Nur jener nachlässig-gewaltige Wurf der Gestalt, in einer "tumultuarischen" Orgie des Pinsels, erinnert daran, dass man doch die Trümmer eines grossen Talents vor sich hat.
Zuweilen übt die Innervation dieses stark angelegten, wenn auch maasslosen Geistes eine dämonische Wirkung. Diese hat wol dem "heil. Basilius, seine Lehre diktirend" den Ehrenplatz in der Salle carree des Louvre verschafft. Zwei Flügelbilder dazu sind in der Galerie von San Telmo. Der funkelnde Blick des Kirchen- vaters ins Unendliche, die erhobene Hand mit der Feder, be- zeichnet die Inspiration, den Augenblick, wo ein göttlicher Gedanke auf die Schwelle des Bewusstseins tritt. Um ihn, oder vielmehr neben und unter ihm sitzen aufhorchende Nachschreiber, keine geringeren als S. Bernhard, Petrus Martyr, und der Grossinquisitor Diego, Bischof von Osma. Unheimliche Gestalten in ihren zuge- spitzten Kapuzen, winkenden weissen Mitren, vor uns aufsteigend wie die Könige in der Höhle zu Forres. Es ist als sei der Moder und die Spinneweben der Unterwelt an ihnen hängen geblieben. Es ist der Fiebertraum eines Gefangenen des heil. Uffiz, der, vor einer Schaar Richter und Schreiber, im siedenden Gehirn auf und abtanzend, seine abgefolterten Geständnisse als verdam- mende Anklage aufs Papier fliessen sieht.
Im Greisenalter, als Siebziger (1647) hat er noch seine vier umfangreichsten Gemälde, einst im Salon des erzbischöflichen Palastes, auf die Leinwand geworfen: das Mannah, das Wasser aus dem Felsen, die Hochzeit zu Cana und das Wunder der Brote und Fische. Man sieht, nur das Colossale, Volksmengen, vermochte seine alternde, aber noch immer gewaltige Hand in Bewegung zu setzen. Das vierte dieser Bilder war einmal im Treppenhaus der Academie von Madrid aufgetaucht. Unter einer mächtigen schattenden Eiche sitzt der Heiland, die grossen glänzenden Augen gen Himmel gerichtet, mit sakramentaler Feierlichkeit segnend, neben ihm aufgereiht die Jünger. In der flachen Thalmulde des Mittelgrundes hatte er mit Glück die Fünf- tausend anzudeuten gewusst. Zuletzt trieb es ihn noch nach Madrid, wo er 1656 starb. --
Herrera ist nicht der "Erfinder eines neuen Stils", denn sein wahrer, echter Stil ist nur die Sprache des Roelas, gesprochen von einem Künstler grundverschiedenen Naturells. Auch hat er nicht der Sevillaner Schule zur Freiheit verholfen, die man in den Arbeiten des Roelas nicht vermisst. Wir finden sogar in seinen Werken keine Gestalt von solcher Furie wie den S. Jago,
Erstes Buch.
Nur jener nachlässig-gewaltige Wurf der Gestalt, in einer „tumultuarischen“ Orgie des Pinsels, erinnert daran, dass man doch die Trümmer eines grossen Talents vor sich hat.
Zuweilen übt die Innervation dieses stark angelegten, wenn auch maasslosen Geistes eine dämonische Wirkung. Diese hat wol dem „heil. Basilius, seine Lehre diktirend“ den Ehrenplatz in der Salle carrée des Louvre verschafft. Zwei Flügelbilder dazu sind in der Galerie von San Telmo. Der funkelnde Blick des Kirchen- vaters ins Unendliche, die erhobene Hand mit der Feder, be- zeichnet die Inspiration, den Augenblick, wo ein göttlicher Gedanke auf die Schwelle des Bewusstseins tritt. Um ihn, oder vielmehr neben und unter ihm sitzen aufhorchende Nachschreiber, keine geringeren als S. Bernhard, Petrus Martyr, und der Grossinquisitor Diego, Bischof von Osma. Unheimliche Gestalten in ihren zuge- spitzten Kapuzen, winkenden weissen Mitren, vor uns aufsteigend wie die Könige in der Höhle zu Forres. Es ist als sei der Moder und die Spinneweben der Unterwelt an ihnen hängen geblieben. Es ist der Fiebertraum eines Gefangenen des heil. Uffiz, der, vor einer Schaar Richter und Schreiber, im siedenden Gehirn auf und abtanzend, seine abgefolterten Geständnisse als verdam- mende Anklage aufs Papier fliessen sieht.
