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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.

Eine völlig übereinstimmende Wiederholung befand sich im
Palast Borja zu Gandia. Dieser Stammsitz der erloschenen
Familie ist noch vorhanden und mit dem Titel an die Herzöge
von Osuna gekommen, die Nachkommen des Todfeindes unseres
Cardinals, welche diesen stattlichen Bau des 15. Jahrhunderts dem
traurigsten Verfall überlassen haben. Nur die Seo bewahrt
noch manche Erinnerungen an den einstigen Glanz des Hauses
und die Anhänglichkeit der Borja's an ihre Heimat. Das
Bildniss haben Palomino und Cean Bermudez dort gesehn,
später ging es in des letztern Besitz über, nach einer hand-
schriftlichen Vermuthung V. Carderera's. Von ihm kam es an
Salamanca, auf dessen erster Versteigerung von 1867 es das Stä-
delsche Institut zu Frankfurt a. M. für 27100 Francs erwarb.

Ein drittes Exemplar (wo er einen schwarzen Anzug trägt)
von flüchtigerer Arbeit, wol ein Atelierbild, ist in Kingston Lacy,
und soll einem Vorfahren des Mr. Bankes von einer Herzogin
von Gandia verehrt worden sein 1). --

Das Frankfurter Exemplar ist vertrauenerweckender als das
Toledaner. In letzterm ist der Ton des Gesichts frischer, röth-
licher, ohne die gelblichen Lichter, die Schatten sind grau
und sehr weich vertrieben; das Roth des mozzetta gesättigter.
Ungewöhnlich ist die dicke Grundirung (daher die Anfänge der
Abblätterung) und der ausgedehnte Gebrauch der Lasuren. --

Diess Bildniss vertritt eine Klasse die sonst im Werk un-
sers Malers nicht vorkommt: den spanischen Hierarchen.

Für die Zeitbestimmung haben wir die Wahl innerhalb des
Jahrzehnts 1636/45: der Cardinal kam in seinem 54. Lebensjahre
nach Spanien zurück. Nach seinem Aussehn würde man das
Bild möglichst gegen das Ende, nach dem Stil eher in den
Beginn dieses Jahrzehnts setzen mögen. Es ist ein magerer Greisen-
kopf von feinem Knochenbau; spärliche graue Haare an den Schlä-
fen, sehr dünner grauer Knebelbart, durch welchen Contour und
Schatten des Kinns durchscheint; breiter Mund: die Nasenspitze
geht tief herunter. Nur der feste durchdringende Blick der Augen
hat nichts greisenhaftes. Vielleicht erscheint der Cardinal älter
als er war, Dank den jahrelangen Aufregungen im Quirinal.

1) In der Sammlung der Handzeichnungen der Nationalbibliothek ist eine
kräftige Kreidezeichnung des Kopfs vom Kinn bis zum Ansatz der Mütze, 91/2 c.
hoch, bezeichnet: Facsimile del estudio que hizo Velazquez para el retrato qn pinto,
y posehia Cean Bermudez. Grösse des Frankfurter Bilds: 62" x 49".
Fünftes Buch.

Eine völlig übereinstimmende Wiederholung befand sich im
Palast Borja zu Gandia. Dieser Stammsitz der erloschenen
Familie ist noch vorhanden und mit dem Titel an die Herzöge
von Osuna gekommen, die Nachkommen des Todfeindes unseres
Cardinals, welche diesen stattlichen Bau des 15. Jahrhunderts dem
traurigsten Verfall überlassen haben. Nur die Seo bewahrt
noch manche Erinnerungen an den einstigen Glanz des Hauses
und die Anhänglichkeit der Borja’s an ihre Heimat. Das
Bildniss haben Palomino und Cean Bermudez dort gesehn,
später ging es in des letztern Besitz über, nach einer hand-
schriftlichen Vermuthung V. Carderera’s. Von ihm kam es an
Salamanca, auf dessen erster Versteigerung von 1867 es das Stä-
delsche Institut zu Frankfurt a. M. für 27100 Francs erwarb.

Ein drittes Exemplar (wo er einen schwarzen Anzug trägt)
von flüchtigerer Arbeit, wol ein Atelierbild, ist in Kingston Lacy,
und soll einem Vorfahren des Mr. Bankes von einer Herzogin
von Gandia verehrt worden sein 1). —

Das Frankfurter Exemplar ist vertrauenerweckender als das
Toledaner. In letzterm ist der Ton des Gesichts frischer, röth-
licher, ohne die gelblichen Lichter, die Schatten sind grau
und sehr weich vertrieben; das Roth des mozzetta gesättigter.
Ungewöhnlich ist die dicke Grundirung (daher die Anfänge der
Abblätterung) und der ausgedehnte Gebrauch der Lasuren. —

Diess Bildniss vertritt eine Klasse die sonst im Werk un-
sers Malers nicht vorkommt: den spanischen Hierarchen.

