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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
Plätzen, und wo sonst als in einem Buche wie dieses werden die
Besucher Auskunft verlangen? Zu ihnen gehören die Philippe in Hamp-
toncourt, in der Nationalgalerie, in der Ermitage.

Sind es Kopien? Aber sie sehen Kopistenmanier sehr unähnlich.

Sind es Arbeiten der Schüler? -- Vergebens sucht man ihre eigen-
thümliche Handschrift.

Sind es also Originale? -- Zuviele Schwächen sind darin.

Der erste Eindruck ist eher günstig. Man fühlt sich vom Mei-
ster -- und von der dargestellten Person berührt. Beim zweitenmal
nimmt man alles zurück, alles war Täuschung. Man sah das Bild aus
der Ferne, als Ganzes; nun bemerkt man das Einzelne. Man vergegen-
wärtigt sich ein echtes Bild: kein Gedanke! Man glaubt mit dem Stück
fertig zu sein. Aber nach einiger Zeit, wenn im Vorbeigehn ein Blick
die Leinwand streift, fühlt man sich wieder festgehalten, gezwungen
einzulenken.

Es waren meist Bilder zum Weggeben, Geschenke an fremde Poten-
taten. Sie wurden gemacht mit Benutzung von Originalen; dafür sprechen
gewisse abdruckartige Uebereinstimmungen; aber doch auch nach dem
Leben; der König kam ja oft täglich ins Atelier, und was von ihm selbst
verschenkt wurde, durfte aus keinen andern Händen kommen als des
Mannes, der das Monopol hatte ihn zu porträtiren. Letzterer entwarf
also die Umrisse -- oder liess sie abzeichnen, gab an wie das einzelne
gearbeitet werden sollte, den Kopf durfte er keinem fremden Pinsel ganz
überlassen. Schliesslich gab er natürlich dem Ganzen die letzte Hand.
Diese Gehülfen aber hatten ihm gerade das abgesehen, was sonst das
Merkmal des Meisters ist: Freiheit, Leichtigkeit, Ungestüm der Touche,
und es fehlte ihnen gerade das was den Kopisten verräth: die mecha-
nischer Umständlichkeit. Umriss, Handschrift, selbst Ton zum Theil
konnten sie nachahmen, aber nicht die Sicherheit der Zeichnung, Hal-
tung und Modellirung: da zeigte sich ihre Inferiorität.

Daher jenes Sic et Non. Unser Blick fällt ja immer zuerst auf
das Antlitz und die Augen, darauf kam es auch den Besitzern an. Zu
dem Blick aber passte die Construction des übrigen.

1. Das auffallendste Beispiel ist das grosse Bildniss im Schlosse
Hamptoncourt (Nr. 82; 82" x 40"), wo der König ähnlich wie in dem
Reiterbild costümirt ist. Es stammt aus dem Jahre 1638 und wurde
mitsammt dem Bildniss der Isabella von Bourbon als Geschenk an deren
Schwester, die Königin Henriette gesandt (S. 37). Tritt man zum
erstenmale vor die hohe Wand der düstern Second Presence Chamber,
man ruft: Velazquez! ja man glaubt ein Prachtstück vor sich zu haben.
Welches Leben pulsirt in diesem frischen Gesicht, welch ritterlicher

Fünftes Buch.
Plätzen, und wo sonst als in einem Buche wie dieses werden die
Besucher Auskunft verlangen? Zu ihnen gehören die Philippe in Hamp-
toncourt, in der Nationalgalerie, in der Ermitage.

Sind es Kopien? Aber sie sehen Kopistenmanier sehr unähnlich.

Sind es Arbeiten der Schüler? — Vergebens sucht man ihre eigen-
thümliche Handschrift.

Sind es also Originale? — Zuviele Schwächen sind darin.

Der erste Eindruck ist eher günstig. Man fühlt sich vom Mei-
ster — und von der dargestellten Person berührt. Beim zweitenmal
nimmt man alles zurück, alles war Täuschung. Man sah das Bild aus
der Ferne, als Ganzes; nun bemerkt man das Einzelne. Man vergegen-
wärtigt sich ein echtes Bild: kein Gedanke! Man glaubt mit dem Stück
fertig zu sein. Aber nach einiger Zeit, wenn im Vorbeigehn ein Blick
die Leinwand streift, fühlt man sich wieder festgehalten, gezwungen
einzulenken.

