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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Das Gemälde der Familie Philipp IV.
Eindrücken des Auges ringenden Hand improvisirt. Velazquez'
Genie war diese Feinheit des Blicks für die Unterschiede des
Helldunkels und die Mittel, mit welchen die Natur modellirt; er
sah was bisher Niemand gesehn hatte; aber für das Geschaute
findet der wahre Künstler stets auch die Farben, worin bestände
sonst das Genie? Wer alle Pinselgewohnheiten Tizians und Rem-
brandts auf Recepte gebracht besässe, er würde doch nichts
damit machen ohne ihr Auge. --

Die frühste bekannte Bemerkung über das Bild stammt von
einem Italiener. Luca Giordano soll zu Carl II gesagt haben:
Sennor, das ist die Theologie der Malerei. Was soll das heissen?
Dass er das Bild "als das erste der Welt bezeichnen wollte, wie
die Theologie die oberste unter den Wissenschaften ist," diese
Plattheit eines Spaniers dürfen wir dem alten Neapolitaner wol
nicht zutrauen. Ein Franzose hatte den Einfall, der Verglei-
chungspunkt liege in der "Subtilität" 1). Man könnte meinen, er
habe das Bild als Kanon für die Malerei des Reliefs und Hell-
dunkels bezeichnen wollen, wie es der Speerträger des Polyklet
für die Proportionen war. Aber warum sagte er dann nicht
Philosophie der Malerei, wie Lawrence 2)? Theologie ist Wissen-
schaft geoffenbarter Wahrheit, im Unterschied von der durch
die natürlichen Kräfte des Verstands erworbenen. Der Ver-
gleichungspunkt liegt also wol in der Unmittelbarkeit. Die Kunst
hat auch sonst wol in ihren höchsten Schöpfungen diesen Eindruck
des Ungewordenen, Inspirirten gemacht, da wo in der Vollkom-
menheit des Daseins das endliche Werden verschwindet. Es
wäre also dasselbe, was Mengs von einem andern Werk des
Velazquez sagte, "die Hand scheine an seiner Ausführung keinen
Antheil gehabt zu haben, sondern der blosse Wille".

Das Bild wurde aufgehängt in dem Geschäftszimmer des
untern Stocks (pieza de despacho), wo ein Deckengemälde mit
Apollo war: in dem Inventar von 1686, wo es zuerst vorkommt,
wird es auf 10000 Doblonen taxirt. Unter den Bourbonen (1747),
wo die Infantin Maria Theresia genannt wird, steigt es auf 25000.
Goya hat es radirt, aber die beim Nachätzen verdorbene Platte
zerstört; nur fünf Abdrücke sind nachzuweisen. Bei dem Brand

1) Quoi de plus subtil, en effet, que la theologie et que l'air impalpable,
bien que lui-meme touche et enveloppe tout. W. Burger, Salons I. 225.
2) In all the objects and subjects of his pencil, it is the true philosophy of
art -- the selection of essentials -- of all which, first and last, strikes the eye and
senses of the spectator. Lawrence an Wilkie, 27. Nov. 1827.

Das Gemälde der Familie Philipp IV.
Eindrücken des Auges ringenden Hand improvisirt. Velazquez’
Genie war diese Feinheit des Blicks für die Unterschiede des
Helldunkels und die Mittel, mit welchen die Natur modellirt; er
sah was bisher Niemand gesehn hatte; aber für das Geschaute
findet der wahre Künstler stets auch die Farben, worin bestände
sonst das Genie? Wer alle Pinselgewohnheiten Tizians und Rem-
brandts auf Recepte gebracht besässe, er würde doch nichts
damit machen ohne ihr Auge. —

Die frühste bekannte Bemerkung über das Bild stammt von
einem Italiener. Luca Giordano soll zu Carl II gesagt haben:
Señor, das ist die Theologie der Malerei. Was soll das heissen?
Dass er das Bild „als das erste der Welt bezeichnen wollte, wie
die Theologie die oberste unter den Wissenschaften ist,“ diese
Plattheit eines Spaniers dürfen wir dem alten Neapolitaner wol
nicht zutrauen. Ein Franzose hatte den Einfall, der Verglei-
chungspunkt liege in der „Subtilität“ 1). Man könnte meinen, er
habe das Bild als Kanon für die Malerei des Reliefs und Hell-
dunkels bezeichnen wollen, wie es der Speerträger des Polyklet
für die Proportionen war. Aber warum sagte er dann nicht
Philosophie der Malerei, wie Lawrence 2)? Theologie ist Wissen-
schaft geoffenbarter Wahrheit, im Unterschied von der durch
die natürlichen Kräfte des Verstands erworbenen. Der Ver-
gleichungspunkt liegt also wol in der Unmittelbarkeit. Die Kunst
hat auch sonst wol in ihren höchsten Schöpfungen diesen Eindruck
des Ungewordenen, Inspirirten gemacht, da wo in der Vollkom-
menheit des Daseins das endliche Werden verschwindet. Es
wäre also dasselbe, was Mengs von einem andern Werk des
Velazquez sagte, „die Hand scheine an seiner Ausführung keinen
Antheil gehabt zu haben, sondern der blosse Wille“.

