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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Venus mit dem Spiegel.
Schlössern stammen alle von Fremden. Die Inquisition bestrafte
die Einführung und Ausstellung lasciver Bilder mit Excommuni-
cation, 500 Dukaten und einem Jahr Verbannung; indess Palomino
erinnert daran, dass das Nackte noch nicht das Unanständige
(deshonesto) sei, und letzteres wol zu unterscheiden vom Lasciven
(Museo II, 95). Aber auch er empfiehlt den Malern den Ovid
und das Theatro des los Dioses nur, damit sie die Bilder in den
Palästen besser verstehen, nicht wegen der paar Aufgaben, die
sich ihnen bieten könnten. Die Proscription solcher Darstellun-
gen ist natürlich mehr auf Rechnung inquisitorischer Etikette
und der durch sie grossgezognen nationalen Heuchelei zu setzen,
als auf angebliche christliche Sittenstrenge. Wer viele spanische
Kirchen des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts gesehen
hat, erinnert sich, dass selbst über Altären billige Ansprüche an
Erbauung auch der Sinnlichkeit keineswegs unberücksichtigt ge-
blieben sind. Denn seit den Tagen der Phönicier hat dort neben
der Purisima auch die andre Himmelskönigin (Jeremias 7, 18)
allezeit ihren, oft von denselben Devoten wohlbedienten Kultus
gehabt. Wir wissen also was davon zu halten ist, wenn heutzu-
tage einige Heissporne, vor denen auch Alba und Philipp II als
Heiden und Zöllner geachtet werden, bedauern, dass Velazquez
solche "seinem männlichen und christlichen Geist eigentlich wider-
strebende Stoffe behandelt habe" 1). Freilich gewährt man ihm
mildernde Umstände, da er sich doch vor dem Heidenwahn be-
hütet habe, unsre erbärmliche Leibesnatur (nuestro miserable fisico,
Genesis I, 31?) zu vergöttlichen, wie es jene kunstgewaltigen
Sünder (valientes pecadores), genannt Julio Romano, Tizian, Ru-
bens verübt haben 2). Zum Beweis, dass der spanische Maler
sich gänzlich losgesagt habe "von den schmählichen Buhlreizen
(torpes halagos) der erotischen Muse, welche den Geist der italie-
nischen und vlämischen Künstler tyrannisch knechtete" (duenna
tirana de la inteligencia de los artistas
etc.) wird dem Advocatus
diaboli
-- die Hintenansicht dieser Venus vorgehalten. Ja selbst

1) So zu lesen in der Ilustracion Espannola y Americana 1874. II. Menendez
Pelayo
, Historia de las ideas esteticas II, 631 nennt solche Grimassen eine "pudi-
bundez, no ya de pintor cristiano, sino de cofrade o congregado".
2) Sollte man nicht besser die corpora delicti dieser Sündhaftigkeit wieder
durch ewige Reclusion in einem gabinete reservado (für die Starken) oder durch
noch glaubenskräftigere Mittel unschädlich machen? statt sich durch graphische Ver-
vielfältigung und ausführliche Beschreibung Mitschuld am Aergerniss aufzuladen, zum
Schaden der eigenen und fremder Seelen.

Die Venus mit dem Spiegel.
Schlössern stammen alle von Fremden. Die Inquisition bestrafte
die Einführung und Ausstellung lasciver Bilder mit Excommuni-
cation, 500 Dukaten und einem Jahr Verbannung; indess Palomino
erinnert daran, dass das Nackte noch nicht das Unanständige
(deshonesto) sei, und letzteres wol zu unterscheiden vom Lasciven
(Museo II, 95). Aber auch er empfiehlt den Malern den Ovid
und das Theatro des los Dioses nur, damit sie die Bilder in den
Palästen besser verstehen, nicht wegen der paar Aufgaben, die
sich ihnen bieten könnten. Die Proscription solcher Darstellun-
gen ist natürlich mehr auf Rechnung inquisitorischer Etikette
und der durch sie grossgezognen nationalen Heuchelei zu setzen,
als auf angebliche christliche Sittenstrenge. Wer viele spanische
Kirchen des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts gesehen
hat, erinnert sich, dass selbst über Altären billige Ansprüche an
Erbauung auch der Sinnlichkeit keineswegs unberücksichtigt ge-
blieben sind. Denn seit den Tagen der Phönicier hat dort neben
der Purisima auch die andre Himmelskönigin (Jeremias 7, 18)
allezeit ihren, oft von denselben Devoten wohlbedienten Kultus
gehabt. Wir wissen also was davon zu halten ist, wenn heutzu-
tage einige Heissporne, vor denen auch Alba und Philipp II als
Heiden und Zöllner geachtet werden, bedauern, dass Velazquez
solche „seinem männlichen und christlichen Geist eigentlich wider-
strebende Stoffe behandelt habe“ 1). Freilich gewährt man ihm
mildernde Umstände, da er sich doch vor dem Heidenwahn be-
hütet habe, unsre erbärmliche Leibesnatur (nuestro miserable fisico,
Genesis I, 31?) zu vergöttlichen, wie es jene kunstgewaltigen
Sünder (valientes pecadores), genannt Julio Romano, Tizian, Ru-
bens verübt haben 2). Zum Beweis, dass der spanische Maler
sich gänzlich losgesagt habe „von den schmählichen Buhlreizen
(torpes hálagos) der erotischen Muse, welche den Geist der italie-
nischen und vlämischen Künstler tyrannisch knechtete“ (dueña
tirana de la inteligencia de los artistas
etc.) wird dem Advocatus
diaboli
— die Hintenansicht dieser Venus vorgehalten. Ja selbst

