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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
Spötters, das erloschene des einsamen Grüblers; die lange,
krumme, überhängende Nase und die breite, gepletschte. Beide
aber haben es offenbar in der Philosophie der Vollkommnen
gleich weit gebracht: ganze Bände von Paradoxen der Stoa sind
hier zu That und Wahrheit geworden. Nur der Süden bringt
den "nackten Weisen", den philosophischen Lump hervor, im
Alterthum hiess er Diogenes und Menipp, später Derwisch und
Bettelmönch.

Die heutigen Landsleute der Quevedo und Cervantes schei-
nen zu trocken und pathetisch, um diesen bald tiefsinnigen, bald
tollen Humor ihrer Vorfahren zu empfinden. "Der Scherz,
sagt Jean Paul, fehlt uns bloss aus Mangel an Ernst". So liest
man in einem Artikel aus Madrid in der Revue L'Art, diese
Figur solle "die moralische Hässlichkeit des Cynikers" dar-
stellen: "der adelige Maler des eleganten Hofs Philipp IV, er-
zogen in den Maximen des Aristoteles, Plato und Seneca (!) habe
auf diese Art sich rächen wollen an der unsaubern Philosophie,
welche den Luxus verdammte, die Künste verachtete und den
giftigen Zahn in den edlen Glanz der Mächtigen der Erde ein-
schlug." Nun, wenn er moralische Hässlichkeit hinter den elegan-
ten Figuren jenes "glänzenden Hofs" gesucht hätte, die bei
Juanillo antichambrirten und aus Säulen der Monarchie Säulen
unnennbarer Oerter geworden waren: so würde er wol auf dem
richtigern Weg gewesen sein.

Beide Figuren sind schöne Proben des letzten Stils, gemalt
mit breitem Pinsel und unerreichter Wahrheit der schimmernden
Oberfläche ihrer alten vergilbten und gebräunten Gesichtshaut.

Diese Galerie von Hanswursten, Zwergen, Idioten und
Lumpen gehört im Gesammtbild des Velazquez zu der Schatten-
partie. In einer Abhandlung über die Aesthetik des Hässlichen
würde der spanische Meister nicht fehlen dürfen.

In seiner Begabung stand der Charakteristiker so sehr im
Vordergrund, dass das Glück in der Darstellung fast in umge-
kehrtem Verhältniss stand zum ästhetischen Werth des Gegen-
stands. Seine Bildnissgalerie zeigt, wie ihm der Zufall selbst
in den Persönlichkeiten auf dem Thron mit besonders abstossen-
den Exemplaren und in der Mode mit ungeheuerlichen Verirrun-
gen entgegenkam. Ihm waren Männer geläufiger als Frauen, und
unerreicht ist er in Auffassung der Thiere. Die morpholo-
gischen Launen der Natur interessirten ihn mehr als das Normale;
und da er Besonderheiten stärker betonte als die Harmonie des

Siebentes Buch.
Spötters, das erloschene des einsamen Grüblers; die lange,
krumme, überhängende Nase und die breite, gepletschte. Beide
aber haben es offenbar in der Philosophie der Vollkommnen
gleich weit gebracht: ganze Bände von Paradoxen der Stoa sind
hier zu That und Wahrheit geworden. Nur der Süden bringt
den „nackten Weisen“, den philosophischen Lump hervor, im
Alterthum hiess er Diogenes und Menipp, später Derwisch und
Bettelmönch.

Die heutigen Landsleute der Quevedo und Cervantes schei-
nen zu trocken und pathetisch, um diesen bald tiefsinnigen, bald
tollen Humor ihrer Vorfahren zu empfinden. „Der Scherz,
sagt Jean Paul, fehlt uns bloss aus Mangel an Ernst“. So liest
man in einem Artikel aus Madrid in der Revue L’Art, diese
Figur solle „die moralische Hässlichkeit des Cynikers“ dar-
stellen: „der adelige Maler des eleganten Hofs Philipp IV, er-
zogen in den Maximen des Aristoteles, Plato und Seneca (!) habe
auf diese Art sich rächen wollen an der unsaubern Philosophie,
welche den Luxus verdammte, die Künste verachtete und den
giftigen Zahn in den edlen Glanz der Mächtigen der Erde ein-
schlug.“ Nun, wenn er moralische Hässlichkeit hinter den elegan-
ten Figuren jenes „glänzenden Hofs“ gesucht hätte, die bei
Juanillo antichambrirten und aus Säulen der Monarchie Säulen
unnennbarer Oerter geworden waren: so würde er wol auf dem
richtigern Weg gewesen sein.

