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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Venus mit dem Spiegel.
Alba lange Zeit Gesellschaft geleistet hat. Da man von dem
Gesicht der Göttin nur etwas verlorenes Profil zu sehen bekam,
so hat der Maler uns im Spiegel entschädigt. Da sieht man
einen etwas breiten, vergnügten Mädchenkopf, ganz von vorn,
von dichtem, ungekünsteltem Haar umrahmt, etwas zerflossen ge-
malt, mit grauen Schatten, die von der dunklen Wand gegen-
über kommen. Spiegelgläser waren dort wohl selten untadelhaft,
vielleicht wollte auch die Schöne nicht erkannt werden. Man
muss gestehn, dass diess Spiegelbild nicht ganz hält, was der
hübsche Umriss mit dem braunen zusammengewundenen Haar
des Scheitels versprach.

[Abbildung]

Venus.

Also der Körper ist die Hauptsache. Es ist ein spanischer
Typus; man hat das Modell in dem Mädchen der "Spinnerinnen"
wiederkennen wollen. Keine mächtigen "zur Bildhauerei erschaf-
fenen" Formen griechischer oder lateinischer Rasse; auch ihre
venezianischen Namensverwandten sind ungleich stärker gebaut.
Aber es ist eine feine Gestalt, für andalusische Tänze geschaffen.
Man sieht ihr an, dass sie nicht nur mit den Beinen, sondern
mit dem ganzen Körper Musik machen kann. Die beiden Linien,
die obere mit den starken Hervorragungen der Schulter und des
Beckens (wodurch die Dünne der Taille bemerklich wird), die
untere mit der langen flach bewegten Kurve, die Wirbellinie

II. 24

Die Venus mit dem Spiegel.
Alba lange Zeit Gesellschaft geleistet hat. Da man von dem
Gesicht der Göttin nur etwas verlorenes Profil zu sehen bekam,
so hat der Maler uns im Spiegel entschädigt. Da sieht man
einen etwas breiten, vergnügten Mädchenkopf, ganz von vorn,
von dichtem, ungekünsteltem Haar umrahmt, etwas zerflossen ge-
malt, mit grauen Schatten, die von der dunklen Wand gegen-
über kommen. Spiegelgläser waren dort wohl selten untadelhaft,
vielleicht wollte auch die Schöne nicht erkannt werden. Man
muss gestehn, dass diess Spiegelbild nicht ganz hält, was der
hübsche Umriss mit dem braunen zusammengewundenen Haar
des Scheitels versprach.

[Abbildung]

Venus.

Also der Körper ist die Hauptsache. Es ist ein spanischer
Typus; man hat das Modell in dem Mädchen der „Spinnerinnen“
wiederkennen wollen. Keine mächtigen „zur Bildhauerei erschaf-
fenen“ Formen griechischer oder lateinischer Rasse; auch ihre
venezianischen Namensverwandten sind ungleich stärker gebaut.
Aber es ist eine feine Gestalt, für andalusische Tänze geschaffen.
Man sieht ihr an, dass sie nicht nur mit den Beinen, sondern
mit dem ganzen Körper Musik machen kann. Die beiden Linien,
die obere mit den starken Hervorragungen der Schulter und des
Beckens (wodurch die Dünne der Taille bemerklich wird), die
untere mit der langen flach bewegten Kurve, die Wirbellinie

II. 24
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[369/0393] Die Venus mit dem Spiegel. Alba lange Zeit Gesellschaft geleistet hat. Da man von dem Gesicht der Göttin nur etwas verlorenes Profil zu sehen bekam, so hat der Maler uns im Spiegel entschädigt. Da sieht man einen etwas breiten, vergnügten Mädchenkopf, ganz von vorn, von dichtem, ungekünsteltem Haar umrahmt, etwas zerflossen ge- malt, mit grauen Schatten, die von der dunklen Wand gegen- über kommen. Spiegelgläser waren dort wohl selten untadelhaft, vielleicht wollte auch die Schöne nicht erkannt werden. Man muss gestehn, dass diess Spiegelbild nicht ganz hält, was der hübsche Umriss mit dem braunen zusammengewundenen Haar des Scheitels versprach. [Abbildung Venus.] Also der Körper ist die Hauptsache. Es ist ein spanischer Typus; man hat das Modell in dem Mädchen der „Spinnerinnen“ wiederkennen wollen. Keine mächtigen „zur Bildhauerei erschaf- fenen“ Formen griechischer oder lateinischer Rasse; auch ihre venezianischen Namensverwandten sind ungleich stärker gebaut. Aber es ist eine feine Gestalt, für andalusische Tänze geschaffen. Man sieht ihr an, dass sie nicht nur mit den Beinen, sondern mit dem ganzen Körper Musik machen kann. Die beiden Linien, die obere mit den starken Hervorragungen der Schulter und des Beckens (wodurch die Dünne der Taille bemerklich wird), die untere mit der langen flach bewegten Kurve, die Wirbellinie II. 24

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/393>, abgerufen am 18.04.2024.