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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Familie des Malers.
hellrother gestickter Jacke, Spitzenmanschetten und -Kragen legt
die eintretende Dame, freundlich grüssend, die Hand auf den
Scheitel; er sieht aber nach dem ihn mehr interessirenden grossen
Knaben, dessen cavaliermässige Tracht und Pose mit scheu-
voller Bewunderung studirend. Dem Jüngeren, einem Profil,
die Haare an der Schläfe in Zöpfchen mit blauem Band geflochten,
hat er brüderlich die Hand auf die Schulter gelegt. Dieser gute
Knabe, des Grossvaters grossen Krückstock in der Linken,
bietet in einer Anwandlung heroischen Edelmuths dem Eintre-
tenden eine Apfelsine 1). Er steht angelehnt an die dicke Frau;
ist es die Mutter oder die Aya? Sie sitzt abgewandt von dem
Besuch, und scheint dem Mädchen, das sie um die Schulter
und am Händchen fasst, etwas zuzuflüstern; diese Blaue dürfte
nach ihrer trotzigen Miene eine Erinnerung an die Pflich-
ten gegen Gäste nöthig haben. Das letzte patzige Männchen
in rothen Höschen und gelber Jacke, Degen an der Seite,
glotzt mit runden Eulenaugen abwesend aber zufrieden ins
Leere; er hält ein Vögelchen. Die Frau trägt ein rothes
Kleid mit Silberborten, braunem Ueberwurf und schwarzer
Sammtjacke mit Spangen an der Brust. Also ein farbenrei-
ches Bild. Kastilische Kinderköpfe mit grossen dunkelbraunen
Augen, "funkelnd wie Edelsteine". Sie sind vielleicht für eine
festliche Gelegenheit (des Vaters Namenstag?) in ihren Sonntags-
staat gesteckt und gehörig einexercirt worden. Von dem ge-
setzten Stolz jenes caballerito bis zu dem stupor der letzten
Puppe hat der Maler mit Beobachtung und Humor die Kinder-
eigenheit den kleinen Altersunterschieden angepasst.

Die Diagonale dieser Gruppe lässt eine Hälfte Hintergrund
ganz frei für das Atelier und den davor befindlichen grossen
Raum. An der gegenüberliegenden Wand des letzteren steht
ein Tisch mit bis zum Estrich reichender dunkler Sammtdecke,
darauf die Marmorbüste einer Frau, Zeichnungen, ein Glas mit
Blumenstrauss, und darüber, genau in der Mittelaxe der Lein-
wand, in schwarzem Rahmen die Halbfigur des alten Königs und
eine Landschaft. Rechts, über ein Drittel der Breite einnehmend,
öffnet sich der um einige Stufen erhöhte Obrador. Durch das
eine hohe Fenster mit für die Zeit sehr grossen Scheiben, sieht

1) Die ausgeführte Studie zu diesem Knabenkopf ist von mir in dem bald Ve-
lazquez bald Pareja genannten Bildniss in Dulwich College (Nr. 222; 1' 2 3/8 " x 10 3/8 ")
im Jahre 1879 zuerst wiedererkannt worden.
II. 21

Die Familie des Malers.
hellrother gestickter Jacke, Spitzenmanschetten und -Kragen legt
die eintretende Dame, freundlich grüssend, die Hand auf den
Scheitel; er sieht aber nach dem ihn mehr interessirenden grossen
Knaben, dessen cavaliermässige Tracht und Pose mit scheu-
voller Bewunderung studirend. Dem Jüngeren, einem Profil,
die Haare an der Schläfe in Zöpfchen mit blauem Band geflochten,
hat er brüderlich die Hand auf die Schulter gelegt. Dieser gute
Knabe, des Grossvaters grossen Krückstock in der Linken,
bietet in einer Anwandlung heroischen Edelmuths dem Eintre-
tenden eine Apfelsine 1). Er steht angelehnt an die dicke Frau;
ist es die Mutter oder die Aya? Sie sitzt abgewandt von dem
Besuch, und scheint dem Mädchen, das sie um die Schulter
und am Händchen fasst, etwas zuzuflüstern; diese Blaue dürfte
nach ihrer trotzigen Miene eine Erinnerung an die Pflich-
ten gegen Gäste nöthig haben. Das letzte patzige Männchen
in rothen Höschen und gelber Jacke, Degen an der Seite,
glotzt mit runden Eulenaugen abwesend aber zufrieden ins
Leere; er hält ein Vögelchen. Die Frau trägt ein rothes
Kleid mit Silberborten, braunem Ueberwurf und schwarzer
Sammtjacke mit Spangen an der Brust. Also ein farbenrei-
ches Bild. Kastilische Kinderköpfe mit grossen dunkelbraunen
Augen, „funkelnd wie Edelsteine“. Sie sind vielleicht für eine
festliche Gelegenheit (des Vaters Namenstag?) in ihren Sonntags-
staat gesteckt und gehörig einexercirt worden. Von dem ge-
setzten Stolz jenes caballerito bis zu dem stupor der letzten
Puppe hat der Maler mit Beobachtung und Humor die Kinder-
eigenheit den kleinen Altersunterschieden angepasst.

