Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Vaters, auch ohne Juwelen, ist mein Privilegium auf Ihre Person, das ich nie weggeben werde. Gewiß die angenehmste Versicherung. Sparen Sie die Schmeicheleien bis zu der Zeit, wo ich wünschen werde, sie zu hören. Ihre zürnende Miene war so unverkennbar verstellt, daß ich sie doppelt reizend fand und ihre Hand ergriff, sie zu küssen. Nicht doch, sagte sie und zog sie zurück, die Stunde hat noch nicht geschlagen, wo ich Ihnen meine Zärtlichkeit nach Pflicht und Gewissen in Portionen und Rationen zutheilen werde. 16. Endlich kam Nachricht von Victoiren, daß sie den Tag darauf eintreffen würde. Der ungeduldige Vater bestimmte die Hochzeit für beide Töchter auf den Tag nach ihrer Ankunft. Angelique hatte nichts dagegen. Die nahe Aussicht, ganz die Meinige zu werden, schien ihr mildere Gefühle einzuhauchen, und ich freute mich darüber. Victoire kam Abends spät. Ich wollte ihr noch meine Freude über ihre Ankunft bezeugen. Angelique haschte mich auf. -- Dachte ich's doch, sagte sie; aber Sie sehen sie nicht. Erst wenn ich mit Ihnen vor dem Geistlichen stehe, sollen Sie den Schatz betrachten, den Sie ohne Prüfung verworfen haben, um sich eine Plage, wie ich bin, an den Hals zu ziehen. Vaters, auch ohne Juwelen, ist mein Privilegium auf Ihre Person, das ich nie weggeben werde. Gewiß die angenehmste Versicherung. Sparen Sie die Schmeicheleien bis zu der Zeit, wo ich wünschen werde, sie zu hören. Ihre zürnende Miene war so unverkennbar verstellt, daß ich sie doppelt reizend fand und ihre Hand ergriff, sie zu küssen. Nicht doch, sagte sie und zog sie zurück, die Stunde hat noch nicht geschlagen, wo ich Ihnen meine Zärtlichkeit nach Pflicht und Gewissen in Portionen und Rationen zutheilen werde. 16. Endlich kam Nachricht von Victoiren, daß sie den Tag darauf eintreffen würde. Der ungeduldige Vater bestimmte die Hochzeit für beide Töchter auf den Tag nach ihrer Ankunft. Angelique hatte nichts dagegen. Die nahe Aussicht, ganz die Meinige zu werden, schien ihr mildere Gefühle einzuhauchen, und ich freute mich darüber. Victoire kam Abends spät. Ich wollte ihr noch meine Freude über ihre Ankunft bezeugen. Angelique haschte mich auf. — Dachte ich's doch, sagte sie; aber Sie sehen sie nicht. Erst wenn ich mit Ihnen vor dem Geistlichen stehe, sollen Sie den Schatz betrachten, den Sie ohne Prüfung verworfen haben, um sich eine Plage, wie ich bin, an den Hals zu ziehen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="15"> <p><pb facs="#f0055"/> Vaters, auch ohne Juwelen, ist mein Privilegium auf Ihre Person, das ich nie weggeben werde.</p><lb/> <p>Gewiß die angenehmste Versicherung.</p><lb/> <p>Sparen Sie die Schmeicheleien bis zu der Zeit, wo ich wünschen werde, sie zu hören.</p><lb/> <p>Ihre zürnende Miene war so unverkennbar verstellt, daß ich sie doppelt reizend fand und ihre Hand ergriff, sie zu küssen.</p><lb/> <p>Nicht doch, sagte sie und zog sie zurück, die Stunde hat noch nicht geschlagen, wo ich Ihnen meine Zärtlichkeit nach Pflicht und Gewissen in Portionen und Rationen zutheilen werde.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="16"> <head>16.</head> <p>Endlich kam Nachricht von Victoiren, daß sie den Tag darauf eintreffen würde. Der ungeduldige Vater bestimmte die Hochzeit für beide Töchter auf den Tag nach ihrer Ankunft. Angelique hatte nichts dagegen. Die nahe Aussicht, ganz die Meinige zu werden, schien ihr mildere Gefühle einzuhauchen, und ich freute mich darüber.</p><lb/> <p>Victoire kam Abends spät. Ich wollte ihr noch meine Freude über ihre Ankunft bezeugen. Angelique haschte mich auf. — Dachte ich's doch, sagte sie; aber Sie sehen sie nicht. Erst wenn ich mit Ihnen vor dem Geistlichen stehe, sollen Sie den Schatz betrachten, den Sie ohne Prüfung verworfen haben, um sich eine Plage, wie ich bin, an den Hals zu ziehen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0055]
Vaters, auch ohne Juwelen, ist mein Privilegium auf Ihre Person, das ich nie weggeben werde.
Gewiß die angenehmste Versicherung.
Sparen Sie die Schmeicheleien bis zu der Zeit, wo ich wünschen werde, sie zu hören.
Ihre zürnende Miene war so unverkennbar verstellt, daß ich sie doppelt reizend fand und ihre Hand ergriff, sie zu küssen.
Nicht doch, sagte sie und zog sie zurück, die Stunde hat noch nicht geschlagen, wo ich Ihnen meine Zärtlichkeit nach Pflicht und Gewissen in Portionen und Rationen zutheilen werde.
16. Endlich kam Nachricht von Victoiren, daß sie den Tag darauf eintreffen würde. Der ungeduldige Vater bestimmte die Hochzeit für beide Töchter auf den Tag nach ihrer Ankunft. Angelique hatte nichts dagegen. Die nahe Aussicht, ganz die Meinige zu werden, schien ihr mildere Gefühle einzuhauchen, und ich freute mich darüber.
Victoire kam Abends spät. Ich wollte ihr noch meine Freude über ihre Ankunft bezeugen. Angelique haschte mich auf. — Dachte ich's doch, sagte sie; aber Sie sehen sie nicht. Erst wenn ich mit Ihnen vor dem Geistlichen stehe, sollen Sie den Schatz betrachten, den Sie ohne Prüfung verworfen haben, um sich eine Plage, wie ich bin, an den Hals zu ziehen.
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Zitationshilfe: | Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaehler_schwestern_1910/55>, abgerufen am 16.02.2025. |