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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Letzte Bildnisse des Conde Duque.
gedeutet. Ein pentimento an der zuerst breiter und tiefer gezeich-
neten Perrücke spricht nicht für eine Kopie. Die ausgestreckte
Hand mit den röthlichen Reflexen ist für diese Zeit sehr ausge-
führt. In Uebereinstimmung mit jenem falschen Haar (das die
Ohren völlig bedeckt), hat das Gesicht einen röthlichen Ton be-
kommen, der durch den weisslichen Grund noch betont wird;
auch das Fehlen der hohen Lichter schwächt den plastischen Ein-
druck. Daher die Zweifel an dem Bild, obwol Pinselstrich und
Modellirung der innern Züge im Lichte echt aussehn. Das Auge
erhält ein glasiges Aussehn durch den breiten Glanz der Horn-
haut, der mit dem Weiss der Lederhaut verschmilzt. Die Kon-
tour des Mantels ist an beiden Seiten durch breite Linien wie
nachzitternd wiederholt, offenbar zum Behuf der stereoskopischen
Wirkung.

Nach demselben Original, breit, markig, feurig ist das Brust-
bild in der Ermitage (aus der Sammlung Coesvelt) gemalt; aber
wie oft bei eiligen Arbeiten fast monochrom in einem fahlen
erdigen Ton, der den Eindruck eines Fieberkranken macht1).
Das Kreuz ist nur grau angegeben, die Iris braun. Nahe be-
sehn, besteht das Gesicht bloss aus scharfbegrenzten, mit breitem
Pinsel hingesetzten Werthen von Hell und Dunkel. Der Aus-
druck ist abstossend.

Ebenda befindet sich noch ein Bildniss in ganzer Figur, in
schwarzsammtner Hoftracht, das aus der Sammlung des Königs
Wilhelm von Holland mit dem Pendant Philipp IV für den Preis
von 38850 Gulden erworben wurde, allein aber auf der Auktion
Lapeyriere in Paris, 1825, nur 11520 Francs erreicht hatte2). Dieses
etwas überschätzte Gemälde kann nur für Schularbeit mit des
Meisters Correkturen gelten. Stellung und Umgebung stimmen
ganz mit dem Bildniss aus den zwanziger Jahren (I, 212 f.); nur
der Kopf ist der des Fünfzigers; der Teint ähnlich dem Dresdener,
aber mit Glanzlichtern. Der Blick ist nervös, weinerlich zerrüttet.
Von dem "Dreicharakter des hochgeborenen Edelmanns, des
glatten Günstlings und des gewandten Politikers" (Stirling) ist
er nur noch eine Ruine.

Welch ein unheimliches Wesen hat der Kopf angenommen!
Das anklopfende Alter, die aufreibende Arbeit, noch mehr die
den offenbar psychopathischen Mann zerwühlenden Aufregungen

1) Die Gesichtsfarbe war in den letzten Jahren "fra il terriccio, e il cedrino".
2) Vorher auf der Delahante-Auction in London 1817.

Letzte Bildnisse des Conde Duque.
gedeutet. Ein pentimento an der zuerst breiter und tiefer gezeich-
neten Perrücke spricht nicht für eine Kopie. Die ausgestreckte
Hand mit den röthlichen Reflexen ist für diese Zeit sehr ausge-
führt. In Uebereinstimmung mit jenem falschen Haar (das die
Ohren völlig bedeckt), hat das Gesicht einen röthlichen Ton be-
kommen, der durch den weisslichen Grund noch betont wird;
auch das Fehlen der hohen Lichter schwächt den plastischen Ein-
druck. Daher die Zweifel an dem Bild, obwol Pinselstrich und
Modellirung der innern Züge im Lichte echt aussehn. Das Auge
erhält ein glasiges Aussehn durch den breiten Glanz der Horn-
haut, der mit dem Weiss der Lederhaut verschmilzt. Die Kon-
tour des Mantels ist an beiden Seiten durch breite Linien wie
nachzitternd wiederholt, offenbar zum Behuf der stereoskopischen
Wirkung.

Nach demselben Original, breit, markig, feurig ist das Brust-
bild in der Ermitage (aus der Sammlung Coesvelt) gemalt; aber
wie oft bei eiligen Arbeiten fast monochrom in einem fahlen
erdigen Ton, der den Eindruck eines Fieberkranken macht1).
Das Kreuz ist nur grau angegeben, die Iris braun. Nahe be-
sehn, besteht das Gesicht bloss aus scharfbegrenzten, mit breitem
Pinsel hingesetzten Werthen von Hell und Dunkel. Der Aus-
druck ist abstossend.