Für die Zeitbestimmung haben wir die Wahl innerhalb des
Jahrzehnts 1636/45: der Cardinal kam in seinem 54. Lebensjahre
nach Spanien zurück. Nach seinem Aussehn würde man das
Bild möglichst gegen das Ende, nach dem Stil eher in den
Beginn dieses Jahrzehnts setzen mögen. Es ist ein magerer Greisen-
kopf von feinem Knochenbau; spärliche graue Haare an den Schlä-
fen, sehr dünner grauer Knebelbart, durch welchen Contour und
Schatten des Kinns durchscheint; breiter Mund: die Nasenspitze
geht tief herunter. Nur der feste durchdringende Blick der Augen
hat nichts greisenhaftes. Vielleicht erscheint der Cardinal älter
als er war, Dank den jahrelangen Aufregungen im Quirinal.

1) In der Sammlung der Handzeichnungen der Nationalbibliothek ist eine
kräftige Kreidezeichnung des Kopfs vom Kinn bis zum Ansatz der Mütze, 9½ c.
hoch, bezeichnet: Facsimile del estudio que hizo Velazquez para el retrato q̃ pintó,
y posehia Cean Bermudez. Grösse des Frankfurter Bilds: 62″ × 49″.
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[60/0080] Fünftes Buch. Eine völlig übereinstimmende Wiederholung befand sich im Palast Borja zu Gandia. Dieser Stammsitz der erloschenen Familie ist noch vorhanden und mit dem Titel an die Herzöge von Osuna gekommen, die Nachkommen des Todfeindes unseres Cardinals, welche diesen stattlichen Bau des 15. Jahrhunderts dem traurigsten Verfall überlassen haben. Nur die Seo bewahrt noch manche Erinnerungen an den einstigen Glanz des Hauses und die Anhänglichkeit der Borja’s an ihre Heimat. Das Bildniss haben Palomino und Cean Bermudez dort gesehn, später ging es in des letztern Besitz über, nach einer hand- schriftlichen Vermuthung V. Carderera’s. Von ihm kam es an Salamanca, auf dessen erster Versteigerung von 1867 es das Stä- delsche Institut zu Frankfurt a. M. für 27100 Francs erwarb. Ein drittes Exemplar (wo er einen schwarzen Anzug trägt) von flüchtigerer Arbeit, wol ein Atelierbild, ist in Kingston Lacy, und soll einem Vorfahren des Mr. Bankes von einer Herzogin von Gandia verehrt worden sein 1). — Das Frankfurter Exemplar ist vertrauenerweckender als das Toledaner. In letzterm ist der Ton des Gesichts frischer, röth- licher, ohne die gelblichen Lichter, die Schatten sind grau und sehr weich vertrieben; das Roth des mozzetta gesättigter. Ungewöhnlich ist die dicke Grundirung (daher die Anfänge der Abblätterung) und der ausgedehnte Gebrauch der Lasuren. — Diess Bildniss vertritt eine Klasse die sonst im Werk un- sers Malers nicht vorkommt: den spanischen Hierarchen. Für die Zeitbestimmung haben wir die Wahl innerhalb des Jahrzehnts 1636/45: der Cardinal kam in seinem 54. Lebensjahre nach Spanien zurück. Nach seinem Aussehn würde man das Bild möglichst gegen das Ende, nach dem Stil eher in den Beginn dieses Jahrzehnts setzen mögen. Es ist ein magerer Greisen- kopf von feinem Knochenbau; spärliche graue Haare an den Schlä- fen, sehr dünner grauer Knebelbart, durch welchen Contour und Schatten des Kinns durchscheint; breiter Mund: die Nasenspitze geht tief herunter. Nur der feste durchdringende Blick der Augen hat nichts greisenhaftes. Vielleicht erscheint der Cardinal älter als er war, Dank den jahrelangen Aufregungen im Quirinal. 1) In der Sammlung der Handzeichnungen der Nationalbibliothek ist eine kräftige Kreidezeichnung des Kopfs vom Kinn bis zum Ansatz der Mütze, 9½ c. hoch, bezeichnet: Facsimile del estudio que hizo Velazquez para el retrato q̃ pintó, y posehia Cean Bermudez. Grösse des Frankfurter Bilds: 62″ × 49″.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/80>, abgerufen am 03.05.2024.