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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.

Er gehörte zu denen, die noch in der aufsteigenden Bewegung
des Lebens weggenommen werden; obwol er das 61. Jahr voll-
endet hat, die Schwelle des Verfalls hat er nicht überschritten.
Denn erst in diesem Jahrzent schuf er sich die Sprache des Pinsels,
durch welche er Künstler und Laien am meisten berückt. Daneben
wurde ihm auch das zu Theil, was Menschen seines Standes und
seiner Erziehung beglückt: ehren- und einflussreiche Aemter, das
Ritterkreuz. Freilich, während sonst der den idealen Mächten
des Lebens dienende Mensch mit den Jahrzehnten das Recht zu
erwerben glaubt, störende und aufreibende Nebenbeschäftigungen
abzuwälzen, hat er solche sich nun erst aufgeladen, also dass
ihm eigentlich nur Mussestunden für seine Kunst übrig blieben.
Aus seinen Werken allein würde man diese Verhältnisse wol kaum
schliessen: seine Malweise wird freilich noch abgekürzter, noch
eiliger als bisher, aber Niemand hat es verstanden wie er, aus
der Noth eine Tugend zu machen. Während er weniger als je
sich selbst angehörte, hat er sich selbst eigentlich erst ganz ge-
funden, Werke geschaffen, in welchen er am wenigsten andern
gleicht. Dieser sein dritter und letzter Stil begegnet uns in Ge-
mälden, welche noch einmal sein ganzes, so mannigfaltiges Stoff-
gebiet umfassen: Mythologien, Nachklänge römischer Anregun-
gen; groteske Figuren aus Stadt und Hof, christliche Bilder,
königliche Personen, besonders die am Horizont des Hofs neu
aufgegangnen Damengestirne: die junge Königin, die während
seiner Reise eingetroffen war, ihr Töchterchen, das wenige
Wochen nach seiner Heimkehr geboren wurde. Alles aber er-
scheint wie gelegentliche Abfälle neben zwei Schöpfungen
ohne Gleichen, dem malerisch Tiefsten was von ihm ausgegan-
gen ist.

Das Schlossmarschallamt.

(Aposentador de palacio.)

Nach dem Urtheil competenter Zeitgenossen war Velazquez
der Spiegel eines spanischen Edelmanns und Hofmanns. Seit den
Tagen des "majestätischen" Anton Mor wusste man sich in Madrid
keines Cavaliers von der Malerzunft gleich ihm zu erinnern. Der
Cicerone findet sein Bildniss in den Uffizien "fast etwas gesucht
nobel". Diess Bild entspricht ganz den Schilderungen derer die
ihn kannten. Bei seiner Bewerbung um das Ritterkreuz waren
viele Herren von Hof und aus der Stadt aufgefordert worden,

Siebentes Buch.

Er gehörte zu denen, die noch in der aufsteigenden Bewegung
des Lebens weggenommen werden; obwol er das 61. Jahr voll-
endet hat, die Schwelle des Verfalls hat er nicht überschritten.
Denn erst in diesem Jahrzent schuf er sich die Sprache des Pinsels,
durch welche er Künstler und Laien am meisten berückt. Daneben
wurde ihm auch das zu Theil, was Menschen seines Standes und
seiner Erziehung beglückt: ehren- und einflussreiche Aemter, das
Ritterkreuz. Freilich, während sonst der den idealen Mächten
des Lebens dienende Mensch mit den Jahrzehnten das Recht zu
erwerben glaubt, störende und aufreibende Nebenbeschäftigungen
abzuwälzen, hat er solche sich nun erst aufgeladen, also dass
ihm eigentlich nur Mussestunden für seine Kunst übrig blieben.
Aus seinen Werken allein würde man diese Verhältnisse wol kaum
schliessen: seine Malweise wird freilich noch abgekürzter, noch
eiliger als bisher, aber Niemand hat es verstanden wie er, aus
der Noth eine Tugend zu machen. Während er weniger als je
sich selbst angehörte, hat er sich selbst eigentlich erst ganz ge-
funden, Werke geschaffen, in welchen er am wenigsten andern
gleicht. Dieser sein dritter und letzter Stil begegnet uns in Ge-
mälden, welche noch einmal sein ganzes, so mannigfaltiges Stoff-
gebiet umfassen: Mythologien, Nachklänge römischer Anregun-
gen; groteske Figuren aus Stadt und Hof, christliche Bilder,
königliche Personen, besonders die am Horizont des Hofs neu
aufgegangnen Damengestirne: die junge Königin, die während
seiner Reise eingetroffen war, ihr Töchterchen, das wenige
Wochen nach seiner Heimkehr geboren wurde. Alles aber er-
scheint wie gelegentliche Abfälle neben zwei Schöpfungen
ohne Gleichen, dem malerisch Tiefsten was von ihm ausgegan-
gen ist.