Ebenda befindet sich noch ein Bildniss in ganzer Figur, in
schwarzsammtner Hoftracht, das aus der Sammlung des Königs
Wilhelm von Holland mit dem Pendant Philipp IV für den Preis
von 38850 Gulden erworben wurde, allein aber auf der Auktion
Lapeyrière in Paris, 1825, nur 11520 Francs erreicht hatte2). Dieses
etwas überschätzte Gemälde kann nur für Schularbeit mit des
Meisters Correkturen gelten. Stellung und Umgebung stimmen
ganz mit dem Bildniss aus den zwanziger Jahren (I, 212 f.); nur
der Kopf ist der des Fünfzigers; der Teint ähnlich dem Dresdener,
aber mit Glanzlichtern. Der Blick ist nervös, weinerlich zerrüttet.
Von dem „Dreicharakter des hochgeborenen Edelmanns, des
glatten Günstlings und des gewandten Politikers“ (Stirling) ist
er nur noch eine Ruine.

Welch ein unheimliches Wesen hat der Kopf angenommen!
Das anklopfende Alter, die aufreibende Arbeit, noch mehr die
den offenbar psychopathischen Mann zerwühlenden Aufregungen

1) Die Gesichtsfarbe war in den letzten Jahren „frà il terriccio, e il cedrino“.
2) Vorher auf der Delahante-Auction in London 1817.
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[119/0139] Letzte Bildnisse des Conde Duque. gedeutet. Ein pentimento an der zuerst breiter und tiefer gezeich- neten Perrücke spricht nicht für eine Kopie. Die ausgestreckte Hand mit den röthlichen Reflexen ist für diese Zeit sehr ausge- führt. In Uebereinstimmung mit jenem falschen Haar (das die Ohren völlig bedeckt), hat das Gesicht einen röthlichen Ton be- kommen, der durch den weisslichen Grund noch betont wird; auch das Fehlen der hohen Lichter schwächt den plastischen Ein- druck. Daher die Zweifel an dem Bild, obwol Pinselstrich und Modellirung der innern Züge im Lichte echt aussehn. Das Auge erhält ein glasiges Aussehn durch den breiten Glanz der Horn- haut, der mit dem Weiss der Lederhaut verschmilzt. Die Kon- tour des Mantels ist an beiden Seiten durch breite Linien wie nachzitternd wiederholt, offenbar zum Behuf der stereoskopischen Wirkung. Nach demselben Original, breit, markig, feurig ist das Brust- bild in der Ermitage (aus der Sammlung Coesvelt) gemalt; aber wie oft bei eiligen Arbeiten fast monochrom in einem fahlen erdigen Ton, der den Eindruck eines Fieberkranken macht 1). Das Kreuz ist nur grau angegeben, die Iris braun. Nahe be- sehn, besteht das Gesicht bloss aus scharfbegrenzten, mit breitem Pinsel hingesetzten Werthen von Hell und Dunkel. Der Aus- druck ist abstossend. Ebenda befindet sich noch ein Bildniss in ganzer Figur, in schwarzsammtner Hoftracht, das aus der Sammlung des Königs Wilhelm von Holland mit dem Pendant Philipp IV für den Preis von 38850 Gulden erworben wurde, allein aber auf der Auktion Lapeyrière in Paris, 1825, nur 11520 Francs erreicht hatte 2). Dieses etwas überschätzte Gemälde kann nur für Schularbeit mit des Meisters Correkturen gelten. Stellung und Umgebung stimmen ganz mit dem Bildniss aus den zwanziger Jahren (I, 212 f.); nur der Kopf ist der des Fünfzigers; der Teint ähnlich dem Dresdener, aber mit Glanzlichtern. Der Blick ist nervös, weinerlich zerrüttet. Von dem „Dreicharakter des hochgeborenen Edelmanns, des glatten Günstlings und des gewandten Politikers“ (Stirling) ist er nur noch eine Ruine. Welch ein unheimliches Wesen hat der Kopf angenommen! Das anklopfende Alter, die aufreibende Arbeit, noch mehr die den offenbar psychopathischen Mann zerwühlenden Aufregungen 1) Die Gesichtsfarbe war in den letzten Jahren „frà il terriccio, e il cedrino“. 2) Vorher auf der Delahante-Auction in London 1817.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/139>, abgerufen am 23.11.2024.