Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.15. Zufälliger Weise fand ich in meinem Koffer einen Brief meines Vaters, überschrieben: "An die geliebte Braut meines Sohnes". Die herzliche Sprache eines frohen Vaters wird sie rühren, dachte ich und brachte ihr den Brief. Nicht an mich, sagte sie, denn Sie lieben mich nicht. Keine Betheuerungen -- -- aber ich will den Brief erbrechen, weil ich doch die Stelle einer Geliebteren ersetze. Schön, vortrefflich! rief sie aus, als sie ihn gelesen hatte. Sie haben einen sehr wackeren Vater -- und seine Güte überrascht mich; er muß wissen, daß sich Mädchen gern und Bräute am liebsten putzen. Wollen Sie mir die Juwelen nicht zeigen? Ich blickte sie betroffen an; das Gefühl meiner Unbesonnenheit fiel mir so schwer aufs Herz, daß ich kein Wort sagen konnte. Nun, Sie haben sie doch nicht verloren? Mein Vater muß sie vergessen haben; wollen Sie mir den Brief erlauben? So unheiligen, räuberischen Händen sollte ich dies Document vertrauen? Cousin, lesen Sie ihm den Brief vor. Der Cousin las: "den Solitair und die Armbänder, welche mein Sohn Ihnen mit diesem Briefe übergeben wird, bitte ich --" u. s. w. Ich stand wie vernichtet und verwünschte im 15. Zufälliger Weise fand ich in meinem Koffer einen Brief meines Vaters, überschrieben: „An die geliebte Braut meines Sohnes“. Die herzliche Sprache eines frohen Vaters wird sie rühren, dachte ich und brachte ihr den Brief. Nicht an mich, sagte sie, denn Sie lieben mich nicht. Keine Betheuerungen — — aber ich will den Brief erbrechen, weil ich doch die Stelle einer Geliebteren ersetze. Schön, vortrefflich! rief sie aus, als sie ihn gelesen hatte. Sie haben einen sehr wackeren Vater — und seine Güte überrascht mich; er muß wissen, daß sich Mädchen gern und Bräute am liebsten putzen. Wollen Sie mir die Juwelen nicht zeigen? Ich blickte sie betroffen an; das Gefühl meiner Unbesonnenheit fiel mir so schwer aufs Herz, daß ich kein Wort sagen konnte. Nun, Sie haben sie doch nicht verloren? Mein Vater muß sie vergessen haben; wollen Sie mir den Brief erlauben? So unheiligen, räuberischen Händen sollte ich dies Document vertrauen? Cousin, lesen Sie ihm den Brief vor. Der Cousin las: „den Solitair und die Armbänder, welche mein Sohn Ihnen mit diesem Briefe übergeben wird, bitte ich —“ u. s. w. Ich stand wie vernichtet und verwünschte im <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0052"/> <div type="chapter" n="15"> <head>15.</head> <p>Zufälliger Weise fand ich in meinem Koffer einen Brief meines Vaters, überschrieben: „An die geliebte Braut meines Sohnes“. Die herzliche Sprache eines frohen Vaters wird sie rühren, dachte ich und brachte ihr den Brief.</p><lb/> <p>Nicht an mich, sagte sie, denn Sie lieben mich nicht. Keine Betheuerungen — — aber ich will den Brief erbrechen, weil ich doch die Stelle einer Geliebteren ersetze.</p><lb/> <p>Schön, vortrefflich! rief sie aus, als sie ihn gelesen hatte. Sie haben einen sehr wackeren Vater — und seine Güte überrascht mich; er muß wissen, daß sich Mädchen gern und Bräute am liebsten putzen. Wollen Sie mir die Juwelen nicht zeigen?</p><lb/> <p>Ich blickte sie betroffen an; das Gefühl meiner Unbesonnenheit fiel mir so schwer aufs Herz, daß ich kein Wort sagen konnte.</p><lb/> <p>Nun, Sie haben sie doch nicht verloren?</p><lb/> <p>Mein Vater muß sie vergessen haben; wollen Sie mir den Brief erlauben?</p><lb/> <p>So unheiligen, räuberischen Händen sollte ich dies Document vertrauen? Cousin, lesen Sie ihm den Brief vor.</p><lb/> <p>Der Cousin las: „den Solitair und die Armbänder, welche mein Sohn Ihnen mit diesem Briefe übergeben wird, bitte ich —“ u. s. w.</p><lb/> <p>Ich stand wie vernichtet und verwünschte im<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
15. Zufälliger Weise fand ich in meinem Koffer einen Brief meines Vaters, überschrieben: „An die geliebte Braut meines Sohnes“. Die herzliche Sprache eines frohen Vaters wird sie rühren, dachte ich und brachte ihr den Brief.
Nicht an mich, sagte sie, denn Sie lieben mich nicht. Keine Betheuerungen — — aber ich will den Brief erbrechen, weil ich doch die Stelle einer Geliebteren ersetze.
Schön, vortrefflich! rief sie aus, als sie ihn gelesen hatte. Sie haben einen sehr wackeren Vater — und seine Güte überrascht mich; er muß wissen, daß sich Mädchen gern und Bräute am liebsten putzen. Wollen Sie mir die Juwelen nicht zeigen?
Ich blickte sie betroffen an; das Gefühl meiner Unbesonnenheit fiel mir so schwer aufs Herz, daß ich kein Wort sagen konnte.
Nun, Sie haben sie doch nicht verloren?
Mein Vater muß sie vergessen haben; wollen Sie mir den Brief erlauben?
So unheiligen, räuberischen Händen sollte ich dies Document vertrauen? Cousin, lesen Sie ihm den Brief vor.
Der Cousin las: „den Solitair und die Armbänder, welche mein Sohn Ihnen mit diesem Briefe übergeben wird, bitte ich —“ u. s. w.
Ich stand wie vernichtet und verwünschte im
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T12:26:46Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T12:26:46Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |