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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
werden. Jemand hat gesagt, die besten Gemälde seien nur ge-
schickt verbesserte Fehler 1). Selbst Rubens, als er zuerst nach
Madrid kam, hatte seine Epiphanie, ein Jugendwerk, umgearbei-
tet. Von Tizian ist bekannt, dass er Gemälde die er bei sich
behielt, wiederholt überging.

In unserm Fall nun lassen sich, aus den Wandlungen des
Stils des Meisters, die Gesichtspunkte jener Veränderungen zum
Theil nachweisen. Velazquez suchte fortwährend den Raum
nach der Tiefe und den Seiten hin zu erweitern und aufzuhellen.
In den ältesten Gemälden (dem Wasserträger, dem Bacchus) ist
die Gruppe wie eingepackt im Rahmen; der Scheitel der Porträt-
figuren reicht bis nahe an den oberen Rand; in einigen der
letzten reichen die Figuren nicht bis zur Mitte der Leinwand 2).
Dort ist der Himmel ein stählernes Blau ohne rechte Fernwirkung
(Vulcan), später wiederholt er die Lichter der Figur in der Land-
schaft; in den Meisterwerken bringt er eine Lichtpartie von
höchstem Helligkeitsgrad im Grund an. Die Figuren bekommen
mehr Raum zwischen sich, was Palomino mit den Pausen in der
Musik vergleicht; man nannte diese Circulation der Luft innerhalb
der Gruppen respiracion.

Diese Umarbeitungen fehlen in wenigen Gemälden ganz;
ich will nur einige der merkwürdigsten zusammenstellen, anfan-
gend mit der auffälligsten, schon sonst bemerkten.

Jedermann musste sehn, dass der jugendliche Kopf des
Königs (1071) im harten Stil der zwanziger Jahre auf einer Büste
sitzt, deren Panzer und Schärpe in der freisten lockern Art der
spätern Zeit zugemalt ist. Warum sollte dieser Kopf eine blosse
Studie für das grosse Bild gewesen sein, die ihm erst so spät
eingefallen wäre, zur Herstellung eines galeriefähigen Bildnisses
zu benutzen?

Auf den eigenthümlichen Zustand der drei Jägerbilder machte
ich schon aufmerksam (I. 389 f.). Obwol nach dem Alter der Per-

1) The best pictures are but blunders dexterously remended. Eastlake,
Materials I, 90.
2) Die Scheitelhöhe der Gruppen beträgt in den Trinkern 5/6 der Höhe
des Bildes;
in der Epiphanie und dem Vulcan 3/4
in Breda 2/3
in den Spinnerinnen 7/12
in den Meninas 1/2
in den Einsiedlern 3/8 .

Fünftes Buch.
werden. Jemand hat gesagt, die besten Gemälde seien nur ge-
schickt verbesserte Fehler 1). Selbst Rubens, als er zuerst nach
Madrid kam, hatte seine Epiphanie, ein Jugendwerk, umgearbei-
tet. Von Tizian ist bekannt, dass er Gemälde die er bei sich
behielt, wiederholt überging.

In unserm Fall nun lassen sich, aus den Wandlungen des
Stils des Meisters, die Gesichtspunkte jener Veränderungen zum
Theil nachweisen. Velazquez suchte fortwährend den Raum
nach der Tiefe und den Seiten hin zu erweitern und aufzuhellen.
In den ältesten Gemälden (dem Wasserträger, dem Bacchus) ist
die Gruppe wie eingepackt im Rahmen; der Scheitel der Porträt-
figuren reicht bis nahe an den oberen Rand; in einigen der
letzten reichen die Figuren nicht bis zur Mitte der Leinwand 2).
Dort ist der Himmel ein stählernes Blau ohne rechte Fernwirkung
(Vulcan), später wiederholt er die Lichter der Figur in der Land-
schaft; in den Meisterwerken bringt er eine Lichtpartie von
höchstem Helligkeitsgrad im Grund an. Die Figuren bekommen
mehr Raum zwischen sich, was Palomino mit den Pausen in der
Musik vergleicht; man nannte diese Circulation der Luft innerhalb
der Gruppen respiracion.

