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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Sechstes Buch.
höchst eigen und doch nicht gesucht, elegant, immer unerwartet:
trotz der italienischen Schule merkt man, dass er ein Landsmann
des Jacques Callot ist. Es giebt nichts heitreres, reicheres als
diese gestalten- und geschichtentrunkene Bacchusgalerie.

Metelli und Colonna konnte Velazquez hier in der Be-
handlung eines grossen Hofs und eines Prachtsaals kennen
lernen. Die vier Backsteinmauern des Cortile hatten sie
mit einer hellen Architektur von drei Ordnungen beklei-
det, ohne lebende Figuren, bloss mit Trophäen und Bronze-
statuen. Der grosse Saal, jetzt barbarisch übermalt, strahlte
noch in der ursprünglichen Schönheit und Helligkeit. Er war
dem Ruhm des Hauses gewidmet, als des Horts geistiger
Bildung jeder Art. Man sieht die Statuen der vier Künste,
Büsten, vier Musikchöre; hier und da Jemand vom Palastge-
sinde. In der mittlern und Hauptöffnung der Decke thront Diana
auf Wolken, umgeben von den neun Musen, jede mit einem
Buch dichterischen oder wissenschaftlichen Inhalts, das unter der
Sonne Este'scher Gunst gereift war:
[Spaltenumbruch] Commedie dell' Ariosto
Torrismondo del Tasso
Opere del Cav. Guarino
Furioso Goffredo
Madrigali del Pocaterra.
[Spaltenumbruch] Theorica di Lod. Fogliani
Ant. Montecatino de Coelo
Storie del Pigna
Rettorica del Castelvetro

Der Besuch von Sassuolo mag den Wunsch des Spaniers
die beiden Bolognesen zu gewinnen, noch lebhafter gemacht
haben; um so ärgerlicher musste es ihn überraschen, als sie
ihn in Genua im Stiche liessen. Ueber die Ursache habe ich
nichts finden können. Indessen wir lesen bei Malvasia, dass der
Cardinal Johann Carl von Medici sie im Jahre 1650 wieder in
Florenz beschäftigte; sie bemalten das Haus seines Gartens in
der Via della Scala, ein Cabinet im Pitti, und für den Marchese
Niccolini seine Villa zu Camugliano. Wahrscheinlich hat dann
später der Cardinal, um den spanischen Hof, mit dem er in engen
Beziehungen stand, zu besänftigen, seinen Einfluss mit Erfolg
bei den Künstlern verwandt; denn im Jahre 1658 sind sie, durch
seinen und des Senators Marchese Cospi, "Ministers und Gross-
kreuz" Vermittlung wirklich gekommen. Freilich waren damals
für sie besonders schlechte Zeiten. Billige Concurrenten ver-
bitterten ihnen das Leben in der Vaterstadt. Beim Abschied (es
war für immer) sagte Metelli zu Malvasia: der Beweggrund der

Sechstes Buch.
höchst eigen und doch nicht gesucht, elegant, immer unerwartet:
trotz der italienischen Schule merkt man, dass er ein Landsmann
des Jacques Callot ist. Es giebt nichts heitreres, reicheres als
diese gestalten- und geschichtentrunkene Bacchusgalerie.

Metelli und Colonna konnte Velazquez hier in der Be-
handlung eines grossen Hofs und eines Prachtsaals kennen
lernen. Die vier Backsteinmauern des Cortile hatten sie
mit einer hellen Architektur von drei Ordnungen beklei-
det, ohne lebende Figuren, bloss mit Trophäen und Bronze-
statuen. Der grosse Saal, jetzt barbarisch übermalt, strahlte
noch in der ursprünglichen Schönheit und Helligkeit. Er war
dem Ruhm des Hauses gewidmet, als des Horts geistiger
Bildung jeder Art. Man sieht die Statuen der vier Künste,
Büsten, vier Musikchöre; hier und da Jemand vom Palastge-
sinde. In der mittlern und Hauptöffnung der Decke thront Diana
auf Wolken, umgeben von den neun Musen, jede mit einem
Buch dichterischen oder wissenschaftlichen Inhalts, das unter der
Sonne Este’scher Gunst gereift war:
[Spaltenumbruch] Commedie dell’ Ariosto
Torrismondo del Tasso
Opere del Cav. Guarino
Furioso Goffredo
Madrigali del Pocaterra.
[Spaltenumbruch] Theorica di Lod. Fogliani
Ant. Montecatino de Coelo
Storie del Pigna
Rettorica del Castelvetro