Es waren meist Bilder zum Weggeben, Geschenke an fremde Poten-
taten. Sie wurden gemacht mit Benutzung von Originalen; dafür sprechen
gewisse abdruckartige Uebereinstimmungen; aber doch auch nach dem
Leben; der König kam ja oft täglich ins Atelier, und was von ihm selbst
verschenkt wurde, durfte aus keinen andern Händen kommen als des
Mannes, der das Monopol hatte ihn zu porträtiren. Letzterer entwarf
also die Umrisse — oder liess sie abzeichnen, gab an wie das einzelne
gearbeitet werden sollte, den Kopf durfte er keinem fremden Pinsel ganz
überlassen. Schliesslich gab er natürlich dem Ganzen die letzte Hand.
Diese Gehülfen aber hatten ihm gerade das abgesehen, was sonst das
Merkmal des Meisters ist: Freiheit, Leichtigkeit, Ungestüm der Touche,
und es fehlte ihnen gerade das was den Kopisten verräth: die mecha-
nischer Umständlichkeit. Umriss, Handschrift, selbst Ton zum Theil
konnten sie nachahmen, aber nicht die Sicherheit der Zeichnung, Hal-
tung und Modellirung: da zeigte sich ihre Inferiorität.

Daher jenes Sic et Non. Unser Blick fällt ja immer zuerst auf
das Antlitz und die Augen, darauf kam es auch den Besitzern an. Zu
dem Blick aber passte die Construction des übrigen.

1. Das auffallendste Beispiel ist das grosse Bildniss im Schlosse
Hamptoncourt (Nr. 82; 82″ × 40″), wo der König ähnlich wie in dem
Reiterbild costümirt ist. Es stammt aus dem Jahre 1638 und wurde
mitsammt dem Bildniss der Isabella von Bourbon als Geschenk an deren
Schwester, die Königin Henriette gesandt (S. 37). Tritt man zum
erstenmale vor die hohe Wand der düstern Second Presence Chamber,
man ruft: Velazquez! ja man glaubt ein Prachtstück vor sich zu haben.
Welches Leben pulsirt in diesem frischen Gesicht, welch ritterlicher

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[104/0124] Fünftes Buch. Plätzen, und wo sonst als in einem Buche wie dieses werden die Besucher Auskunft verlangen? Zu ihnen gehören die Philippe in Hamp- toncourt, in der Nationalgalerie, in der Ermitage. Sind es Kopien? Aber sie sehen Kopistenmanier sehr unähnlich. Sind es Arbeiten der Schüler? — Vergebens sucht man ihre eigen- thümliche Handschrift. Sind es also Originale? — Zuviele Schwächen sind darin. Der erste Eindruck ist eher günstig. Man fühlt sich vom Mei- ster — und von der dargestellten Person berührt. Beim zweitenmal nimmt man alles zurück, alles war Täuschung. Man sah das Bild aus der Ferne, als Ganzes; nun bemerkt man das Einzelne. Man vergegen- wärtigt sich ein echtes Bild: kein Gedanke! Man glaubt mit dem Stück fertig zu sein. Aber nach einiger Zeit, wenn im Vorbeigehn ein Blick die Leinwand streift, fühlt man sich wieder festgehalten, gezwungen einzulenken. Es waren meist Bilder zum Weggeben, Geschenke an fremde Poten- taten. Sie wurden gemacht mit Benutzung von Originalen; dafür sprechen gewisse abdruckartige Uebereinstimmungen; aber doch auch nach dem Leben; der König kam ja oft täglich ins Atelier, und was von ihm selbst verschenkt wurde, durfte aus keinen andern Händen kommen als des Mannes, der das Monopol hatte ihn zu porträtiren. Letzterer entwarf also die Umrisse — oder liess sie abzeichnen, gab an wie das einzelne gearbeitet werden sollte, den Kopf durfte er keinem fremden Pinsel ganz überlassen. Schliesslich gab er natürlich dem Ganzen die letzte Hand. Diese Gehülfen aber hatten ihm gerade das abgesehen, was sonst das Merkmal des Meisters ist: Freiheit, Leichtigkeit, Ungestüm der Touche, und es fehlte ihnen gerade das was den Kopisten verräth: die mecha- nischer Umständlichkeit. Umriss, Handschrift, selbst Ton zum Theil konnten sie nachahmen, aber nicht die Sicherheit der Zeichnung, Hal- tung und Modellirung: da zeigte sich ihre Inferiorität. Daher jenes Sic et Non. Unser Blick fällt ja immer zuerst auf das Antlitz und die Augen, darauf kam es auch den Besitzern an. Zu dem Blick aber passte die Construction des übrigen. 1. Das auffallendste Beispiel ist das grosse Bildniss im Schlosse Hamptoncourt (Nr. 82; 82″ × 40″), wo der König ähnlich wie in dem Reiterbild costümirt ist. Es stammt aus dem Jahre 1638 und wurde mitsammt dem Bildniss der Isabella von Bourbon als Geschenk an deren Schwester, die Königin Henriette gesandt (S. 37). Tritt man zum erstenmale vor die hohe Wand der düstern Second Presence Chamber, man ruft: Velazquez! ja man glaubt ein Prachtstück vor sich zu haben. Welches Leben pulsirt in diesem frischen Gesicht, welch ritterlicher

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/124>, abgerufen am 24.11.2024.