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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Innocenz X.
zu Hause der unheimlichste aller Ministerköpfe, der uninteres-
santeste aller Fürstentypen beschieden war, auch hier zu Rom
der abstossendste Kopf unter den Nachfolgern des Menschen-
fischers zugefallen.

Wenige Bildnisse, ja wenige Gemälde giebt es gleichwol,
die Davortretende aller Art von jeher so augenblicklich erobert
haben. Man braucht nur eine Viertelstunde in der Nähe des
Bildes zu sitzen, um davon Ohrenzeuge zu sein. Aus den häss-
lichen Zügen dringt ein Blick des blaugrauen Auges zu uns,
der mächtiger ist als der leuchtende Purpur und das gleissende
Gold. Jemand meinte, wenn er den Kopf noch länger betrachte
der Mann werde ihn im Traum verfolgen.

Der innere Winkel der Augen ist gleichsam der Magnetpol
des Kopfs. Hier ist der tiefste Schattenpunkt, hier schneidet
die Denkfalte der Stirn ein und drängt die Augenbrauen nach
unten, und dicht daneben glänzt der feuchte Spiegel des Auges.
Hier liegt der Zug von Lebhaftigkeit, der jugendlich geblie-
bene Kern des Greises; der psychische Contakt mit dem Be-
schauer; vor allem aber der bei dem alten Herrscher mächtigste
Trieb der Menschenbeobachtung, der Wille durch den Schein
zugeflüsterter Eingebungen und für ihn präparirter Thatsachen
die Dinge selbst zu sehen. So blickt ein Mensch, der Jeden
der vor ihn tritt durchschauen, sich für immer einprägen will,
weil man von ihm untrügliche Entscheidungen erwartet. Dieser
Blick, tief aus dem Charakter des argwöhnischen und ver-
schlossenen alten Staatsmanns geschöpft, -- "der stets uner-
klärlich war" 1), führt in der That den ganzen Menschen mit sich;
dieser Blick hat wie der Stil des Porträts, zugleich etwas eminent
Päbstliches.

Malern ist es unmöglich, vor diesem Bilde gleichgültig zu
bleiben. Come esce fuori quella mano! -- Pittor molto moderno!
-- Es sind aber nicht die aufgebotenen Künste und Handgriffe
des gewiegten Praktikers, die ihnen imponiren, sondern die Ab-
wesenheit dieser Künste, nicht die Harmonie der Farben, sondern
die mit den ungünstigsten Zusammenstellungen gewonnene Wir-
kung; die Planlosigkeit, mit der hier die eifrig erstrebten Ziele
des Bildnissmalers erreicht scheinen. Pare sporcato cosi a caso.
"Mit Nichts ist's gemacht und da stehts!".

simo, lo facea riputare per uno spirito contumace, onde dicevano alcuni, che non
era bene di creare un Padre universale etc. Leti, Vita di d. Olimpia p. 24. 66.
1) Il quale fu sempre inesplicabile. G. B. Passeri a. a. O. 221.

Innocenz X.
zu Hause der unheimlichste aller Ministerköpfe, der uninteres-
santeste aller Fürstentypen beschieden war, auch hier zu Rom
der abstossendste Kopf unter den Nachfolgern des Menschen-
fischers zugefallen.

Wenige Bildnisse, ja wenige Gemälde giebt es gleichwol,
die Davortretende aller Art von jeher so augenblicklich erobert
haben. Man braucht nur eine Viertelstunde in der Nähe des
Bildes zu sitzen, um davon Ohrenzeuge zu sein. Aus den häss-
lichen Zügen dringt ein Blick des blaugrauen Auges zu uns,
der mächtiger ist als der leuchtende Purpur und das gleissende
Gold. Jemand meinte, wenn er den Kopf noch länger betrachte
der Mann werde ihn im Traum verfolgen.

Der innere Winkel der Augen ist gleichsam der Magnetpol
des Kopfs. Hier ist der tiefste Schattenpunkt, hier schneidet
die Denkfalte der Stirn ein und drängt die Augenbrauen nach
unten, und dicht daneben glänzt der feuchte Spiegel des Auges.
Hier liegt der Zug von Lebhaftigkeit, der jugendlich geblie-
bene Kern des Greises; der psychische Contakt mit dem Be-
schauer; vor allem aber der bei dem alten Herrscher mächtigste
Trieb der Menschenbeobachtung, der Wille durch den Schein
zugeflüsterter Eingebungen und für ihn präparirter Thatsachen
die Dinge selbst zu sehen. So blickt ein Mensch, der Jeden
der vor ihn tritt durchschauen, sich für immer einprägen will,
weil man von ihm untrügliche Entscheidungen erwartet. Dieser
Blick, tief aus dem Charakter des argwöhnischen und ver-
schlossenen alten Staatsmanns geschöpft, — „der stets uner-
klärlich war“ 1), führt in der That den ganzen Menschen mit sich;
dieser Blick hat wie der Stil des Porträts, zugleich etwas eminent
Päbstliches.

