Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Buch.
ist es ganz dasselbe, mag der Stoff neu oder alt sein. Im letztern
Fall entfernt er sich von seinen Vorgängern so weit, dass eigent-
lich nur die Unterschrift dieselbe ist, wie bei den Mythologien.
Als die Feldherrnbilder für Buen Retiro ausgetheilt wurden, hatte
er nicht daran gedacht, die Uebergabe von Breda zu übernehmen;
als er sich später aus unbekannten Gründen dazu entschloss,
scheint er sich vorgesetzt zu haben zu versuchen, wie weit die
Unähnlichkeit zweier Darstellungen desselben geschichtlichen
Augenblicks gehen könne, obwol seine Auffassung so einfach
und natürlich ist wie die Skizze eines Augenzeugen. Ein Mann
von ruhigem Selbstgefühl tritt uns hier entgegen. Er bringt die
Sache auf die Leinwand wie es ihm beliebt, ohne sich zu beden-
ken, wie sie zu den Vorstellungen der Leute und den Ge-
pflogenheiten der Schule passe. Darin ist er ganz Spanier.
Wenn man dort auf etwas ganz Unerhörtes und wie es scheint
Absurdes trifft, so pflegt auf die triftigsten Gründe und die Be-
rufung, dass es ja die ganze civilisirte Welt, und selbst das ganze
übrige Spanien anders mache, die ruhige Antwort zu ergehen:
Und hier macht man es so!

Die lustigen Personen.

Schon den Italienern des sechzehnten Jahrhunderts fiel die
Neigung der Spanier zum Narrenwesen auf1). Ein Sammler
zur Geschichte des Komischen hatte den Eindruck, "dass die
Spanier wegen ihrer ausschweifenden und erhitzten Einbildungs-
kraft im Grotesk-Komischen alle Völker Europa's übertroffen
haben"2). Vielleicht grade wegen ihres Ernstes. "Wie der ernste
geistliche Stand, sagt Jean Paul, die meisten Komiker hat: so
haben die gravitätischen Spanier mehr Lustspiele als irgend ein
Volk, und oft zwei Harlekine in einem Stück". Die Bande, welche
den spanischen Geist einschnürten, der Geschmack am trivialen
Detail, das Nebeneinander des noch ganz anders als sonstwo
lebendig gebliebenen Mittelalters mit den Zuständen moderner
Kultur, das gab Reibungen, denen der Funke der Komik ent-
sprühte. Dieser Hang ist nie auffallender hervorgetreten als in
unserm Jahrhundert, an dessen Eingang das Buch erschien, dessen
Held "ein mit Verstand gespickter Narr mit lichten Augenblicken

1) Relation Badoer's von 1557. p. 237. Sono molto inclinati a sentir buffoni.
2) Flögel, Geschichte des Grotesk-Komischen. Liegnitz 1788. S. 73.

Siebentes Buch.
ist es ganz dasselbe, mag der Stoff neu oder alt sein. Im letztern
Fall entfernt er sich von seinen Vorgängern so weit, dass eigent-
lich nur die Unterschrift dieselbe ist, wie bei den Mythologien.
Als die Feldherrnbilder für Buen Retiro ausgetheilt wurden, hatte
er nicht daran gedacht, die Uebergabe von Breda zu übernehmen;
als er sich später aus unbekannten Gründen dazu entschloss,
scheint er sich vorgesetzt zu haben zu versuchen, wie weit die
Unähnlichkeit zweier Darstellungen desselben geschichtlichen
Augenblicks gehen könne, obwol seine Auffassung so einfach
und natürlich ist wie die Skizze eines Augenzeugen. Ein Mann
von ruhigem Selbstgefühl tritt uns hier entgegen. Er bringt die
Sache auf die Leinwand wie es ihm beliebt, ohne sich zu beden-
ken, wie sie zu den Vorstellungen der Leute und den Ge-
pflogenheiten der Schule passe. Darin ist er ganz Spanier.
Wenn man dort auf etwas ganz Unerhörtes und wie es scheint
Absurdes trifft, so pflegt auf die triftigsten Gründe und die Be-
rufung, dass es ja die ganze civilisirte Welt, und selbst das ganze
übrige Spanien anders mache, die ruhige Antwort zu ergehen:
Und hier macht man es so!