1) So zu lesen in der Ilustracion Española y Americana 1874. II. Menendez
Pelayo
, Historia de las ideas estéticas II, 631 nennt solche Grimassen eine „pudi-
bundez, no ya de pintor cristiano, sino de cofrade ó congregado“.
2) Sollte man nicht besser die corpora delicti dieser Sündhaftigkeit wieder
durch ewige Reclusion in einem gabinete reservado (für die Starken) oder durch
noch glaubenskräftigere Mittel unschädlich machen? statt sich durch graphische Ver-
vielfältigung und ausführliche Beschreibung Mitschuld am Aergerniss aufzuladen, zum
Schaden der eigenen und fremder Seelen.
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[371/0395] Die Venus mit dem Spiegel. Schlössern stammen alle von Fremden. Die Inquisition bestrafte die Einführung und Ausstellung lasciver Bilder mit Excommuni- cation, 500 Dukaten und einem Jahr Verbannung; indess Palomino erinnert daran, dass das Nackte noch nicht das Unanständige (deshonesto) sei, und letzteres wol zu unterscheiden vom Lasciven (Museo II, 95). Aber auch er empfiehlt den Malern den Ovid und das Theatro des los Dioses nur, damit sie die Bilder in den Palästen besser verstehen, nicht wegen der paar Aufgaben, die sich ihnen bieten könnten. Die Proscription solcher Darstellun- gen ist natürlich mehr auf Rechnung inquisitorischer Etikette und der durch sie grossgezognen nationalen Heuchelei zu setzen, als auf angebliche christliche Sittenstrenge. Wer viele spanische Kirchen des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts gesehen hat, erinnert sich, dass selbst über Altären billige Ansprüche an Erbauung auch der Sinnlichkeit keineswegs unberücksichtigt ge- blieben sind. Denn seit den Tagen der Phönicier hat dort neben der Purisima auch die andre Himmelskönigin (Jeremias 7, 18) allezeit ihren, oft von denselben Devoten wohlbedienten Kultus gehabt. Wir wissen also was davon zu halten ist, wenn heutzu- tage einige Heissporne, vor denen auch Alba und Philipp II als Heiden und Zöllner geachtet werden, bedauern, dass Velazquez solche „seinem männlichen und christlichen Geist eigentlich wider- strebende Stoffe behandelt habe“ 1). Freilich gewährt man ihm mildernde Umstände, da er sich doch vor dem Heidenwahn be- hütet habe, unsre erbärmliche Leibesnatur (nuestro miserable fisico, Genesis I, 31?) zu vergöttlichen, wie es jene kunstgewaltigen Sünder (valientes pecadores), genannt Julio Romano, Tizian, Ru- bens verübt haben 2). Zum Beweis, dass der spanische Maler sich gänzlich losgesagt habe „von den schmählichen Buhlreizen (torpes hálagos) der erotischen Muse, welche den Geist der italie- nischen und vlämischen Künstler tyrannisch knechtete“ (dueña tirana de la inteligencia de los artistas etc.) wird dem Advocatus diaboli — die Hintenansicht dieser Venus vorgehalten. Ja selbst 1) So zu lesen in der Ilustracion Española y Americana 1874. II. Menendez Pelayo, Historia de las ideas estéticas II, 631 nennt solche Grimassen eine „pudi- bundez, no ya de pintor cristiano, sino de cofrade ó congregado“. 2) Sollte man nicht besser die corpora delicti dieser Sündhaftigkeit wieder durch ewige Reclusion in einem gabinete reservado (für die Starken) oder durch noch glaubenskräftigere Mittel unschädlich machen? statt sich durch graphische Ver- vielfältigung und ausführliche Beschreibung Mitschuld am Aergerniss aufzuladen, zum Schaden der eigenen und fremder Seelen.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/395>, abgerufen am 20.04.2024.