Beide Figuren sind schöne Proben des letzten Stils, gemalt
mit breitem Pinsel und unerreichter Wahrheit der schimmernden
Oberfläche ihrer alten vergilbten und gebräunten Gesichtshaut.

Diese Galerie von Hanswursten, Zwergen, Idioten und
Lumpen gehört im Gesammtbild des Velazquez zu der Schatten-
partie. In einer Abhandlung über die Aesthetik des Hässlichen
würde der spanische Meister nicht fehlen dürfen.

In seiner Begabung stand der Charakteristiker so sehr im
Vordergrund, dass das Glück in der Darstellung fast in umge-
kehrtem Verhältniss stand zum ästhetischen Werth des Gegen-
stands. Seine Bildnissgalerie zeigt, wie ihm der Zufall selbst
in den Persönlichkeiten auf dem Thron mit besonders abstossen-
den Exemplaren und in der Mode mit ungeheuerlichen Verirrun-
gen entgegenkam. Ihm waren Männer geläufiger als Frauen, und
unerreicht ist er in Auffassung der Thiere. Die morpholo-
gischen Launen der Natur interessirten ihn mehr als das Normale;
und da er Besonderheiten stärker betonte als die Harmonie des

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[360/0384] Siebentes Buch. Spötters, das erloschene des einsamen Grüblers; die lange, krumme, überhängende Nase und die breite, gepletschte. Beide aber haben es offenbar in der Philosophie der Vollkommnen gleich weit gebracht: ganze Bände von Paradoxen der Stoa sind hier zu That und Wahrheit geworden. Nur der Süden bringt den „nackten Weisen“, den philosophischen Lump hervor, im Alterthum hiess er Diogenes und Menipp, später Derwisch und Bettelmönch. Die heutigen Landsleute der Quevedo und Cervantes schei- nen zu trocken und pathetisch, um diesen bald tiefsinnigen, bald tollen Humor ihrer Vorfahren zu empfinden. „Der Scherz, sagt Jean Paul, fehlt uns bloss aus Mangel an Ernst“. So liest man in einem Artikel aus Madrid in der Revue L’Art, diese Figur solle „die moralische Hässlichkeit des Cynikers“ dar- stellen: „der adelige Maler des eleganten Hofs Philipp IV, er- zogen in den Maximen des Aristoteles, Plato und Seneca (!) habe auf diese Art sich rächen wollen an der unsaubern Philosophie, welche den Luxus verdammte, die Künste verachtete und den giftigen Zahn in den edlen Glanz der Mächtigen der Erde ein- schlug.“ Nun, wenn er moralische Hässlichkeit hinter den elegan- ten Figuren jenes „glänzenden Hofs“ gesucht hätte, die bei Juanillo antichambrirten und aus Säulen der Monarchie Säulen unnennbarer Oerter geworden waren: so würde er wol auf dem richtigern Weg gewesen sein. Beide Figuren sind schöne Proben des letzten Stils, gemalt mit breitem Pinsel und unerreichter Wahrheit der schimmernden Oberfläche ihrer alten vergilbten und gebräunten Gesichtshaut. Diese Galerie von Hanswursten, Zwergen, Idioten und Lumpen gehört im Gesammtbild des Velazquez zu der Schatten- partie. In einer Abhandlung über die Aesthetik des Hässlichen würde der spanische Meister nicht fehlen dürfen. In seiner Begabung stand der Charakteristiker so sehr im Vordergrund, dass das Glück in der Darstellung fast in umge- kehrtem Verhältniss stand zum ästhetischen Werth des Gegen- stands. Seine Bildnissgalerie zeigt, wie ihm der Zufall selbst in den Persönlichkeiten auf dem Thron mit besonders abstossen- den Exemplaren und in der Mode mit ungeheuerlichen Verirrun- gen entgegenkam. Ihm waren Männer geläufiger als Frauen, und unerreicht ist er in Auffassung der Thiere. Die morpholo- gischen Launen der Natur interessirten ihn mehr als das Normale; und da er Besonderheiten stärker betonte als die Harmonie des

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/384>, abgerufen am 25.04.2024.