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Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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hohe Stirn, und seine eingefallenen, lederfarbigen Wangen seine an sich riesenförmige spitze Nase. Um so kleiner hatte die Natur seine Augen und seinen Mund gebildet; aus jenen blitzte die Lebhaftigkeit eines Franzosen, wie die Strahlen der Sonne durch eine Glinze, und dieser spitzte sich wie eine Rosenknospe, auf gelben Grund gestickt. Er umarmte mich feurig, was ihm bei meiner ansehnlichen Figur nur durch einen Sprung gelang, welchen nur ein Franzose mit Anstand machen kann; und zu meiner Verwunderung strömten aus der Oeffnung, die ihm statt des Mundes diente, so viel verbindliche Worte, daß ich meine Theilnahme durch nichts, als ein abwechselndes Monsieur! -- ah -- pardonnez -- an den Tag legen konnte.

Es war ungefähr die Zeit des Abendessens, und nach einer Viertelstunde servirte ein Bedienter zu zwei Couverts. Gewiß, dachte ich bei mir selbst, hat dieser wackere Mann seine drei Töchter unter Schloß und Riegel, um dir für gute, aufrichtige Waare stehen zu können. Aber, wenn sie ihm ähnlich sind, werden ihre Bildnisse nie in der Gallerie des Louvre hängen, und sie könnten vor Liebhabern nie sicherer sein, als wenn sie gesehen werden.

Zu meiner Zufriedenheit hatte Mr. Gerson so ausgesuchten Wein, daß ich bei der zweiten Flasche vergaß, ich sei nach Bordeaux gekommen, der Venus und den Grazien, nicht dem Bacchus zu opfern. Er selbst trank trotz einem neuen Franzosen und einem

hohe Stirn, und seine eingefallenen, lederfarbigen Wangen seine an sich riesenförmige spitze Nase. Um so kleiner hatte die Natur seine Augen und seinen Mund gebildet; aus jenen blitzte die Lebhaftigkeit eines Franzosen, wie die Strahlen der Sonne durch eine Glinze, und dieser spitzte sich wie eine Rosenknospe, auf gelben Grund gestickt. Er umarmte mich feurig, was ihm bei meiner ansehnlichen Figur nur durch einen Sprung gelang, welchen nur ein Franzose mit Anstand machen kann; und zu meiner Verwunderung strömten aus der Oeffnung, die ihm statt des Mundes diente, so viel verbindliche Worte, daß ich meine Theilnahme durch nichts, als ein abwechselndes Monsieur! — ah — pardonnez — an den Tag legen konnte.

Es war ungefähr die Zeit des Abendessens, und nach einer Viertelstunde servirte ein Bedienter zu zwei Couverts. Gewiß, dachte ich bei mir selbst, hat dieser wackere Mann seine drei Töchter unter Schloß und Riegel, um dir für gute, aufrichtige Waare stehen zu können. Aber, wenn sie ihm ähnlich sind, werden ihre Bildnisse nie in der Gallerie des Louvre hängen, und sie könnten vor Liebhabern nie sicherer sein, als wenn sie gesehen werden.

Zu meiner Zufriedenheit hatte Mr. Gerson so ausgesuchten Wein, daß ich bei der zweiten Flasche vergaß, ich sei nach Bordeaux gekommen, der Venus und den Grazien, nicht dem Bacchus zu opfern. Er selbst trank trotz einem neuen Franzosen und einem

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:26:46Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:26:46Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaehler_schwestern_1910/27>, abgerufen am 24.11.2024.