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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Bildnisskunst des Meisters.
gegangen, hat mit einem gewissen Trotz unterlassen sie zu mil-
dern oder in Schatten zu stellen. Er scheint zu glauben, dass
man Jedermann, ohne Ab- und Zuthun, eine malerische Darstel-
lung abgewinnen könne; dass es kein Wesen gebe das, an seinen
Platz gestellt, in passender Ansicht und Beleuchtung, nicht so
erscheine, dass man es nicht anders haben möchte.

So hat er es auch (hierin ein Antipode des van Dyck) gewöhn-
lich unterlassen, seine Figuren durch malerische Attitüden interes-
sant zu machen, oder durch eine Situation zu beleben; er ist so
begnügsam ihnen nur die Positur der Ueberlieferung und der
Etikette zu geben, und diese ist zuweilen steif und hochfahrend.
Wen ich male, dachte er vielleicht, der muss im Stande sein,
zu interessiren, nicht weil er etwas interessantes thut, oder ein
interessantes Gesicht macht, sondern weil seine Person interessant
ist. Statt seine Menschen so aufzufangen, wie die Erregung der
Gesellschaft, der Wunsch zu gefallen sie belebt, lässt er sie so
zu sagen auf ihr einsames Selbst zurücksinken, wo jene günstige
Spannung, jenes Arrangement der Züge verschwindet. Sie schei-
nen sich um kein fremdes Auge zu kümmern, auch das des
Malers nicht, welches auf ihnen ruht. Wenn sie dennoch so leben-
dig sind, so ist das ein neuer Beweis, dass Lebendigkeit und
Affekt verschiedene Dinge sind 1).

Doch nein, es ist ein Ausdruck darin, der freilich beinahe Ab-
lehnung des Ausdrucks ist: ein kaltes, gebieterisches Wesen. Sie
stehn fast immer seitlich gekehrt, in Dreiviertelansicht, den Maler
mit zurückgewandtem Blick fixirend, und deshalb auch dem Be-
trachter überallhin folgend. Ein solcher Seitenblick macht den
Eindruck des Stolzes, wo nicht der Verachtung.

Aber sollte nicht gerade hierin ein Theil des Geheimnisses
seiner Wirkung liegen?

Die Eitelkeit, für die Geselligkeit nützlich, ja unentbehrlich,
wirkt in Leben und Kunst nicht so günstig. Da sie das Urtheil
anderer zur Stütze ihres Selbstgefühls bedarf, so erweckt sie
Zweifel und Geringschätzung, wenigstens am Mann. Sie denkt
an andere und sieht sich wie sie diesen gern erscheinen möchte;
dem Stolz liegt nichts daran wie er erscheint, er ist sich selbst
genug wie er ist, "er bewirbt sich nicht viel um den Beifall ande-
rer", wie Kant von den Spaniern sagte, denen er "Hochmuth" zu-
schrieb. Er braucht es auch nicht; denn der nur sein, nicht

1) Vgl. M. Unger, das Wesen der Malerei. Berlin 1851. S. 130.

Die Bildnisskunst des Meisters.
gegangen, hat mit einem gewissen Trotz unterlassen sie zu mil-
dern oder in Schatten zu stellen. Er scheint zu glauben, dass
man Jedermann, ohne Ab- und Zuthun, eine malerische Darstel-
lung abgewinnen könne; dass es kein Wesen gebe das, an seinen
Platz gestellt, in passender Ansicht und Beleuchtung, nicht so
erscheine, dass man es nicht anders haben möchte.

So hat er es auch (hierin ein Antipode des van Dyck) gewöhn-
lich unterlassen, seine Figuren durch malerische Attitüden interes-
sant zu machen, oder durch eine Situation zu beleben; er ist so
begnügsam ihnen nur die Positur der Ueberlieferung und der
Etikette zu geben, und diese ist zuweilen steif und hochfahrend.
Wen ich male, dachte er vielleicht, der muss im Stande sein,
zu interessiren, nicht weil er etwas interessantes thut, oder ein
interessantes Gesicht macht, sondern weil seine Person interessant
ist. Statt seine Menschen so aufzufangen, wie die Erregung der
Gesellschaft, der Wunsch zu gefallen sie belebt, lässt er sie so
zu sagen auf ihr einsames Selbst zurücksinken, wo jene günstige
Spannung, jenes Arrangement der Züge verschwindet. Sie schei-
nen sich um kein fremdes Auge zu kümmern, auch das des
Malers nicht, welches auf ihnen ruht. Wenn sie dennoch so leben-
dig sind, so ist das ein neuer Beweis, dass Lebendigkeit und
Affekt verschiedene Dinge sind 1).