Der Besuch von Sassuolo mag den Wunsch des Spaniers
die beiden Bolognesen zu gewinnen, noch lebhafter gemacht
haben; um so ärgerlicher musste es ihn überraschen, als sie
ihn in Genua im Stiche liessen. Ueber die Ursache habe ich
nichts finden können. Indessen wir lesen bei Malvasia, dass der
Cardinal Johann Carl von Medici sie im Jahre 1650 wieder in
Florenz beschäftigte; sie bemalten das Haus seines Gartens in
der Via della Scala, ein Cabinet im Pitti, und für den Marchese
Niccolini seine Villa zu Camugliano. Wahrscheinlich hat dann
später der Cardinal, um den spanischen Hof, mit dem er in engen
Beziehungen stand, zu besänftigen, seinen Einfluss mit Erfolg
bei den Künstlern verwandt; denn im Jahre 1658 sind sie, durch
seinen und des Senators Marchese Cospi, „Ministers und Gross-
kreuz“ Vermittlung wirklich gekommen. Freilich waren damals
für sie besonders schlechte Zeiten. Billige Concurrenten ver-
bitterten ihnen das Leben in der Vaterstadt. Beim Abschied (es
war für immer) sagte Metelli zu Malvasia: der Beweggrund der

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[206/0226] Sechstes Buch. höchst eigen und doch nicht gesucht, elegant, immer unerwartet: trotz der italienischen Schule merkt man, dass er ein Landsmann des Jacques Callot ist. Es giebt nichts heitreres, reicheres als diese gestalten- und geschichtentrunkene Bacchusgalerie. Metelli und Colonna konnte Velazquez hier in der Be- handlung eines grossen Hofs und eines Prachtsaals kennen lernen. Die vier Backsteinmauern des Cortile hatten sie mit einer hellen Architektur von drei Ordnungen beklei- det, ohne lebende Figuren, bloss mit Trophäen und Bronze- statuen. Der grosse Saal, jetzt barbarisch übermalt, strahlte noch in der ursprünglichen Schönheit und Helligkeit. Er war dem Ruhm des Hauses gewidmet, als des Horts geistiger Bildung jeder Art. Man sieht die Statuen der vier Künste, Büsten, vier Musikchöre; hier und da Jemand vom Palastge- sinde. In der mittlern und Hauptöffnung der Decke thront Diana auf Wolken, umgeben von den neun Musen, jede mit einem Buch dichterischen oder wissenschaftlichen Inhalts, das unter der Sonne Este’scher Gunst gereift war: Commedie dell’ Ariosto Torrismondo del Tasso Opere del Cav. Guarino Furioso Goffredo Madrigali del Pocaterra. Theorica di Lod. Fogliani Ant. Montecatino de Coelo Storie del Pigna Rettorica del Castelvetro Der Besuch von Sassuolo mag den Wunsch des Spaniers die beiden Bolognesen zu gewinnen, noch lebhafter gemacht haben; um so ärgerlicher musste es ihn überraschen, als sie ihn in Genua im Stiche liessen. Ueber die Ursache habe ich nichts finden können. Indessen wir lesen bei Malvasia, dass der Cardinal Johann Carl von Medici sie im Jahre 1650 wieder in Florenz beschäftigte; sie bemalten das Haus seines Gartens in der Via della Scala, ein Cabinet im Pitti, und für den Marchese Niccolini seine Villa zu Camugliano. Wahrscheinlich hat dann später der Cardinal, um den spanischen Hof, mit dem er in engen Beziehungen stand, zu besänftigen, seinen Einfluss mit Erfolg bei den Künstlern verwandt; denn im Jahre 1658 sind sie, durch seinen und des Senators Marchese Cospi, „Ministers und Gross- kreuz“ Vermittlung wirklich gekommen. Freilich waren damals für sie besonders schlechte Zeiten. Billige Concurrenten ver- bitterten ihnen das Leben in der Vaterstadt. Beim Abschied (es war für immer) sagte Metelli zu Malvasia: der Beweggrund der

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/226>, abgerufen am 26.04.2024.