Diese Umarbeitungen fehlen in wenigen Gemälden ganz;
ich will nur einige der merkwürdigsten zusammenstellen, anfan-
gend mit der auffälligsten, schon sonst bemerkten.

Jedermann musste sehn, dass der jugendliche Kopf des
Königs (1071) im harten Stil der zwanziger Jahre auf einer Büste
sitzt, deren Panzer und Schärpe in der freisten lockern Art der
spätern Zeit zugemalt ist. Warum sollte dieser Kopf eine blosse
Studie für das grosse Bild gewesen sein, die ihm erst so spät
eingefallen wäre, zur Herstellung eines galeriefähigen Bildnisses
zu benutzen?

Auf den eigenthümlichen Zustand der drei Jägerbilder machte
ich schon aufmerksam (I. 389 f.). Obwol nach dem Alter der Per-

1) The best pictures are but blunders dexterously remended. Eastlake,
Materials I, 90.
2) Die Scheitelhöhe der Gruppen beträgt in den Trinkern ⅚ der Höhe
des Bildes;
in der Epiphanie und dem Vulcan ¾
in Breda ⅔
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[16/0036] Fünftes Buch. werden. Jemand hat gesagt, die besten Gemälde seien nur ge- schickt verbesserte Fehler 1). Selbst Rubens, als er zuerst nach Madrid kam, hatte seine Epiphanie, ein Jugendwerk, umgearbei- tet. Von Tizian ist bekannt, dass er Gemälde die er bei sich behielt, wiederholt überging. In unserm Fall nun lassen sich, aus den Wandlungen des Stils des Meisters, die Gesichtspunkte jener Veränderungen zum Theil nachweisen. Velazquez suchte fortwährend den Raum nach der Tiefe und den Seiten hin zu erweitern und aufzuhellen. In den ältesten Gemälden (dem Wasserträger, dem Bacchus) ist die Gruppe wie eingepackt im Rahmen; der Scheitel der Porträt- figuren reicht bis nahe an den oberen Rand; in einigen der letzten reichen die Figuren nicht bis zur Mitte der Leinwand 2). Dort ist der Himmel ein stählernes Blau ohne rechte Fernwirkung (Vulcan), später wiederholt er die Lichter der Figur in der Land- schaft; in den Meisterwerken bringt er eine Lichtpartie von höchstem Helligkeitsgrad im Grund an. Die Figuren bekommen mehr Raum zwischen sich, was Palomino mit den Pausen in der Musik vergleicht; man nannte diese Circulation der Luft innerhalb der Gruppen respiracion. Diese Umarbeitungen fehlen in wenigen Gemälden ganz; ich will nur einige der merkwürdigsten zusammenstellen, anfan- gend mit der auffälligsten, schon sonst bemerkten. Jedermann musste sehn, dass der jugendliche Kopf des Königs (1071) im harten Stil der zwanziger Jahre auf einer Büste sitzt, deren Panzer und Schärpe in der freisten lockern Art der spätern Zeit zugemalt ist. Warum sollte dieser Kopf eine blosse Studie für das grosse Bild gewesen sein, die ihm erst so spät eingefallen wäre, zur Herstellung eines galeriefähigen Bildnisses zu benutzen? Auf den eigenthümlichen Zustand der drei Jägerbilder machte ich schon aufmerksam (I. 389 f.). Obwol nach dem Alter der Per- 1) The best pictures are but blunders dexterously remended. Eastlake, Materials I, 90. 2) Die Scheitelhöhe der Gruppen beträgt in den Trinkern ⅚ der Höhe des Bildes; in der Epiphanie und dem Vulcan ¾ in Breda ⅔ in den Spinnerinnen 7/12 in den Meninas ½ in den Einsiedlern ⅜.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/36>, abgerufen am 28.03.2024.