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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die lustigen Personen.
Urtheil der Nachwelt vorausnahmen, der es schwer wird, diese
Sitte der Vergangenheit zu verstehn. Denn nirgends wol fühlt
man so lebhaft den Umschwung der Denkart. Calderon (im
Schisma von England) ruft aus:

!Que un Rey, que es tan singular,
Se deje lisonjear
de locos y de truhanes!

Und Quevedo in den Träumen, als er in der Hölle plötzlich auf
eine kalte Stelle trifft, hört, das sei der Platz für die Narren,
die hier zusammengehalten werden, weil die Frostigkeit ihrer
Spässe sonst die Glut ermässigen würde. In der That, wenn
man nach der spanischen Blütenlese des Melchor de la Cruz
urtheilen darf, so war bei andern Ständen, z. B. bei den Mönchen,
mehr guter Witz zu Haus als bei den Truhanes. Sie hatten für
sich eben nur die Infamia.

Das Zeitalter Ludwig XIV hat diesen Geschmack erschüt-
tert, dem das achtzehnte Jahrhundert ein Ende machte. Früher
waren sie ein Ventil in dem Zwang und der Verknöcherung des
Verkehrs. Mitten am Hof hatte man in ihrer Unterhaltung ein
Stück Gasse, das Rothwelsch der Taberne und des Lupanar,
die Lästerzungen des "Mentidero" (wie Calderon ein Strassen-
kreuz in Madrid nennt1). Seit in Rom Pressfreiheit eingeführt
ist, hat der Witz des Marforio und Pasquin ausgespielt. Die
Narrenfreiheit ist auf ganz andere Gewerbe und Körperschaften
übergegangen. Die Hofnarren waren die Redefreiheit in ihrer
tiefsten Erniedrigung.


Die hierher gehörigen Bildnisse des Velazquez liegen der
Zeit nach weit auseinander, sie gehen von der Mitte der dreissiger
bis zum Ende der fünfziger Jahre. Allein da eine Biographie
keine chronologische Tabelle ist und die Mehrzahl der letzten
Zeit angehört, so mögen sie sich hier als Colleg präsentiren,
besonders da vielleicht mehr System darin ist als man glaubt.
Haben wir nicht den trocknen, den melancholischen und den
cholerischen Hanswurst, die finstere und die heitere Verstim-

1) Pase adelante, a aquellas cuatro esquinas
de la calle del Lobo, y la del Prado,
a quien por nombre ha dado
una discreta dama: mentidero
de varones ilustres. El Astrologo fingido II.

Die lustigen Personen.
Urtheil der Nachwelt vorausnahmen, der es schwer wird, diese
Sitte der Vergangenheit zu verstehn. Denn nirgends wol fühlt
man so lebhaft den Umschwung der Denkart. Calderon (im
Schisma von England) ruft aus:

¡Que un Rey, que es tan singular,
Se deje lisonjear
de locos y de truhanes!

Und Quevedo in den Träumen, als er in der Hölle plötzlich auf
eine kalte Stelle trifft, hört, das sei der Platz für die Narren,
die hier zusammengehalten werden, weil die Frostigkeit ihrer
Spässe sonst die Glut ermässigen würde. In der That, wenn
man nach der spanischen Blütenlese des Melchor de la Cruz
urtheilen darf, so war bei andern Ständen, z. B. bei den Mönchen,
mehr guter Witz zu Haus als bei den Truhanes. Sie hatten für
sich eben nur die Infamia.

Das Zeitalter Ludwig XIV hat diesen Geschmack erschüt-
tert, dem das achtzehnte Jahrhundert ein Ende machte. Früher
waren sie ein Ventil in dem Zwang und der Verknöcherung des
Verkehrs. Mitten am Hof hatte man in ihrer Unterhaltung ein
Stück Gasse, das Rothwelsch der Taberne und des Lupanar,
die Lästerzungen des „Mentidero“ (wie Calderon ein Strassen-
kreuz in Madrid nennt1). Seit in Rom Pressfreiheit eingeführt
ist, hat der Witz des Marforio und Pasquin ausgespielt. Die
Narrenfreiheit ist auf ganz andere Gewerbe und Körperschaften
übergegangen. Die Hofnarren waren die Redefreiheit in ihrer
tiefsten Erniedrigung.


Die hierher gehörigen Bildnisse des Velazquez liegen der
Zeit nach weit auseinander, sie gehen von der Mitte der dreissiger
bis zum Ende der fünfziger Jahre. Allein da eine Biographie
keine chronologische Tabelle ist und die Mehrzahl der letzten
Zeit angehört, so mögen sie sich hier als Colleg präsentiren,
besonders da vielleicht mehr System darin ist als man glaubt.
Haben wir nicht den trocknen, den melancholischen und den
cholerischen Hanswurst, die finstere und die heitere Verstim-

1) Pasé adelante, á aquellas cuatro esquinas
de la calle del Lobo, y la del Prado,
á quien por nombre ha dado
una discreta dama: mentidero
de varones ilustres. El Astrólogo fingido II.
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[343/0367] Die lustigen Personen. Urtheil der Nachwelt vorausnahmen, der es schwer wird, diese Sitte der Vergangenheit zu verstehn. Denn nirgends wol fühlt man so lebhaft den Umschwung der Denkart. Calderon (im Schisma von England) ruft aus: ¡Que un Rey, que es tan singular, Se deje lisonjear de locos y de truhanes! Und Quevedo in den Träumen, als er in der Hölle plötzlich auf eine kalte Stelle trifft, hört, das sei der Platz für die Narren, die hier zusammengehalten werden, weil die Frostigkeit ihrer Spässe sonst die Glut ermässigen würde. In der That, wenn man nach der spanischen Blütenlese des Melchor de la Cruz urtheilen darf, so war bei andern Ständen, z. B. bei den Mönchen, mehr guter Witz zu Haus als bei den Truhanes. Sie hatten für sich eben nur die Infamia. Das Zeitalter Ludwig XIV hat diesen Geschmack erschüt- tert, dem das achtzehnte Jahrhundert ein Ende machte. Früher waren sie ein Ventil in dem Zwang und der Verknöcherung des Verkehrs. Mitten am Hof hatte man in ihrer Unterhaltung ein Stück Gasse, das Rothwelsch der Taberne und des Lupanar, die Lästerzungen des „Mentidero“ (wie Calderon ein Strassen- kreuz in Madrid nennt 1). Seit in Rom Pressfreiheit eingeführt ist, hat der Witz des Marforio und Pasquin ausgespielt. Die Narrenfreiheit ist auf ganz andere Gewerbe und Körperschaften übergegangen. Die Hofnarren waren die Redefreiheit in ihrer tiefsten Erniedrigung. Die hierher gehörigen Bildnisse des Velazquez liegen der Zeit nach weit auseinander, sie gehen von der Mitte der dreissiger bis zum Ende der fünfziger Jahre. Allein da eine Biographie keine chronologische Tabelle ist und die Mehrzahl der letzten Zeit angehört, so mögen sie sich hier als Colleg präsentiren, besonders da vielleicht mehr System darin ist als man glaubt. Haben wir nicht den trocknen, den melancholischen und den cholerischen Hanswurst, die finstere und die heitere Verstim- 1) Pasé adelante, á aquellas cuatro esquinas de la calle del Lobo, y la del Prado, á quien por nombre ha dado una discreta dama: mentidero de varones ilustres. El Astrólogo fingido II.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/367>, abgerufen am 26.04.2024.