Die Diagonale dieser Gruppe lässt eine Hälfte Hintergrund
ganz frei für das Atelier und den davor befindlichen grossen
Raum. An der gegenüberliegenden Wand des letzteren steht
ein Tisch mit bis zum Estrich reichender dunkler Sammtdecke,
darauf die Marmorbüste einer Frau, Zeichnungen, ein Glas mit
Blumenstrauss, und darüber, genau in der Mittelaxe der Lein-
wand, in schwarzem Rahmen die Halbfigur des alten Königs und
eine Landschaft. Rechts, über ein Drittel der Breite einnehmend,
öffnet sich der um einige Stufen erhöhte Obrador. Durch das
eine hohe Fenster mit für die Zeit sehr grossen Scheiben, sieht

1) Die ausgeführte Studie zu diesem Knabenkopf ist von mir in dem bald Ve-
lazquez bald Pareja genannten Bildniss in Dulwich College (Nr. 222; 1' 2⅜″ × 10⅜″)
im Jahre 1879 zuerst wiedererkannt worden.
II. 21
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[321/0343] Die Familie des Malers. hellrother gestickter Jacke, Spitzenmanschetten und -Kragen legt die eintretende Dame, freundlich grüssend, die Hand auf den Scheitel; er sieht aber nach dem ihn mehr interessirenden grossen Knaben, dessen cavaliermässige Tracht und Pose mit scheu- voller Bewunderung studirend. Dem Jüngeren, einem Profil, die Haare an der Schläfe in Zöpfchen mit blauem Band geflochten, hat er brüderlich die Hand auf die Schulter gelegt. Dieser gute Knabe, des Grossvaters grossen Krückstock in der Linken, bietet in einer Anwandlung heroischen Edelmuths dem Eintre- tenden eine Apfelsine 1). Er steht angelehnt an die dicke Frau; ist es die Mutter oder die Aya? Sie sitzt abgewandt von dem Besuch, und scheint dem Mädchen, das sie um die Schulter und am Händchen fasst, etwas zuzuflüstern; diese Blaue dürfte nach ihrer trotzigen Miene eine Erinnerung an die Pflich- ten gegen Gäste nöthig haben. Das letzte patzige Männchen in rothen Höschen und gelber Jacke, Degen an der Seite, glotzt mit runden Eulenaugen abwesend aber zufrieden ins Leere; er hält ein Vögelchen. Die Frau trägt ein rothes Kleid mit Silberborten, braunem Ueberwurf und schwarzer Sammtjacke mit Spangen an der Brust. Also ein farbenrei- ches Bild. Kastilische Kinderköpfe mit grossen dunkelbraunen Augen, „funkelnd wie Edelsteine“. Sie sind vielleicht für eine festliche Gelegenheit (des Vaters Namenstag?) in ihren Sonntags- staat gesteckt und gehörig einexercirt worden. Von dem ge- setzten Stolz jenes caballerito bis zu dem stupor der letzten Puppe hat der Maler mit Beobachtung und Humor die Kinder- eigenheit den kleinen Altersunterschieden angepasst. Die Diagonale dieser Gruppe lässt eine Hälfte Hintergrund ganz frei für das Atelier und den davor befindlichen grossen Raum. An der gegenüberliegenden Wand des letzteren steht ein Tisch mit bis zum Estrich reichender dunkler Sammtdecke, darauf die Marmorbüste einer Frau, Zeichnungen, ein Glas mit Blumenstrauss, und darüber, genau in der Mittelaxe der Lein- wand, in schwarzem Rahmen die Halbfigur des alten Königs und eine Landschaft. Rechts, über ein Drittel der Breite einnehmend, öffnet sich der um einige Stufen erhöhte Obrador. Durch das eine hohe Fenster mit für die Zeit sehr grossen Scheiben, sieht 1) Die ausgeführte Studie zu diesem Knabenkopf ist von mir in dem bald Ve- lazquez bald Pareja genannten Bildniss in Dulwich College (Nr. 222; 1' 2⅜″ × 10⅜″) im Jahre 1879 zuerst wiedererkannt worden. II. 21

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/343>, abgerufen am 24.11.2024.