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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
tagonisten aufeinander zutreten; in den Spinnerinnen sind zwei
unabhängige Kreise. Selbst in der "Familie" ist der Kreis
wenigstens angedeutet; er ist sogar geschlossen, aber durch das
Königspaar, das sich vor der Bildfläche befindet. Man sieht wie
diejenigen sich irren, welche Velazquez zu der Klasse Realisten
zählen, welche auch die Ueberlieferungen der alten Schulen in
der Kunst der Komposition zum akademischen Plunder werfen.

Mit wieviel Vorbedacht der Maler an das Bild gegangen
ist, beweist die von seiner üblichen ganz verschiedene Behand-
lung der Farbe. Statt der ihm sonst geläufigen kühlen und
blassen Tinten wählte er warme, reine, gesättigte; Jemand hat
den Eindruck etwas lyrisch mit einer blumigen Wiese verglichen.
Ferner, wie Peter de Hooghe und Jan van der Meer, die ähn-
liche Effekte darstellten, unter den Cabinetmalern ihres Jahr-
hunderts fast allein dastehen mit ihrem starken Farbenkörper, so
hat Velazquez ebenfalls gegen seine sonstige Gewohnheit auf
dicker weisser Grundirung reichliches Impasto verwandt1). Ist
es in Folge hiervon, oder angewandter starker Sekkative oder
eines äussern Zufalls, wie Brand, genug die Oberfläche zeigt
einen sonst nirgends bemerkten Zustand. Sie ist durchzogen von
einem gleichmässigen Netzwerk von Rissen, oder vielmehr, und
das ist das seltsame, erhöhten Dämmen, als sei die Imprimirung
aus den Rissen hervorgequollen. Endlich ist das Bild mit einem
nur in den Meninas ähnlich vorkommenden Feuer der Hand ge-
malt, offenbar im Drang die optischen Wirkungen ohne Zeitverlust
endgültig zu fixiren. Mengs sagte, "es sei in einer Weise ge-
arbeitet, dass die Hand an der Ausführung gar keinen Antheil
gehabt zu haben scheine, sondern der blosse Wille"; er nennt es
"ein in seiner Art ausserordentliches (singolare) Werk". Er hat
es eigentlich entdeckt: Palomino erwähnt es nicht. Es befand
sich zuerst in Buen Retiro, im Palast Carl III (1789) war es in
dem Billardzimmer (pieza de trucos).

Die Spinnerinnen sind wol das älteste Arbeiter- oder Fabrik-
stück. Diess Wagniss hat also der Schlossmarschall Philipp IV
unternommen. Der Beifall, den das Bild zu allen Zeiten gefun-
den hat, beweist, dass der Griff ein glücklicher war. Besonders

1) Das grade Gegentheil dieser augenscheinlichen Eigenschaften haben zwei
eminente Kritiker in dem Gemälde zu sehn geglaubt. Waagen findet darin "eine
Harmonie gebrochener, meist kühler Farben", und Beule meint, a peine si la brosse
a effleure la toile
. -- Eine Wiederholung in der Pereire Galerie war ein modernes
Machwerk.

Siebentes Buch.
tagonisten aufeinander zutreten; in den Spinnerinnen sind zwei
unabhängige Kreise. Selbst in der „Familie“ ist der Kreis
wenigstens angedeutet; er ist sogar geschlossen, aber durch das
Königspaar, das sich vor der Bildfläche befindet. Man sieht wie
diejenigen sich irren, welche Velazquez zu der Klasse Realisten
zählen, welche auch die Ueberlieferungen der alten Schulen in
der Kunst der Komposition zum akademischen Plunder werfen.

Mit wieviel Vorbedacht der Maler an das Bild gegangen
ist, beweist die von seiner üblichen ganz verschiedene Behand-
lung der Farbe. Statt der ihm sonst geläufigen kühlen und
blassen Tinten wählte er warme, reine, gesättigte; Jemand hat
den Eindruck etwas lyrisch mit einer blumigen Wiese verglichen.
Ferner, wie Peter de Hooghe und Jan van der Meer, die ähn-
liche Effekte darstellten, unter den Cabinetmalern ihres Jahr-
hunderts fast allein dastehen mit ihrem starken Farbenkörper, so
hat Velazquez ebenfalls gegen seine sonstige Gewohnheit auf
dicker weisser Grundirung reichliches Impasto verwandt1). Ist
es in Folge hiervon, oder angewandter starker Sekkative oder
eines äussern Zufalls, wie Brand, genug die Oberfläche zeigt
einen sonst nirgends bemerkten Zustand. Sie ist durchzogen von
einem gleichmässigen Netzwerk von Rissen, oder vielmehr, und
das ist das seltsame, erhöhten Dämmen, als sei die Imprimirung
aus den Rissen hervorgequollen. Endlich ist das Bild mit einem
nur in den Meninas ähnlich vorkommenden Feuer der Hand ge-
malt, offenbar im Drang die optischen Wirkungen ohne Zeitverlust
endgültig zu fixiren. Mengs sagte, „es sei in einer Weise ge-
arbeitet, dass die Hand an der Ausführung gar keinen Antheil
gehabt zu haben scheine, sondern der blosse Wille“; er nennt es
„ein in seiner Art ausserordentliches (singolare) Werk“. Er hat
es eigentlich entdeckt: Palomino erwähnt es nicht. Es befand
sich zuerst in Buen Retiro, im Palast Carl III (1789) war es in
dem Billardzimmer (pieza de trucos).