Das Bild wurde aufgehängt in dem Geschäftszimmer des
untern Stocks (pieza de despacho), wo ein Deckengemälde mit
Apollo war: in dem Inventar von 1686, wo es zuerst vorkommt,
wird es auf 10000 Doblonen taxirt. Unter den Bourbonen (1747),
wo die Infantin Maria Theresia genannt wird, steigt es auf 25000.
Goya hat es radirt, aber die beim Nachätzen verdorbene Platte
zerstört; nur fünf Abdrücke sind nachzuweisen. Bei dem Brand

1) Quoi de plus subtil, en effet, que la théologie et que l’air impalpable,
bien que lui-même touche et enveloppe tout. W. Burger, Salons I. 225.
2) In all the objects and subjects of his pencil, it is the true philosophy of
art — the selection of essentials — of all which, first and last, strikes the eye and
senses of the spectator. Lawrence an Wilkie, 27. Nov. 1827.
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[319/0341] Das Gemälde der Familie Philipp IV. Eindrücken des Auges ringenden Hand improvisirt. Velazquez’ Genie war diese Feinheit des Blicks für die Unterschiede des Helldunkels und die Mittel, mit welchen die Natur modellirt; er sah was bisher Niemand gesehn hatte; aber für das Geschaute findet der wahre Künstler stets auch die Farben, worin bestände sonst das Genie? Wer alle Pinselgewohnheiten Tizians und Rem- brandts auf Recepte gebracht besässe, er würde doch nichts damit machen ohne ihr Auge. — Die frühste bekannte Bemerkung über das Bild stammt von einem Italiener. Luca Giordano soll zu Carl II gesagt haben: Señor, das ist die Theologie der Malerei. Was soll das heissen? Dass er das Bild „als das erste der Welt bezeichnen wollte, wie die Theologie die oberste unter den Wissenschaften ist,“ diese Plattheit eines Spaniers dürfen wir dem alten Neapolitaner wol nicht zutrauen. Ein Franzose hatte den Einfall, der Verglei- chungspunkt liege in der „Subtilität“ 1). Man könnte meinen, er habe das Bild als Kanon für die Malerei des Reliefs und Hell- dunkels bezeichnen wollen, wie es der Speerträger des Polyklet für die Proportionen war. Aber warum sagte er dann nicht Philosophie der Malerei, wie Lawrence 2)? Theologie ist Wissen- schaft geoffenbarter Wahrheit, im Unterschied von der durch die natürlichen Kräfte des Verstands erworbenen. Der Ver- gleichungspunkt liegt also wol in der Unmittelbarkeit. Die Kunst hat auch sonst wol in ihren höchsten Schöpfungen diesen Eindruck des Ungewordenen, Inspirirten gemacht, da wo in der Vollkom- menheit des Daseins das endliche Werden verschwindet. Es wäre also dasselbe, was Mengs von einem andern Werk des Velazquez sagte, „die Hand scheine an seiner Ausführung keinen Antheil gehabt zu haben, sondern der blosse Wille“. Das Bild wurde aufgehängt in dem Geschäftszimmer des untern Stocks (pieza de despacho), wo ein Deckengemälde mit Apollo war: in dem Inventar von 1686, wo es zuerst vorkommt, wird es auf 10000 Doblonen taxirt. Unter den Bourbonen (1747), wo die Infantin Maria Theresia genannt wird, steigt es auf 25000. Goya hat es radirt, aber die beim Nachätzen verdorbene Platte zerstört; nur fünf Abdrücke sind nachzuweisen. Bei dem Brand 1) Quoi de plus subtil, en effet, que la théologie et que l’air impalpable, bien que lui-même touche et enveloppe tout. W. Burger, Salons I. 225. 2) In all the objects and subjects of his pencil, it is the true philosophy of art — the selection of essentials — of all which, first and last, strikes the eye and senses of the spectator. Lawrence an Wilkie, 27. Nov. 1827.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/341>, abgerufen am 19.04.2024.