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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Memoria.

Bemerkungen, wie die, dass ein Bild in der besten Manier des
Meisters sei, zu seinen besten Sachen gehöre, weisen auf den weiten
Erfahrungskreis des Kenners hin. Diess wird z. B. gesagt von Tizians
Flucht nach Aegypten (VIII), von dem heil. Sebastian Tintoretto's (XII);
von der Asunta Annibale's, "die in der Farbe grosse Aehnlichkeit mit
Tintoretto zeige". Das ebenfalls gerühmte Ecce Homo Tizians (XIV) gilt
indess heute für Leandro Bassano.

Von einem Gemälde heisst es, hier habe sein grosser Meister sich
selbst überboten: es ist die Fusswaschung Tintoretto's, aus S. Marcola
in Venedig, wo der Verfasser eine Kopie gesehen hat, die man kaum
als solche erkennt. Dieser Artikel, der längste von allen, ist zugleich
der lebhafteste; und hier glaubt man in der That Velazquez sprechen
zu hören (I S. 275). "Die Leichtigkeit und Eleganz (gala) wird auch
den fertigsten und geübtesten (el mas despejado y practico) Maler ver-
blüffen". Das Auseinandergehn des Raumes in die Tiefe ist so illu-
sorisch durch die Darstellung der Luft (aire ambiente), dass man in dem
Bilde herumspazieren zu können glaubt. "Jedes Werk wird neben ihm
als Malerei erscheinen, diess allein als Wahrheit". Das sind Worte,
die des Malers eigenes Ideal auszudrücken scheinen; sie sind seinen
Meninas und Hilanderas, und diesen noch mehr als dem Tintoretto,
wie auf den Leib geschnitten. Sonderbar ist nur, dass ein solches
Non plus ultra, das "an zweiter Stelle, aber nicht untergeordnet, der
Perle Raphaels folgt", so leicht zu kopiren war! -- Die Vorliebe des
Verfassers für die Venezianer tritt übrigens überall zu Tage. -- Es
kommen indess auch Stellen vor, wo die Worte des Künstlers nicht im
Einklang zu stehen scheinen mit seinen Werken.

Die Memoria billigt es, dass Paul Veronese in der Hochzeit zu
Cana unter so viel Bildnissen allein der Mutter Gottes keinen Bildniss-
kopf gegeben habe, wie es sich für ihre Göttlichkeit gezieme (porque
tiene mayor decoro y divinidad
). Ferner, dass ihre Jahre denen ihres Sohnes
entsprechend erscheinen (d. h. in der Mitte der vierzig). Denn Viele
haben sie neben ihrem Sohne als Mann wie ein Mädchen dargestellt.
Er beschreibt in erhobenem Ton die schöne Nacktheit des Kindes (todo
el desnudo, bellisimo, tan tierno
etc. (VII). -- Nun aber hat er selbst in
seinen Hirten, in der Epiphanie und der Krönung, der Maria einen unver-
kennbaren Modellkopf gegeben; er hat sie in der mit der Denkschrift
ziemlich gleichzeitigen Krönung ganz jung gemalt (nach der Vorschrift
Pacheco's); endlich finden wir in den beiden erstern ein Wickelkind.

Nach der oben (S. 176) berichteten Unterhaltung mit Salvator Rosa
stand Velazquez den Werken des Raphael Santi etwas kühl gegenüber.
In der Beschreibung der Perle, spricht er im Ton eines Raphaelschwärmers.

Die Memoria.

Bemerkungen, wie die, dass ein Bild in der besten Manier des
Meisters sei, zu seinen besten Sachen gehöre, weisen auf den weiten
Erfahrungskreis des Kenners hin. Diess wird z. B. gesagt von Tizians
Flucht nach Aegypten (VIII), von dem heil. Sebastian Tintoretto’s (XII);
von der Asunta Annibale’s, „die in der Farbe grosse Aehnlichkeit mit
Tintoretto zeige“. Das ebenfalls gerühmte Ecce Homo Tizians (XIV) gilt
indess heute für Leandro Bassano.

Von einem Gemälde heisst es, hier habe sein grosser Meister sich
selbst überboten: es ist die Fusswaschung Tintoretto’s, aus S. Marcola
in Venedig, wo der Verfasser eine Kopie gesehen hat, die man kaum
als solche erkennt. Dieser Artikel, der längste von allen, ist zugleich
der lebhafteste; und hier glaubt man in der That Velazquez sprechen
zu hören (I S. 275). „Die Leichtigkeit und Eleganz (gala) wird auch
den fertigsten und geübtesten (el mas despejado y práctico) Maler ver-
blüffen“. Das Auseinandergehn des Raumes in die Tiefe ist so illu-
sorisch durch die Darstellung der Luft (aire ambiente), dass man in dem
Bilde herumspazieren zu können glaubt. „Jedes Werk wird neben ihm
als Malerei erscheinen, diess allein als Wahrheit“. Das sind Worte,
die des Malers eigenes Ideal auszudrücken scheinen; sie sind seinen
Meninas und Hilanderas, und diesen noch mehr als dem Tintoretto,
wie auf den Leib geschnitten. Sonderbar ist nur, dass ein solches
Non plus ultra, das „an zweiter Stelle, aber nicht untergeordnet, der
Perle Raphaels folgt“, so leicht zu kopiren war! — Die Vorliebe des
Verfassers für die Venezianer tritt übrigens überall zu Tage. — Es
kommen indess auch Stellen vor, wo die Worte des Künstlers nicht im
Einklang zu stehen scheinen mit seinen Werken.