Die lustigen Personen.

Schon den Italienern des sechzehnten Jahrhunderts fiel die
Neigung der Spanier zum Narrenwesen auf1). Ein Sammler
zur Geschichte des Komischen hatte den Eindruck, „dass die
Spanier wegen ihrer ausschweifenden und erhitzten Einbildungs-
kraft im Grotesk-Komischen alle Völker Europa’s übertroffen
haben“2). Vielleicht grade wegen ihres Ernstes. „Wie der ernste
geistliche Stand, sagt Jean Paul, die meisten Komiker hat: so
haben die gravitätischen Spanier mehr Lustspiele als irgend ein
Volk, und oft zwei Harlekine in einem Stück“. Die Bande, welche
den spanischen Geist einschnürten, der Geschmack am trivialen
Detail, das Nebeneinander des noch ganz anders als sonstwo
lebendig gebliebenen Mittelalters mit den Zuständen moderner
Kultur, das gab Reibungen, denen der Funke der Komik ent-
sprühte. Dieser Hang ist nie auffallender hervorgetreten als in
unserm Jahrhundert, an dessen Eingang das Buch erschien, dessen
Held „ein mit Verstand gespickter Narr mit lichten Augenblicken

1) Relation Badoer’s von 1557. p. 237. Sono molto inclinati a sentir buffoni.
2) Flögel, Geschichte des Grotesk-Komischen. Liegnitz 1788. S. 73.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0358" n="334"/><fw place="top" type="header">Siebentes Buch.</fw><lb/>
ist es ganz dasselbe, mag der Stoff neu oder alt sein. Im letztern<lb/>
Fall entfernt er sich von seinen Vorgängern so weit, dass eigent-<lb/>
lich nur die Unterschrift dieselbe ist, wie bei den Mythologien.<lb/>
Als die Feldherrnbilder für Buen Retiro ausgetheilt wurden, hatte<lb/>
er nicht daran gedacht, die Uebergabe von Breda zu übernehmen;<lb/>
als er sich später aus unbekannten Gründen dazu entschloss,<lb/>
scheint er sich vorgesetzt zu haben zu versuchen, wie weit die<lb/>
Unähnlichkeit zweier Darstellungen desselben geschichtlichen<lb/>
Augenblicks gehen könne, obwol seine Auffassung so einfach<lb/>
und natürlich ist wie die Skizze eines Augenzeugen. Ein Mann<lb/>
von ruhigem Selbstgefühl tritt uns hier entgegen. Er bringt die<lb/>
Sache auf die Leinwand wie es ihm beliebt, ohne sich zu beden-<lb/>
ken, wie sie zu den Vorstellungen der Leute und den Ge-<lb/>
pflogenheiten der Schule passe. Darin ist er ganz Spanier.<lb/>
Wenn man dort auf etwas ganz Unerhörtes und wie es scheint<lb/>
Absurdes trifft, so pflegt auf die triftigsten Gründe und die Be-<lb/>
rufung, dass es ja die ganze civilisirte Welt, und selbst das ganze<lb/>
übrige Spanien anders mache, die ruhige Antwort zu ergehen:<lb/>
Und hier macht man es so!</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Die lustigen Personen.</hi> </head><lb/>
            <p>Schon den Italienern des sechzehnten Jahrhunderts fiel die<lb/>
Neigung der Spanier zum Narrenwesen auf<note place="foot" n="1)">Relation Badoer&#x2019;s von 1557. p. 237. Sono molto inclinati a sentir buffoni.</note>. Ein Sammler<lb/>
zur Geschichte des Komischen hatte den Eindruck, &#x201E;dass die<lb/>
Spanier wegen ihrer ausschweifenden und erhitzten Einbildungs-<lb/>
kraft im Grotesk-Komischen alle Völker Europa&#x2019;s übertroffen<lb/>
haben&#x201C;<note place="foot" n="2)">Flögel, Geschichte des Grotesk-Komischen. Liegnitz 1788. S. 73.</note>. Vielleicht grade wegen ihres Ernstes. &#x201E;Wie der ernste<lb/>
