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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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den Reden eines "zerstörten, edlen Geistes", zuweilen Blitze des
Genius in wundersamen Physiognomien, verwegenen Pinselzügen
hervorstrahlen. Seine nervopathische Natur bedurfte eines stärkeren
Luftdruckes als andere, diesen hatte er in Rom und Venedig ge-
habt, im Verkehr mit jenen Gewaltigen, denen ihm noch kurz vor
ihrem Hintritt nahe zu treten vergönnt gewesen war; da fand er
für alles in sich wahlverwandte Züge. Im verfallenden Felsennest
Toledo1), künstlerisch vereinsamt, sank er; er malte wie ein Träu-
mender und nahm die verzerrten Gebilde eines kranken Gehirns
für Offenbarungen.

Mit fiebernden Fingern dreht er Modellfigürchen mit Kaut-
schukgliedern, von zwölf Kopflängen, die er vor sich authängt
und in unwahrscheinlichen Farbenzusammenstellungen, z. B. hell-
blau und gelb, oft bloss weiss und schwarz-violett auf die Lein-
wand säbelt.

Nur im Bildniss blieb noch ein Schimmer von dem was er
einst gewesen. Das des Pompeo Leoni zu Keir in Schottland, das
des greisen Cardinals Quiroga (?) in der Sakristei der Kathedrale
zu Valladolid2) geben noch einen guten Begriff von ihm, wäh-
rend leider gerade die Stücke des Pradomuseums sehr manierirt
sind. Indess so leichenhaft in der Farbe, so schattenhaft unwirk-
lich diese Skizzen scheinen: sobald man ihm seine Sonderbar-
keiten nachsieht, wird man doch finden, dass er Typus, Mienen,
Gebahren, Ton dieser Cavaliere, Räthe, Damen, Prälaten, Asketen,
ganz impressionistisch freilich, aber charakteristisch wie noch keiner
bis dahin aufzufangen gewusst hat. Gewiss ist, die Zahl beweist
es, dass diese Herren sich mit Genugthuung darin wieder erkannt
haben; für Philister wären sie freilich nicht gewesen. In S. Tome
sieht man ein grosses Bild, das in Spanien sonderbarer Weise
für sein Meisterwerk gilt, obwol es in seiner schlimmsten Art
gemalt ist. Eine Versammlung von Ordensrittern, in der schwar-
zen Tracht des Hofes Philipp II, wohnen der Bestattung des
Grafen Orgaz bei, dessen Leiche von zwei Gespenstern, in wel-
chen man die heil. Augustin und Stephanus erkannte, in die Gruft
gesenkt wird. "Um dieses Bild, heisst es, versammelten sich oft

1) Bien dicen que el Tajo hechiza
a quien beberle apetece,
que a los hombres entontece,
y a las hembras sutiliza. Tirso, En Madrid y en una casa.
2) Der sogenannte Lodovico Cornaro der Hamiltongalerie, jetzt in der Na-
tional-Gallery, ist eine verkleinerte Wiederholung.

El Greco.
den Reden eines „zerstörten, edlen Geistes“, zuweilen Blitze des
Genius in wundersamen Physiognomien, verwegenen Pinselzügen
hervorstrahlen. Seine nervopathische Natur bedurfte eines stärkeren
Luftdruckes als andere, diesen hatte er in Rom und Venedig ge-
habt, im Verkehr mit jenen Gewaltigen, denen ihm noch kurz vor
ihrem Hintritt nahe zu treten vergönnt gewesen war; da fand er
für alles in sich wahlverwandte Züge. Im verfallenden Felsennest
Toledo1), künstlerisch vereinsamt, sank er; er malte wie ein Träu-
mender und nahm die verzerrten Gebilde eines kranken Gehirns
für Offenbarungen.

Mit fiebernden Fingern dreht er Modellfigürchen mit Kaut-
schukgliedern, von zwölf Kopflängen, die er vor sich authängt
und in unwahrscheinlichen Farbenzusammenstellungen, z. B. hell-
blau und gelb, oft bloss weiss und schwarz-violett auf die Lein-
wand säbelt.