Malern ist es unmöglich, vor diesem Bilde gleichgültig zu
bleiben. Come esce fuori quella mano! — Pittor molto moderno!
— Es sind aber nicht die aufgebotenen Künste und Handgriffe
des gewiegten Praktikers, die ihnen imponiren, sondern die Ab-
wesenheit dieser Künste, nicht die Harmonie der Farben, sondern
die mit den ungünstigsten Zusammenstellungen gewonnene Wir-
kung; die Planlosigkeit, mit der hier die eifrig erstrebten Ziele
des Bildnissmalers erreicht scheinen. Pare sporcato così a caso.
„Mit Nichts ist’s gemacht und da stehts!“.

simo, lo facea riputare per uno spirito contumace, onde dicevano alcuni, che non
era bene di creare un Padre universale etc. Leti, Vita di d. Olimpia p. 24. 66.
1) Il quale fu sempre inesplicabile. G. B. Passeri a. a. O. 221.
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[183/0203] Innocenz X. zu Hause der unheimlichste aller Ministerköpfe, der uninteres- santeste aller Fürstentypen beschieden war, auch hier zu Rom der abstossendste Kopf unter den Nachfolgern des Menschen- fischers zugefallen. Wenige Bildnisse, ja wenige Gemälde giebt es gleichwol, die Davortretende aller Art von jeher so augenblicklich erobert haben. Man braucht nur eine Viertelstunde in der Nähe des Bildes zu sitzen, um davon Ohrenzeuge zu sein. Aus den häss- lichen Zügen dringt ein Blick des blaugrauen Auges zu uns, der mächtiger ist als der leuchtende Purpur und das gleissende Gold. Jemand meinte, wenn er den Kopf noch länger betrachte der Mann werde ihn im Traum verfolgen. Der innere Winkel der Augen ist gleichsam der Magnetpol des Kopfs. Hier ist der tiefste Schattenpunkt, hier schneidet die Denkfalte der Stirn ein und drängt die Augenbrauen nach unten, und dicht daneben glänzt der feuchte Spiegel des Auges. Hier liegt der Zug von Lebhaftigkeit, der jugendlich geblie- bene Kern des Greises; der psychische Contakt mit dem Be- schauer; vor allem aber der bei dem alten Herrscher mächtigste Trieb der Menschenbeobachtung, der Wille durch den Schein zugeflüsterter Eingebungen und für ihn präparirter Thatsachen die Dinge selbst zu sehen. So blickt ein Mensch, der Jeden der vor ihn tritt durchschauen, sich für immer einprägen will, weil man von ihm untrügliche Entscheidungen erwartet. Dieser Blick, tief aus dem Charakter des argwöhnischen und ver- schlossenen alten Staatsmanns geschöpft, — „der stets uner- klärlich war“ 1), führt in der That den ganzen Menschen mit sich; dieser Blick hat wie der Stil des Porträts, zugleich etwas eminent Päbstliches. Malern ist es unmöglich, vor diesem Bilde gleichgültig zu bleiben. Come esce fuori quella mano! — Pittor molto moderno! — Es sind aber nicht die aufgebotenen Künste und Handgriffe des gewiegten Praktikers, die ihnen imponiren, sondern die Ab- wesenheit dieser Künste, nicht die Harmonie der Farben, sondern die mit den ungünstigsten Zusammenstellungen gewonnene Wir- kung; die Planlosigkeit, mit der hier die eifrig erstrebten Ziele des Bildnissmalers erreicht scheinen. Pare sporcato così a caso. „Mit Nichts ist’s gemacht und da stehts!“. 2) 1) Il quale fu sempre inesplicabile. G. B. Passeri a. a. O. 221. 2) simo, lo facea riputare per uno spirito contumace, onde dicevano alcuni, che non era bene di creare un Padre universale etc. Leti, Vita di d. Olimpia p. 24. 66.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/203>, abgerufen am 23.04.2024.