Die Spinnerinnen sind wol das älteste Arbeiter- oder Fabrik-
stück. Diess Wagniss hat also der Schlossmarschall Philipp IV
unternommen. Der Beifall, den das Bild zu allen Zeiten gefun-
den hat, beweist, dass der Griff ein glücklicher war. Besonders

1) Das grade Gegentheil dieser augenscheinlichen Eigenschaften haben zwei
eminente Kritiker in dem Gemälde zu sehn geglaubt. Waagen findet darin „eine
Harmonie gebrochener, meist kühler Farben“, und Beulé meint, à peine si la brosse
a effleuré la toile
. — Eine Wiederholung in der Pereire Galerie war ein modernes
Machwerk.
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[332/0356] Siebentes Buch. tagonisten aufeinander zutreten; in den Spinnerinnen sind zwei unabhängige Kreise. Selbst in der „Familie“ ist der Kreis wenigstens angedeutet; er ist sogar geschlossen, aber durch das Königspaar, das sich vor der Bildfläche befindet. Man sieht wie diejenigen sich irren, welche Velazquez zu der Klasse Realisten zählen, welche auch die Ueberlieferungen der alten Schulen in der Kunst der Komposition zum akademischen Plunder werfen. Mit wieviel Vorbedacht der Maler an das Bild gegangen ist, beweist die von seiner üblichen ganz verschiedene Behand- lung der Farbe. Statt der ihm sonst geläufigen kühlen und blassen Tinten wählte er warme, reine, gesättigte; Jemand hat den Eindruck etwas lyrisch mit einer blumigen Wiese verglichen. Ferner, wie Peter de Hooghe und Jan van der Meer, die ähn- liche Effekte darstellten, unter den Cabinetmalern ihres Jahr- hunderts fast allein dastehen mit ihrem starken Farbenkörper, so hat Velazquez ebenfalls gegen seine sonstige Gewohnheit auf dicker weisser Grundirung reichliches Impasto verwandt 1). Ist es in Folge hiervon, oder angewandter starker Sekkative oder eines äussern Zufalls, wie Brand, genug die Oberfläche zeigt einen sonst nirgends bemerkten Zustand. Sie ist durchzogen von einem gleichmässigen Netzwerk von Rissen, oder vielmehr, und das ist das seltsame, erhöhten Dämmen, als sei die Imprimirung aus den Rissen hervorgequollen. Endlich ist das Bild mit einem nur in den Meninas ähnlich vorkommenden Feuer der Hand ge- malt, offenbar im Drang die optischen Wirkungen ohne Zeitverlust endgültig zu fixiren. Mengs sagte, „es sei in einer Weise ge- arbeitet, dass die Hand an der Ausführung gar keinen Antheil gehabt zu haben scheine, sondern der blosse Wille“; er nennt es „ein in seiner Art ausserordentliches (singolare) Werk“. Er hat es eigentlich entdeckt: Palomino erwähnt es nicht. Es befand sich zuerst in Buen Retiro, im Palast Carl III (1789) war es in dem Billardzimmer (pieza de trucos). Die Spinnerinnen sind wol das älteste Arbeiter- oder Fabrik- stück. Diess Wagniss hat also der Schlossmarschall Philipp IV unternommen. Der Beifall, den das Bild zu allen Zeiten gefun- den hat, beweist, dass der Griff ein glücklicher war. Besonders 1) Das grade Gegentheil dieser augenscheinlichen Eigenschaften haben zwei eminente Kritiker in dem Gemälde zu sehn geglaubt. Waagen findet darin „eine Harmonie gebrochener, meist kühler Farben“, und Beulé meint, à peine si la brosse a effleuré la toile. — Eine Wiederholung in der Pereire Galerie war ein modernes Machwerk.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/356>, abgerufen am 23.11.2024.