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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Königin Marianne.
lichen Gesandten Ferdinand Bonaventura von Harrach bei
seiner Abreise von Madrid im Jahre 1677. Die Augen sind
trist, der Mund wie zum Weinen verzogen. Der Physiog-
nomiker würde darin ein Bild trüber, jede Freude und Sympathie
abweisender Entsagung finden; die Chronik zeigt uns diese
Devote als eine böse, ungeschickte Frau, in welcher die welt-
lichen Lüste keineswegs erloschen waren. Der einzige Luxus-
gegenstand ist die grosse goldne Pendeluhr mit der schlanken
Treppenpyramide: Tyrann und Symbol ihres Daseins. Der Inhalt
ihres Lebens ist ja nur die Form der Zeiteintheilung, ein Nichts
zwischen ihren Zahlen: Wiederholung von Förmlichkeiten,
die längst begrabene Menschen festgesetzt haben. Härter, kälter
ist das Madrider Exemplar, wo sie vor einem Sekretär sitzt, die
rechte auf einem Schriftstück. Der Blick ist sinnend. Auch die
ehemalige Nationalgalerie im Fomento besass ein solches Porträt,
mit dem Ausdruck sanfter Schwermuth.

So sieht man sie in der Beschreibung der Madame d'Aulnoy,
während ihrer Verbannung zu Toledo, im Fenster des für sie
eilig in Stand gesetzten Alcazar, an den Balkon gelehnt; bleich
und zart, mit sanftem Blick, eine kleine magere Hand zum
Handkuss reichend. Dort blickt man von dem hochragenden
Schloss Carl V hinunter nach der grünlichen Flutenschlange des
Tajo, der sich zwischen steilen, zerrissenen und wüsten Granit-
felsen und Geröll hindurchwindet; einst umduftet von blühenden
Gärten, umsummt vom Schwirren der Seidenwebstühle, jetzt
Klagemelodien rauschend über den Verfall. Als sie hörte, dass
die Damen von Madrid kamen, da erinnerte sie sich eines Bild-
nisses im Zimmer des Hochseligen, das ihm einst von Wien ge-
sandt war, das Werk eines Hofkünstlers. Sie könnte, sagte
sie, den Augenblick bis heute nicht vergessen, als beim Eintritt
in das Gemach ihre Augen auf diess Gemälde fielen, das sie
sein sollte: "ich versuchte umsonst es zu glauben, es wollte mir
nicht gelingen." So blüht auch in der Wüste des leersten, ent-
täuschten Daseins noch die Blume der Eitelkeit.

Endlich hat auch der letzte Maler der alten Zeit, Claudio
Coello, noch seine Kunst an der Königin-Witwe versucht. We-
nigstens scheint mir das Bild der Münchener Pinakothek (Nr. 1302)
besser für ihn als für Carrenno zu passen, dem es seit einem Be-
such des D. Francisco de Asis, Gemahl Isabella II, zugeschrieben
wird. Der Kopf ist der abstossendste, das Gemälde das interes-
santeste von allen. Die Fürstin wird man in dieser alten Dame

Die Königin Marianne.
lichen Gesandten Ferdinand Bonaventura von Harrach bei
seiner Abreise von Madrid im Jahre 1677. Die Augen sind
trist, der Mund wie zum Weinen verzogen. Der Physiog-
nomiker würde darin ein Bild trüber, jede Freude und Sympathie
abweisender Entsagung finden; die Chronik zeigt uns diese
Devote als eine böse, ungeschickte Frau, in welcher die welt-
lichen Lüste keineswegs erloschen waren. Der einzige Luxus-
gegenstand ist die grosse goldne Pendeluhr mit der schlanken
Treppenpyramide: Tyrann und Symbol ihres Daseins. Der Inhalt
ihres Lebens ist ja nur die Form der Zeiteintheilung, ein Nichts
zwischen ihren Zahlen: Wiederholung von Förmlichkeiten,
die längst begrabene Menschen festgesetzt haben. Härter, kälter
ist das Madrider Exemplar, wo sie vor einem Sekretär sitzt, die
rechte auf einem Schriftstück. Der Blick ist sinnend. Auch die
ehemalige Nationalgalerie im Fomento besass ein solches Porträt,
mit dem Ausdruck sanfter Schwermuth.