Die Memoria billigt es, dass Paul Veronese in der Hochzeit zu
Cana unter so viel Bildnissen allein der Mutter Gottes keinen Bildniss-
kopf gegeben habe, wie es sich für ihre Göttlichkeit gezieme (porque
tiene mayor decoro y divinidad
). Ferner, dass ihre Jahre denen ihres Sohnes
entsprechend erscheinen (d. h. in der Mitte der vierzig). Denn Viele
haben sie neben ihrem Sohne als Mann wie ein Mädchen dargestellt.
Er beschreibt in erhobenem Ton die schöne Nacktheit des Kindes (todo
él desnudo, bellísimo, tan tierno
etc. (VII). — Nun aber hat er selbst in
seinen Hirten, in der Epiphanie und der Krönung, der Maria einen unver-
kennbaren Modellkopf gegeben; er hat sie in der mit der Denkschrift
ziemlich gleichzeitigen Krönung ganz jung gemalt (nach der Vorschrift
Pacheco’s); endlich finden wir in den beiden erstern ein Wickelkind.

Nach der oben (S. 176) berichteten Unterhaltung mit Salvator Rosa
stand Velazquez den Werken des Raphael Santi etwas kühl gegenüber.
In der Beschreibung der Perle, spricht er im Ton eines Raphaelschwärmers.

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[253/0273] Die Memoria. Bemerkungen, wie die, dass ein Bild in der besten Manier des Meisters sei, zu seinen besten Sachen gehöre, weisen auf den weiten Erfahrungskreis des Kenners hin. Diess wird z. B. gesagt von Tizians Flucht nach Aegypten (VIII), von dem heil. Sebastian Tintoretto’s (XII); von der Asunta Annibale’s, „die in der Farbe grosse Aehnlichkeit mit Tintoretto zeige“. Das ebenfalls gerühmte Ecce Homo Tizians (XIV) gilt indess heute für Leandro Bassano. Von einem Gemälde heisst es, hier habe sein grosser Meister sich selbst überboten: es ist die Fusswaschung Tintoretto’s, aus S. Marcola in Venedig, wo der Verfasser eine Kopie gesehen hat, die man kaum als solche erkennt. Dieser Artikel, der längste von allen, ist zugleich der lebhafteste; und hier glaubt man in der That Velazquez sprechen zu hören (I S. 275). „Die Leichtigkeit und Eleganz (gala) wird auch den fertigsten und geübtesten (el mas despejado y práctico) Maler ver- blüffen“. Das Auseinandergehn des Raumes in die Tiefe ist so illu- sorisch durch die Darstellung der Luft (aire ambiente), dass man in dem Bilde herumspazieren zu können glaubt. „Jedes Werk wird neben ihm als Malerei erscheinen, diess allein als Wahrheit“. Das sind Worte, die des Malers eigenes Ideal auszudrücken scheinen; sie sind seinen Meninas und Hilanderas, und diesen noch mehr als dem Tintoretto, wie auf den Leib geschnitten. Sonderbar ist nur, dass ein solches Non plus ultra, das „an zweiter Stelle, aber nicht untergeordnet, der Perle Raphaels folgt“, so leicht zu kopiren war! — Die Vorliebe des Verfassers für die Venezianer tritt übrigens überall zu Tage. — Es kommen indess auch Stellen vor, wo die Worte des Künstlers nicht im Einklang zu stehen scheinen mit seinen Werken. Die Memoria billigt es, dass Paul Veronese in der Hochzeit zu Cana unter so viel Bildnissen allein der Mutter Gottes keinen Bildniss- kopf gegeben habe, wie es sich für ihre Göttlichkeit gezieme (porque tiene mayor decoro y divinidad). Ferner, dass ihre Jahre denen ihres Sohnes entsprechend erscheinen (d. h. in der Mitte der vierzig). Denn Viele haben sie neben ihrem Sohne als Mann wie ein Mädchen dargestellt. Er beschreibt in erhobenem Ton die schöne Nacktheit des Kindes (todo él desnudo, bellísimo, tan tierno etc. (VII). — Nun aber hat er selbst in seinen Hirten, in der Epiphanie und der Krönung, der Maria einen unver- kennbaren Modellkopf gegeben; er hat sie in der mit der Denkschrift ziemlich gleichzeitigen Krönung ganz jung gemalt (nach der Vorschrift Pacheco’s); endlich finden wir in den beiden erstern ein Wickelkind. Nach der oben (S. 176) berichteten Unterhaltung mit Salvator Rosa stand Velazquez den Werken des Raphael Santi etwas kühl gegenüber. In der Beschreibung der Perle, spricht er im Ton eines Raphaelschwärmers.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/273>, abgerufen am 24.11.2024.