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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Zwerge.
gegen die Barberini? Sollte der Hofmaler und Spanier einem
italienischen Bandenführer zu Gefallen die Fahne einer Familie
beschimpft haben, von der er mancherlei Gunst erfahren? das
Wappen eines Pabstes, der ihm eine Wohnung im eignen Hause
gegeben hatte? Und wie lässt sich das Gemälde mit dem dama-
ligen Stil des Meisters vereinigen, der ein Jahr vorher das Pabst-
bildniss im Doriapalast gemalt hätte? --

2. Die Zwerge. Die Sitte Zwerge am Hof zu halten war
vom Orient auf den römischen Kaiserhof, von da auf das Mittel-
alter übergegangen und bestand bis zur Zeit der Revolution.
Man suchte sie in ganz Europa zusammen. Sie wurden in kost-
bare Stoffe gekleidet und mit Gold und Geschmeide behängt.
Vigenerus beschreibt ein Fest des Cardinal Vitelli in Rom, wo
man von vierundreissig hässlichen und verwachsenen Zwergen
bedient wurde1). Buckingham machte den Zwerg Jeffrey Hudson,
der damals nur 76 oder gar 45 Zoll hoch war, in einer Pastete
der Königin zum Geschenk. Sein lebensgrosses Bildniss von
Mytens ist in Hamptoncourt. Das blonde Männchen mit den
grossen, aufgeregten blauen Augen und langer Oberlippe, steht in
scharlachrothem Cavaliersrock und Mantel in einer saftiggrünen
Waldlandschaft von Janssens.

Oft waren sie von ihren fürstlichen Herrn unzertrennlich, wie
Hunde, sie wurden ebenso geliebt und behandelt. Wie die Ge-
sellschaft des Hundes dem Menschen schmeichelt durch das Gefühl
schlechthiniger Abhängigkeit und Ergebenheit, so empfindet der
normale Mensch neben dem Zwerge seine Grösse und Kraft, und
das entsprach der Sinnesweise jener aristokratischen Jahrhunderte.
Man schätzte Exemplare von seltener Hässlichkeit: für das zarte
Gebilde eines fürstlichen Knaben oder Mädchens diente der sie
begleitende Kobold als Folie. Vollkommene Hässlichkeit ist
seltener als man glaubt, unter allen Narren des Prado ist keiner
der sich z. B. mit Claus Narr in der Augsburger Galerie (Nr. 665)
messen könnte. Endlich der komische Kontrast: ein alter gräm-
licher Mannskopf auf einem Kinderleibchen; eine Kindergestalt
mit Altersstimme, Altersregungen und -Einfällen, die Komik der
unschädlichen Bosheit.

Nicht weniger als fünf solcher Zwerge von der Hand des
Velazquez bewahrt noch die Galerie des Prado, drei anscheinend
vernünftige, zwei Idioten. Sie erhielten ihren Platz neben denen

1) Flögel, Geschichte der Hofnarren. Liegnitz 1789. S. 519. 524.
II. 23

Die Zwerge.
gegen die Barberini? Sollte der Hofmaler und Spanier einem
italienischen Bandenführer zu Gefallen die Fahne einer Familie
beschimpft haben, von der er mancherlei Gunst erfahren? das
Wappen eines Pabstes, der ihm eine Wohnung im eignen Hause
gegeben hatte? Und wie lässt sich das Gemälde mit dem dama-
ligen Stil des Meisters vereinigen, der ein Jahr vorher das Pabst-
bildniss im Doriapalast gemalt hätte? —

2. Die Zwerge. Die Sitte Zwerge am Hof zu halten war
vom Orient auf den römischen Kaiserhof, von da auf das Mittel-
alter übergegangen und bestand bis zur Zeit der Revolution.
Man suchte sie in ganz Europa zusammen. Sie wurden in kost-
bare Stoffe gekleidet und mit Gold und Geschmeide behängt.
Vigenerus beschreibt ein Fest des Cardinal Vitelli in Rom, wo
man von vierundreissig hässlichen und verwachsenen Zwergen
bedient wurde1). Buckingham machte den Zwerg Jeffrey Hudson,
der damals nur 76 oder gar 45 Zoll hoch war, in einer Pastete
der Königin zum Geschenk. Sein lebensgrosses Bildniss von
Mytens ist in Hamptoncourt. Das blonde Männchen mit den
grossen, aufgeregten blauen Augen und langer Oberlippe, steht in
scharlachrothem Cavaliersrock und Mantel in einer saftiggrünen
Waldlandschaft von Janssens.