geistliche Stand, sagt Jean Paul, die meisten Komiker hat: so<lb/>
haben die gravitätischen Spanier mehr Lustspiele als irgend ein<lb/>
Volk, und oft zwei Harlekine in einem Stück&#x201C;. Die Bande, welche<lb/>
den spanischen Geist einschnürten, der Geschmack am trivialen<lb/>
Detail, das Nebeneinander des noch ganz anders als sonstwo<lb/>
lebendig gebliebenen Mittelalters mit den Zuständen moderner<lb/>
Kultur, das gab Reibungen, denen der Funke der Komik ent-<lb/>
sprühte. Dieser Hang ist nie auffallender hervorgetreten als in<lb/>
unserm Jahrhundert, an dessen Eingang das Buch erschien, dessen<lb/>
Held &#x201E;ein mit Verstand gespickter Narr mit lichten Augenblicken<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0358] Siebentes Buch. ist es ganz dasselbe, mag der Stoff neu oder alt sein. Im letztern Fall entfernt er sich von seinen Vorgängern so weit, dass eigent- lich nur die Unterschrift dieselbe ist, wie bei den Mythologien. Als die Feldherrnbilder für Buen Retiro ausgetheilt wurden, hatte er nicht daran gedacht, die Uebergabe von Breda zu übernehmen; als er sich später aus unbekannten Gründen dazu entschloss, scheint er sich vorgesetzt zu haben zu versuchen, wie weit die Unähnlichkeit zweier Darstellungen desselben geschichtlichen Augenblicks gehen könne, obwol seine Auffassung so einfach und natürlich ist wie die Skizze eines Augenzeugen. Ein Mann von ruhigem Selbstgefühl tritt uns hier entgegen. Er bringt die Sache auf die Leinwand wie es ihm beliebt, ohne sich zu beden- ken, wie sie zu den Vorstellungen der Leute und den Ge- pflogenheiten der Schule passe. Darin ist er ganz Spanier. Wenn man dort auf etwas ganz Unerhörtes und wie es scheint Absurdes trifft, so pflegt auf die triftigsten Gründe und die Be- rufung, dass es ja die ganze civilisirte Welt, und selbst das ganze übrige Spanien anders mache, die ruhige Antwort zu ergehen: Und hier macht man es so! Die lustigen Personen. Schon den Italienern des sechzehnten Jahrhunderts fiel die Neigung der Spanier zum Narrenwesen auf 1). Ein Sammler zur Geschichte des Komischen hatte den Eindruck, „dass die Spanier wegen ihrer ausschweifenden und erhitzten Einbildungs- kraft im Grotesk-Komischen alle Völker Europa’s übertroffen haben“ 2). Vielleicht grade wegen ihres Ernstes. „Wie der ernste geistliche Stand, sagt Jean Paul, die meisten Komiker hat: so haben die gravitätischen Spanier mehr Lustspiele als irgend ein Volk, und oft zwei Harlekine in einem Stück“. Die Bande, welche den spanischen Geist einschnürten, der Geschmack am trivialen Detail, das Nebeneinander des noch ganz anders als sonstwo lebendig gebliebenen Mittelalters mit den Zuständen moderner Kultur, das gab Reibungen, denen der Funke der Komik ent- sprühte. Dieser Hang ist nie auffallender hervorgetreten als in unserm Jahrhundert, an dessen Eingang das Buch erschien, dessen Held „ein mit Verstand gespickter Narr mit lichten Augenblicken 1) Relation Badoer’s von 1557. p. 237. Sono molto inclinati a sentir buffoni. 2) Flögel, Geschichte des Grotesk-Komischen. Liegnitz 1788. S. 73.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/358
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/358>, abgerufen am 28.03.2024.