So sieht man sie in der Beschreibung der Madame d’Aulnoy,
während ihrer Verbannung zu Toledo, im Fenster des für sie
eilig in Stand gesetzten Alcazar, an den Balkon gelehnt; bleich
und zart, mit sanftem Blick, eine kleine magere Hand zum
Handkuss reichend. Dort blickt man von dem hochragenden
Schloss Carl V hinunter nach der grünlichen Flutenschlange des
Tajo, der sich zwischen steilen, zerrissenen und wüsten Granit-
felsen und Geröll hindurchwindet; einst umduftet von blühenden
Gärten, umsummt vom Schwirren der Seidenwebstühle, jetzt
Klagemelodien rauschend über den Verfall. Als sie hörte, dass
die Damen von Madrid kamen, da erinnerte sie sich eines Bild-
nisses im Zimmer des Hochseligen, das ihm einst von Wien ge-
sandt war, das Werk eines Hofkünstlers. Sie könnte, sagte
sie, den Augenblick bis heute nicht vergessen, als beim Eintritt
in das Gemach ihre Augen auf diess Gemälde fielen, das sie
sein sollte: „ich versuchte umsonst es zu glauben, es wollte mir
nicht gelingen.“ So blüht auch in der Wüste des leersten, ent-
täuschten Daseins noch die Blume der Eitelkeit.

Endlich hat auch der letzte Maler der alten Zeit, Claudio
Coello, noch seine Kunst an der Königin-Witwe versucht. We-
nigstens scheint mir das Bild der Münchener Pinakothek (Nr. 1302)
besser für ihn als für Carreño zu passen, dem es seit einem Be-
such des D. Francisco de Asis, Gemahl Isabella II, zugeschrieben
wird. Der Kopf ist der abstossendste, das Gemälde das interes-
santeste von allen. Die Fürstin wird man in dieser alten Dame

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[295/0315] Die Königin Marianne. lichen Gesandten Ferdinand Bonaventura von Harrach bei seiner Abreise von Madrid im Jahre 1677. Die Augen sind trist, der Mund wie zum Weinen verzogen. Der Physiog- nomiker würde darin ein Bild trüber, jede Freude und Sympathie abweisender Entsagung finden; die Chronik zeigt uns diese Devote als eine böse, ungeschickte Frau, in welcher die welt- lichen Lüste keineswegs erloschen waren. Der einzige Luxus- gegenstand ist die grosse goldne Pendeluhr mit der schlanken Treppenpyramide: Tyrann und Symbol ihres Daseins. Der Inhalt ihres Lebens ist ja nur die Form der Zeiteintheilung, ein Nichts zwischen ihren Zahlen: Wiederholung von Förmlichkeiten, die längst begrabene Menschen festgesetzt haben. Härter, kälter ist das Madrider Exemplar, wo sie vor einem Sekretär sitzt, die rechte auf einem Schriftstück. Der Blick ist sinnend. Auch die ehemalige Nationalgalerie im Fomento besass ein solches Porträt, mit dem Ausdruck sanfter Schwermuth. So sieht man sie in der Beschreibung der Madame d’Aulnoy, während ihrer Verbannung zu Toledo, im Fenster des für sie eilig in Stand gesetzten Alcazar, an den Balkon gelehnt; bleich und zart, mit sanftem Blick, eine kleine magere Hand zum Handkuss reichend. Dort blickt man von dem hochragenden Schloss Carl V hinunter nach der grünlichen Flutenschlange des Tajo, der sich zwischen steilen, zerrissenen und wüsten Granit- felsen und Geröll hindurchwindet; einst umduftet von blühenden Gärten, umsummt vom Schwirren der Seidenwebstühle, jetzt Klagemelodien rauschend über den Verfall. Als sie hörte, dass die Damen von Madrid kamen, da erinnerte sie sich eines Bild- nisses im Zimmer des Hochseligen, das ihm einst von Wien ge- sandt war, das Werk eines Hofkünstlers. Sie könnte, sagte sie, den Augenblick bis heute nicht vergessen, als beim Eintritt in das Gemach ihre Augen auf diess Gemälde fielen, das sie sein sollte: „ich versuchte umsonst es zu glauben, es wollte mir nicht gelingen.“ So blüht auch in der Wüste des leersten, ent- täuschten Daseins noch die Blume der Eitelkeit. Endlich hat auch der letzte Maler der alten Zeit, Claudio Coello, noch seine Kunst an der Königin-Witwe versucht. We- nigstens scheint mir das Bild der Münchener Pinakothek (Nr. 1302) besser für ihn als für Carreño zu passen, dem es seit einem Be- such des D. Francisco de Asis, Gemahl Isabella II, zugeschrieben wird. Der Kopf ist der abstossendste, das Gemälde das interes- santeste von allen. Die Fürstin wird man in dieser alten Dame

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/315>, abgerufen am 18.04.2024.