Drittes Kapitel. Von den Rebi der Sinto, d. i. ihren glüklichen und heiligen Tagen und der Feyer derselben.
Der dritte wesentliche Theil der Sintoreligion ist die Feier ihrer heiligen Tage, welche genant wird Majiru, und besteht in der Besuchung der Tempel oder Mia's der Götter und verstorbnen großen Männer. Diese kan zu jeder Zeit, mus aber allemal an denen ordentlichen, so genanten Glüks-oder heiligen Tagen geschehn, wenn es nicht anders eine der beschriebnen Unreinigkeiten, die den Göttern ein Greuel sind, verhindert. Sehr scrupuleuse Personen rechnen auch zu diesen den Göttern misfälligen Beschaffenheiten alle unglükliche Vorfälle, oder solche, die nur einigermaßen das Gemüth der Menschen betrübt machen. Sie glauben nehmlich, daß die Götter in dem unterbrochnen Zustande der Freude und Glükseligkeit, worin sie sich befinden, würden gestört werden, wenn ihnen ihre Anbä- ter solche Herzen zeigen, die durch Flecken des Kummers und der Traurigkeit verunreini- get sind.
Die gewöhnlichste Verehrung der Götter geschieht nun auf folgende Weise. Der fromme Anbäter mus zuförderst seinen Leib recht waschen und reinigen, alsdenn ein sauberes Kleid (nach jedes Vermögen) anthun, und es noch mit einem Kami Sjimo (d. i. Cere- moniel-oder Gallarok) überziehn. Alsdann geht er mit feierlicher, ernster Mine nach dem Tempelhofe, und zuerst zu dem daselbst stehenden steinernen Wasserfasse, aus dem er mit dem beiliegenden Gefäs Wasser schöpfet, und nach Belieben seine Hände noch einmal wäscht. Nun erst trit er mit ehrerbietigen Geberden und ganz niedergeschlagnen Augen auf den erhabnen Estrich oder die Gallerie vor dem Tempel, wendet sich gegen den großen Spiegel desselben, kniet nieder, und beugt mit vieler Demut sein Haupt langsam zur Erde
nieder.
Drittes Kapitel. Von den Rebi der Sinto, d. i. ihren gluͤklichen und heiligen Tagen und der Feyer derſelben.
Der dritte weſentliche Theil der Sintoreligion iſt die Feier ihrer heiligen Tage, welche genant wird Majiru, und beſteht in der Beſuchung der Tempel oder Mia’s der Goͤtter und verſtorbnen großen Maͤnner. Dieſe kan zu jeder Zeit, mus aber allemal an denen ordentlichen, ſo genanten Gluͤks-oder heiligen Tagen geſchehn, wenn es nicht anders eine der beſchriebnen Unreinigkeiten, die den Goͤttern ein Greuel ſind, verhindert. Sehr ſcrupuleuſe Perſonen rechnen auch zu dieſen den Goͤttern misfaͤlligen Beſchaffenheiten alle ungluͤkliche Vorfaͤlle, oder ſolche, die nur einigermaßen das Gemuͤth der Menſchen betruͤbt machen. Sie glauben nehmlich, daß die Goͤtter in dem unterbrochnen Zuſtande der Freude und Gluͤkſeligkeit, worin ſie ſich befinden, wuͤrden geſtoͤrt werden, wenn ihnen ihre Anbaͤ- ter ſolche Herzen zeigen, die durch Flecken des Kummers und der Traurigkeit verunreini- get ſind.
Die gewoͤhnlichſte Verehrung der Goͤtter geſchieht nun auf folgende Weiſe. Der fromme Anbaͤter mus zufoͤrderſt ſeinen Leib recht waſchen und reinigen, alsdenn ein ſauberes Kleid (nach jedes Vermoͤgen) anthun, und es noch mit einem Kami Sjimo (d. i. Cere- moniel-oder Gallarok) uͤberziehn. Alsdann geht er mit feierlicher, ernſter Mine nach dem Tempelhofe, und zuerſt zu dem daſelbſt ſtehenden ſteinernen Waſſerfaſſe, aus dem er mit dem beiliegenden Gefaͤs Waſſer ſchoͤpfet, und nach Belieben ſeine Haͤnde noch einmal waͤſcht. Nun erſt trit er mit ehrerbietigen Geberden und ganz niedergeſchlagnen Augen auf den erhabnen Eſtrich oder die Gallerie vor dem Tempel, wendet ſich gegen den großen Spiegel deſſelben, kniet nieder, und beugt mit vieler Demut ſein Haupt langſam zur Erde
nieder.
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Drittes Kapitel.
Von den Rebi der Sinto, d. i. ihren gluͤklichen und
heiligen Tagen und der Feyer derſelben.
Der dritte weſentliche Theil der Sintoreligion iſt die Feier ihrer heiligen Tage, welche
genant wird Majiru, und beſteht in der Beſuchung der Tempel oder Mia’s der
Goͤtter und verſtorbnen großen Maͤnner. Dieſe kan zu jeder Zeit, mus aber allemal an
denen ordentlichen, ſo genanten Gluͤks-oder heiligen Tagen geſchehn, wenn es nicht anders
eine der beſchriebnen Unreinigkeiten, die den Goͤttern ein Greuel ſind, verhindert. Sehr
ſcrupuleuſe Perſonen rechnen auch zu dieſen den Goͤttern misfaͤlligen Beſchaffenheiten alle
ungluͤkliche Vorfaͤlle, oder ſolche, die nur einigermaßen das Gemuͤth der Menſchen betruͤbt
machen. Sie glauben nehmlich, daß die Goͤtter in dem unterbrochnen Zuſtande der Freude
und Gluͤkſeligkeit, worin ſie ſich befinden, wuͤrden geſtoͤrt werden, wenn ihnen ihre Anbaͤ-
ter ſolche Herzen zeigen, die durch Flecken des Kummers und der Traurigkeit verunreini-
get ſind.
Die gewoͤhnlichſte Verehrung der Goͤtter geſchieht nun auf folgende Weiſe. Der
fromme Anbaͤter mus zufoͤrderſt ſeinen Leib recht waſchen und reinigen, alsdenn ein ſauberes
Kleid (nach jedes Vermoͤgen) anthun, und es noch mit einem Kami Sjimo (d. i. Cere-
moniel-oder Gallarok) uͤberziehn. Alsdann geht er mit feierlicher, ernſter Mine nach
dem Tempelhofe, und zuerſt zu dem daſelbſt ſtehenden ſteinernen Waſſerfaſſe, aus dem er
mit dem beiliegenden Gefaͤs Waſſer ſchoͤpfet, und nach Belieben ſeine Haͤnde noch einmal
waͤſcht. Nun erſt trit er mit ehrerbietigen Geberden und ganz niedergeſchlagnen Augen auf
den erhabnen Eſtrich oder die Gallerie vor dem Tempel, wendet ſich gegen den großen
Spiegel deſſelben, kniet nieder, und beugt mit vieler Demut ſein Haupt langſam zur Erde
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/372>, abgerufen am 24.11.2024.
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