Nur im Bildniss blieb noch ein Schimmer von dem was er
einst gewesen. Das des Pompeo Leoni zu Keir in Schottland, das
des greisen Cardinals Quiroga (?) in der Sakristei der Kathedrale
zu Valladolid2) geben noch einen guten Begriff von ihm, wäh-
rend leider gerade die Stücke des Pradomuseums sehr manierirt
sind. Indess so leichenhaft in der Farbe, so schattenhaft unwirk-
lich diese Skizzen scheinen: sobald man ihm seine Sonderbar-
keiten nachsieht, wird man doch finden, dass er Typus, Mienen,
Gebahren, Ton dieser Cavaliere, Räthe, Damen, Prälaten, Asketen,
ganz impressionistisch freilich, aber charakteristisch wie noch keiner
bis dahin aufzufangen gewusst hat. Gewiss ist, die Zahl beweist
es, dass diese Herren sich mit Genugthuung darin wieder erkannt
haben; für Philister wären sie freilich nicht gewesen. In S. Tomé
sieht man ein grosses Bild, das in Spanien sonderbarer Weise
für sein Meisterwerk gilt, obwol es in seiner schlimmsten Art
gemalt ist. Eine Versammlung von Ordensrittern, in der schwar-
zen Tracht des Hofes Philipp II, wohnen der Bestattung des
Grafen Orgaz bei, dessen Leiche von zwei Gespenstern, in wel-
chen man die heil. Augustin und Stephanus erkannte, in die Gruft
gesenkt wird. „Um dieses Bild, heisst es, versammelten sich oft

1) Bien dicen que el Tajo hechiza
á quien beberle apetece,
que à los hombres entontece,
y à las hembras sutiliza. Tirso, En Madrid y en una casa.
2) Der sogenannte Lodovico Cornaro der Hamiltongalerie, jetzt in der Na-
tional-Gallery, ist eine verkleinerte Wiederholung.
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[79/0099] El Greco. den Reden eines „zerstörten, edlen Geistes“, zuweilen Blitze des Genius in wundersamen Physiognomien, verwegenen Pinselzügen hervorstrahlen. Seine nervopathische Natur bedurfte eines stärkeren Luftdruckes als andere, diesen hatte er in Rom und Venedig ge- habt, im Verkehr mit jenen Gewaltigen, denen ihm noch kurz vor ihrem Hintritt nahe zu treten vergönnt gewesen war; da fand er für alles in sich wahlverwandte Züge. Im verfallenden Felsennest Toledo 1), künstlerisch vereinsamt, sank er; er malte wie ein Träu- mender und nahm die verzerrten Gebilde eines kranken Gehirns für Offenbarungen. Mit fiebernden Fingern dreht er Modellfigürchen mit Kaut- schukgliedern, von zwölf Kopflängen, die er vor sich authängt und in unwahrscheinlichen Farbenzusammenstellungen, z. B. hell- blau und gelb, oft bloss weiss und schwarz-violett auf die Lein- wand säbelt. Nur im Bildniss blieb noch ein Schimmer von dem was er einst gewesen. Das des Pompeo Leoni zu Keir in Schottland, das des greisen Cardinals Quiroga (?) in der Sakristei der Kathedrale zu Valladolid 2) geben noch einen guten Begriff von ihm, wäh- rend leider gerade die Stücke des Pradomuseums sehr manierirt sind. Indess so leichenhaft in der Farbe, so schattenhaft unwirk- lich diese Skizzen scheinen: sobald man ihm seine Sonderbar- keiten nachsieht, wird man doch finden, dass er Typus, Mienen, Gebahren, Ton dieser Cavaliere, Räthe, Damen, Prälaten, Asketen, ganz impressionistisch freilich, aber charakteristisch wie noch keiner bis dahin aufzufangen gewusst hat. Gewiss ist, die Zahl beweist es, dass diese Herren sich mit Genugthuung darin wieder erkannt haben; für Philister wären sie freilich nicht gewesen. In S. Tomé sieht man ein grosses Bild, das in Spanien sonderbarer Weise für sein Meisterwerk gilt, obwol es in seiner schlimmsten Art gemalt ist. Eine Versammlung von Ordensrittern, in der schwar- zen Tracht des Hofes Philipp II, wohnen der Bestattung des Grafen Orgaz bei, dessen Leiche von zwei Gespenstern, in wel- chen man die heil. Augustin und Stephanus erkannte, in die Gruft gesenkt wird. „Um dieses Bild, heisst es, versammelten sich oft 1) Bien dicen que el Tajo hechiza á quien beberle apetece, que à los hombres entontece, y à las hembras sutiliza. Tirso, En Madrid y en una casa. 2) Der sogenannte Lodovico Cornaro der Hamiltongalerie, jetzt in der Na- tional-Gallery, ist eine verkleinerte Wiederholung.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/99>, abgerufen am 26.11.2024.