Oft waren sie von ihren fürstlichen Herrn unzertrennlich, wie
Hunde, sie wurden ebenso geliebt und behandelt. Wie die Ge-
sellschaft des Hundes dem Menschen schmeichelt durch das Gefühl
schlechthiniger Abhängigkeit und Ergebenheit, so empfindet der
normale Mensch neben dem Zwerge seine Grösse und Kraft, und
das entsprach der Sinnesweise jener aristokratischen Jahrhunderte.
Man schätzte Exemplare von seltener Hässlichkeit: für das zarte
Gebilde eines fürstlichen Knaben oder Mädchens diente der sie
begleitende Kobold als Folie. Vollkommene Hässlichkeit ist
seltener als man glaubt, unter allen Narren des Prado ist keiner
der sich z. B. mit Claus Narr in der Augsburger Galerie (Nr. 665)
messen könnte. Endlich der komische Kontrast: ein alter gräm-
licher Mannskopf auf einem Kinderleibchen; eine Kindergestalt
mit Altersstimme, Altersregungen und -Einfällen, die Komik der
unschädlichen Bosheit.

Nicht weniger als fünf solcher Zwerge von der Hand des
Velazquez bewahrt noch die Galerie des Prado, drei anscheinend
vernünftige, zwei Idioten. Sie erhielten ihren Platz neben denen

1) Flögel, Geschichte der Hofnarren. Liegnitz 1789. S. 519. 524.
II. 23
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[353/0377] Die Zwerge. gegen die Barberini? Sollte der Hofmaler und Spanier einem italienischen Bandenführer zu Gefallen die Fahne einer Familie beschimpft haben, von der er mancherlei Gunst erfahren? das Wappen eines Pabstes, der ihm eine Wohnung im eignen Hause gegeben hatte? Und wie lässt sich das Gemälde mit dem dama- ligen Stil des Meisters vereinigen, der ein Jahr vorher das Pabst- bildniss im Doriapalast gemalt hätte? — 2. Die Zwerge. Die Sitte Zwerge am Hof zu halten war vom Orient auf den römischen Kaiserhof, von da auf das Mittel- alter übergegangen und bestand bis zur Zeit der Revolution. Man suchte sie in ganz Europa zusammen. Sie wurden in kost- bare Stoffe gekleidet und mit Gold und Geschmeide behängt. Vigenerus beschreibt ein Fest des Cardinal Vitelli in Rom, wo man von vierundreissig hässlichen und verwachsenen Zwergen bedient wurde 1). Buckingham machte den Zwerg Jeffrey Hudson, der damals nur 76 oder gar 45 Zoll hoch war, in einer Pastete der Königin zum Geschenk. Sein lebensgrosses Bildniss von Mytens ist in Hamptoncourt. Das blonde Männchen mit den grossen, aufgeregten blauen Augen und langer Oberlippe, steht in scharlachrothem Cavaliersrock und Mantel in einer saftiggrünen Waldlandschaft von Janssens. Oft waren sie von ihren fürstlichen Herrn unzertrennlich, wie Hunde, sie wurden ebenso geliebt und behandelt. Wie die Ge- sellschaft des Hundes dem Menschen schmeichelt durch das Gefühl schlechthiniger Abhängigkeit und Ergebenheit, so empfindet der normale Mensch neben dem Zwerge seine Grösse und Kraft, und das entsprach der Sinnesweise jener aristokratischen Jahrhunderte. Man schätzte Exemplare von seltener Hässlichkeit: für das zarte Gebilde eines fürstlichen Knaben oder Mädchens diente der sie begleitende Kobold als Folie. Vollkommene Hässlichkeit ist seltener als man glaubt, unter allen Narren des Prado ist keiner der sich z. B. mit Claus Narr in der Augsburger Galerie (Nr. 665) messen könnte. Endlich der komische Kontrast: ein alter gräm- licher Mannskopf auf einem Kinderleibchen; eine Kindergestalt mit Altersstimme, Altersregungen und -Einfällen, die Komik der unschädlichen Bosheit. Nicht weniger als fünf solcher Zwerge von der Hand des Velazquez bewahrt noch die Galerie des Prado, drei anscheinend vernünftige, zwei Idioten. Sie erhielten ihren Platz neben denen 1) Flögel, Geschichte der Hofnarren. Liegnitz 1789. S. 519. 524. II. 23

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/377>, abgerufen am 25.04.2024.