Das Schlossmarschallamt.

(Aposentador de palacio.)

Nach dem Urtheil competenter Zeitgenossen war Velazquez
der Spiegel eines spanischen Edelmanns und Hofmanns. Seit den
Tagen des „majestätischen“ Anton Mor wusste man sich in Madrid
keines Cavaliers von der Malerzunft gleich ihm zu erinnern. Der
Cicerone findet sein Bildniss in den Uffizien „fast etwas gesucht
nobel“. Diess Bild entspricht ganz den Schilderungen derer die
ihn kannten. Bei seiner Bewerbung um das Ritterkreuz waren
viele Herren von Hof und aus der Stadt aufgefordert worden,

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[214/0234] Siebentes Buch. Er gehörte zu denen, die noch in der aufsteigenden Bewegung des Lebens weggenommen werden; obwol er das 61. Jahr voll- endet hat, die Schwelle des Verfalls hat er nicht überschritten. Denn erst in diesem Jahrzent schuf er sich die Sprache des Pinsels, durch welche er Künstler und Laien am meisten berückt. Daneben wurde ihm auch das zu Theil, was Menschen seines Standes und seiner Erziehung beglückt: ehren- und einflussreiche Aemter, das Ritterkreuz. Freilich, während sonst der den idealen Mächten des Lebens dienende Mensch mit den Jahrzehnten das Recht zu erwerben glaubt, störende und aufreibende Nebenbeschäftigungen abzuwälzen, hat er solche sich nun erst aufgeladen, also dass ihm eigentlich nur Mussestunden für seine Kunst übrig blieben. Aus seinen Werken allein würde man diese Verhältnisse wol kaum schliessen: seine Malweise wird freilich noch abgekürzter, noch eiliger als bisher, aber Niemand hat es verstanden wie er, aus der Noth eine Tugend zu machen. Während er weniger als je sich selbst angehörte, hat er sich selbst eigentlich erst ganz ge- funden, Werke geschaffen, in welchen er am wenigsten andern gleicht. Dieser sein dritter und letzter Stil begegnet uns in Ge- mälden, welche noch einmal sein ganzes, so mannigfaltiges Stoff- gebiet umfassen: Mythologien, Nachklänge römischer Anregun- gen; groteske Figuren aus Stadt und Hof, christliche Bilder, königliche Personen, besonders die am Horizont des Hofs neu aufgegangnen Damengestirne: die junge Königin, die während seiner Reise eingetroffen war, ihr Töchterchen, das wenige Wochen nach seiner Heimkehr geboren wurde. Alles aber er- scheint wie gelegentliche Abfälle neben zwei Schöpfungen ohne Gleichen, dem malerisch Tiefsten was von ihm ausgegan- gen ist. Das Schlossmarschallamt. (Aposentador de palacio.) Nach dem Urtheil competenter Zeitgenossen war Velazquez der Spiegel eines spanischen Edelmanns und Hofmanns. Seit den Tagen des „majestätischen“ Anton Mor wusste man sich in Madrid keines Cavaliers von der Malerzunft gleich ihm zu erinnern. Der Cicerone findet sein Bildniss in den Uffizien „fast etwas gesucht nobel“. Diess Bild entspricht ganz den Schilderungen derer die ihn kannten. Bei seiner Bewerbung um das Ritterkreuz waren viele Herren von Hof und aus der Stadt aufgefordert worden,

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/234>, abgerufen am 23.11.2024.