤrfer nur aus einer langen Gaſſe, durch welche zu beiden Seiten die Landſtraße hingehet. Wegen der Laͤnge der Gaſſen reicht oͤfters ein Dorf faſt bis an das andere, welches etwa eine viertel Meile da-
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Drittes Kap. Beſchreibung der weltlichen und geiſtlichen Gebaͤnde.
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mehr Etagen ſtehen, und beſonders der gekraͤnzte ſchoͤne Thurm der inneren Veſtung, —
dies alles leuchtet von weitem vortreflich in die Augen.
Außerhalb den Veſtungen ſiehet man einen weiten ledigen Plaz, Oo te guts,
d. i. der große aͤußere Mund genant, welcher zur Verſamlung und Muſterung des Vol-
kes dienen ſol.
Gegen die Macht inlaͤndiſcher Belagerungen und Kriege, die ohne grobes Geſchuͤtz
gefuͤhrt werden, ſind daher dieſe Schloͤſſer wohl hinlaͤnglich wehrbar.
Es werden dieſelben im Bau ſehr wohl unterhalten, Hauptverbeſſerungen aber
duͤrfen ohne Vorwiſſen und Erlaubniß des Kaiſers ſo wenig vorgenommen, als an irgend
einem Orte des Reichs ein neues Schlos angelegt werden.
Die Reſidenzſchloͤſſer liegen allemal bei einer ziemlich großen Stadt, welche ſie ge-
meiniglich in Form eines halben Mondes umgiebt.
Die Staͤdte ſind faſt alle ſtark bebauet und ſehr volkreich; ihre Gaſſen gehen ge-
rade ſowol in die Quere als Laͤnge und ſo regelmaͤßig, als wenn ſie alle auf einmal angelegt
waͤren. Mauren, Waͤlle oder Graben ſiehet man nicht. Die zwei Stadtthore ſind nicht
beſſer, als die, womit man des Nachts die Gaſſen verſchließt. Vor denſelben findet man
bisweilen ein Stuͤk Walles nur zum Zierrath aufgeworfen. Jn einer Fuͤrſtlichen Reſidenz-
ſtadt ſind dieſe zwei Thore beſſer angelegt, und zur Ehre des Landsherrn mit einer anſehnli-
chen Schloswache beſezt. Der uͤbrige Theil der Stadt nach dem Felde zu iſt offen und gar
ſelten mit einem Zaun oder tiefen Graben umgeben. Die Kaiſerlichen Graͤnzſtaͤdte, ob
ſie gleich an den Seiten nicht durch die Kunſt beveſtigt ſind, haben an ihren engen Paͤſſen,
die man nicht vermeiden kan, ſtarke Thore, welche mit einer Kaiſerlichen Jnquiſitionswa-
che beſezt ſind. An Reſidenzſtaͤdte, die wir auf unſerer Reiſe entweder durch- oder vorbei-
paſſirt ſind, auch nur zum Theil von ferne geſehen, habe ich 33, von uͤbrigen Staͤdten und
großen Flecken 75 bis 80 gezaͤhlt, ohne verſchiedene Pallaͤſte, die nur von Landdroſten be-
wohnt werden, auch wol fuͤr auf- und abreiſende große Herren zum Nachtlager angelegt
ſind. Ueber die vielen Kramhaͤuſer in den Staͤdten, womit oft ganze Gaſſen nach der
Laͤnge beſezt ſind, mus man ſich ſehr verwundern, weil nicht zu begreifen iſt, woher die
Kaͤufer kommen, durch welche ſo viele Verkaͤufer ernaͤhrt werden.
Jn den an den Landſtraßen der großen Jnſel Nipon gelegenen Doͤrfern trift man
wenig Ackerleute, mehr aber ſonſt Einwohner von verſchiednem Stande an, die davon le-
ben, daß ſie im Taglohn arbeiten, oder Knechtsdienſte verrichten, auch wol den Reiſenden
allerhand Kleinigkeiten verkaufen. Es beſtehen daher dieſe Doͤrfer nur aus einer langen
Gaſſe, durch welche zu beiden Seiten die Landſtraße hingehet. Wegen der Laͤnge der
Gaſſen reicht oͤfters ein Dorf faſt bis an das andere, welches etwa eine viertel Meile da-
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/181>, abgerufen am 22.07.2024.
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