Doch nein, es ist ein Ausdruck darin, der freilich beinahe Ab-
lehnung des Ausdrucks ist: ein kaltes, gebieterisches Wesen. Sie
stehn fast immer seitlich gekehrt, in Dreiviertelansicht, den Maler
mit zurückgewandtem Blick fixirend, und deshalb auch dem Be-
trachter überallhin folgend. Ein solcher Seitenblick macht den
Eindruck des Stolzes, wo nicht der Verachtung.

Aber sollte nicht gerade hierin ein Theil des Geheimnisses
seiner Wirkung liegen?

Die Eitelkeit, für die Geselligkeit nützlich, ja unentbehrlich,
wirkt in Leben und Kunst nicht so günstig. Da sie das Urtheil
anderer zur Stütze ihres Selbstgefühls bedarf, so erweckt sie
Zweifel und Geringschätzung, wenigstens am Mann. Sie denkt
an andere und sieht sich wie sie diesen gern erscheinen möchte;
dem Stolz liegt nichts daran wie er erscheint, er ist sich selbst
genug wie er ist, „er bewirbt sich nicht viel um den Beifall ande-
rer“, wie Kant von den Spaniern sagte, denen er „Hochmuth“ zu-
schrieb. Er braucht es auch nicht; denn der nur sein, nicht

1) Vgl. M. Unger, das Wesen der Malerei. Berlin 1851. S. 130.
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[7/0027] Die Bildnisskunst des Meisters. gegangen, hat mit einem gewissen Trotz unterlassen sie zu mil- dern oder in Schatten zu stellen. Er scheint zu glauben, dass man Jedermann, ohne Ab- und Zuthun, eine malerische Darstel- lung abgewinnen könne; dass es kein Wesen gebe das, an seinen Platz gestellt, in passender Ansicht und Beleuchtung, nicht so erscheine, dass man es nicht anders haben möchte. So hat er es auch (hierin ein Antipode des van Dyck) gewöhn- lich unterlassen, seine Figuren durch malerische Attitüden interes- sant zu machen, oder durch eine Situation zu beleben; er ist so begnügsam ihnen nur die Positur der Ueberlieferung und der Etikette zu geben, und diese ist zuweilen steif und hochfahrend. Wen ich male, dachte er vielleicht, der muss im Stande sein, zu interessiren, nicht weil er etwas interessantes thut, oder ein interessantes Gesicht macht, sondern weil seine Person interessant ist. Statt seine Menschen so aufzufangen, wie die Erregung der Gesellschaft, der Wunsch zu gefallen sie belebt, lässt er sie so zu sagen auf ihr einsames Selbst zurücksinken, wo jene günstige Spannung, jenes Arrangement der Züge verschwindet. Sie schei- nen sich um kein fremdes Auge zu kümmern, auch das des Malers nicht, welches auf ihnen ruht. Wenn sie dennoch so leben- dig sind, so ist das ein neuer Beweis, dass Lebendigkeit und Affekt verschiedene Dinge sind 1). Doch nein, es ist ein Ausdruck darin, der freilich beinahe Ab- lehnung des Ausdrucks ist: ein kaltes, gebieterisches Wesen. Sie stehn fast immer seitlich gekehrt, in Dreiviertelansicht, den Maler mit zurückgewandtem Blick fixirend, und deshalb auch dem Be- trachter überallhin folgend. Ein solcher Seitenblick macht den Eindruck des Stolzes, wo nicht der Verachtung. Aber sollte nicht gerade hierin ein Theil des Geheimnisses seiner Wirkung liegen? Die Eitelkeit, für die Geselligkeit nützlich, ja unentbehrlich, wirkt in Leben und Kunst nicht so günstig. Da sie das Urtheil anderer zur Stütze ihres Selbstgefühls bedarf, so erweckt sie Zweifel und Geringschätzung, wenigstens am Mann. Sie denkt an andere und sieht sich wie sie diesen gern erscheinen möchte; dem Stolz liegt nichts daran wie er erscheint, er ist sich selbst genug wie er ist, „er bewirbt sich nicht viel um den Beifall ande- rer“, wie Kant von den Spaniern sagte, denen er „Hochmuth“ zu- schrieb. Er braucht es auch nicht; denn der nur sein, nicht 1) Vgl. M. Unger, das Wesen der Malerei. Berlin 1851. S. 130.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/27>, abgerufen am 28.03.2024.