Im Greisenalter, als Siebziger (1647) hat er noch seine vier umfangreichsten Gemälde, einst im Salon des erzbischöflichen Palastes, auf die Leinwand geworfen: das Mannah, das Wasser aus dem Felsen, die Hochzeit zu Cana und das Wunder der Brote und Fische. Man sieht, nur das Colossale, Volksmengen, vermochte seine alternde, aber noch immer gewaltige Hand in Bewegung zu setzen. Das vierte dieser Bilder war einmal im Treppenhaus der Academie von Madrid aufgetaucht. Unter einer mächtigen schattenden Eiche sitzt der Heiland, die grossen glänzenden Augen gen Himmel gerichtet, mit sakramentaler Feierlichkeit segnend, neben ihm aufgereiht die Jünger. In der flachen Thalmulde des Mittelgrundes hatte er mit Glück die Fünf- tausend anzudeuten gewusst. Zuletzt trieb es ihn noch nach Madrid, wo er 1656 starb. —
Herrera ist nicht der „Erfinder eines neuen Stils“, denn sein wahrer, echter Stil ist nur die Sprache des Roelas, gesprochen von einem Künstler grundverschiedenen Naturells. Auch hat er nicht der Sevillaner Schule zur Freiheit verholfen, die man in den Arbeiten des Roelas nicht vermisst. Wir finden sogar in seinen Werken keine Gestalt von solcher Furie wie den S. Jago,
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Erstes Buch.
Nur jener nachlässig-gewaltige Wurf der Gestalt, in einer
„tumultuarischen“ Orgie des Pinsels, erinnert daran, dass man
doch die Trümmer eines grossen Talents vor sich hat.
Zuweilen übt die Innervation dieses stark angelegten, wenn
auch maasslosen Geistes eine dämonische Wirkung. Diese hat wol
dem „heil. Basilius, seine Lehre diktirend“ den Ehrenplatz in der
Salle carrée des Louvre verschafft. Zwei Flügelbilder dazu sind in
der Galerie von San Telmo. Der funkelnde Blick des Kirchen-
vaters ins Unendliche, die erhobene Hand mit der Feder, be-
zeichnet die Inspiration, den Augenblick, wo ein göttlicher Gedanke
auf die Schwelle des Bewusstseins tritt. Um ihn, oder vielmehr
neben und unter ihm sitzen aufhorchende Nachschreiber, keine
geringeren als S. Bernhard, Petrus Martyr, und der Grossinquisitor
Diego, Bischof von Osma. Unheimliche Gestalten in ihren zuge-
spitzten Kapuzen, winkenden weissen Mitren, vor uns aufsteigend
wie die Könige in der Höhle zu Forres. Es ist als sei der Moder
und die Spinneweben der Unterwelt an ihnen hängen geblieben.
Es ist der Fiebertraum eines Gefangenen des heil. Uffiz, der, vor
einer Schaar Richter und Schreiber, im siedenden Gehirn auf
und abtanzend, seine abgefolterten Geständnisse als verdam-
mende Anklage aufs Papier fliessen sieht.
Im Greisenalter, als Siebziger (1647) hat er noch seine vier
umfangreichsten Gemälde, einst im Salon des erzbischöflichen
Palastes, auf die Leinwand geworfen: das Mannah, das Wasser
aus dem Felsen, die Hochzeit zu Cana und das Wunder der
Brote und Fische. Man sieht, nur das Colossale, Volksmengen,
vermochte seine alternde, aber noch immer gewaltige Hand in
Bewegung zu setzen. Das vierte dieser Bilder war einmal im
Treppenhaus der Academie von Madrid aufgetaucht. Unter
einer mächtigen schattenden Eiche sitzt der Heiland, die grossen
glänzenden Augen gen Himmel gerichtet, mit sakramentaler
Feierlichkeit segnend, neben ihm aufgereiht die Jünger. In der
flachen Thalmulde des Mittelgrundes hatte er mit Glück die Fünf-
tausend anzudeuten gewusst. Zuletzt trieb es ihn noch nach
Madrid, wo er 1656 starb. —
Herrera ist nicht der „Erfinder eines neuen Stils“, denn sein
wahrer, echter Stil ist nur die Sprache des Roelas, gesprochen
von einem Künstler grundverschiedenen Naturells. Auch hat er
nicht der Sevillaner Schule zur Freiheit verholfen, die man in
den Arbeiten des Roelas nicht vermisst. Wir finden sogar in
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/82>, abgerufen am 25.11.2024.
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