hat. An die rasche Anfüllung grosser Wandflächen gewöhnt, machte ihn das umständlichere Verfahren der Leinwand ungedul- dig. Er stellte Versuche an mit einem einfachern System. Zuerst scheint er auf ein Chiaroscuro in der Art des Caravaggio gekom- men zu sein, vielleicht ohne dessen Gemälde gesehen zu haben; jedenfalls war er der erste, der dort die unvermittelten Schatten- massen der italienischen Naturalisten angewandt hat. Beweis ist ein grosses Bild der Galerie Lopez Cepero1), auch ein Pfing- sten, das er, als habe er geglaubt, dass man ihn darin nicht wiederkennen würde, ausnahmsweise unterzeichnet und datirt hat.
Der Apostelverein ist hier in den Hintergrund verlegt; aber ganz vorn sieht man eine aufgeregte Gruppe von sieben gewal- tigen Männern, in starken Contraposten verschlungen; wie es scheint, die Festfremden, welche den Eindruck der Zungenredner in mächtigen Geberden beurkunden. Dabei ein überaus einfach- grosser Wurf der Gewänder, breite Flächen tiefer, doch noch farbiger Schatten mit kurzen rauchigen Grenzen, ohne Mitteltöne, auf ganz hellem Grund. Dies Stück mag den jungen Leuten mehr zu schaffen gemacht haben, als alles was er sonst gemalt hat.
Auch der herkömmliche Kreis der Gegenstände wurde ihm zu eng.
Man wusste aus Palomino, dass Herrera zuerst Sittenbilder (bodegoncillos, Buden- oder Küchenstücke) gemalt habe, ein Ge- schmack der wol mit einem Hang zum Tavernen- und Zigeuner- leben zusammenhing. Solche profane Sachen sind in Spanien meist nicht mehr zu finden, sie sind unter der Legion der Ignoti verschwunden. Doch ist die Art des Herrera so auffallend, dass es möglich war, ein merkwürdiges Stück dieser Art wiederzu- erkennen; es ist der blinde Musikant in der Gräflich Czernin'schen Galerie zu Wien (Nr. 64). Es sind Halbfiguren: der Greis spielt eine Bauernleier (lira rustica, Vielle) wie man sie heute noch bei Savoyarden findet; sein jugendlicher Führer hält den Schlapp- hut den Vorübergehenden hin, deren Bewegungen der schwarz- haarige Dickkopf mit halb kläglichem, halb lauerndem Blick seiner braunen Glotzaugen verfolgt. Es ist ganz mit seinem teigigen Pinsel, und in den Gesichtern und Händen mit vielen unverschmol- zenen und schmutzigen Tinten, aber fester Hand gemalt, und kann sich, so verschieden die Technik, neben jedem Niederländer sehen
1)
[Abbildung]
Catalogo, Sevilla 1860 Nr. 545 7' 5" x 9' 4".
Erstes Buch.
hat. An die rasche Anfüllung grosser Wandflächen gewöhnt, machte ihn das umständlichere Verfahren der Leinwand ungedul- dig. Er stellte Versuche an mit einem einfachern System. Zuerst scheint er auf ein Chiaroscuro in der Art des Caravaggio gekom- men zu sein, vielleicht ohne dessen Gemälde gesehen zu haben; jedenfalls war er der erste, der dort die unvermittelten Schatten- massen der italienischen Naturalisten angewandt hat. Beweis ist ein grosses Bild der Galerie Lopez Cepero1), auch ein Pfing- sten, das er, als habe er geglaubt, dass man ihn darin nicht wiederkennen würde, ausnahmsweise unterzeichnet und datirt hat.
Der Apostelverein ist hier in den Hintergrund verlegt; aber ganz vorn sieht man eine aufgeregte Gruppe von sieben gewal- tigen Männern, in starken Contraposten verschlungen; wie es scheint, die Festfremden, welche den Eindruck der Zungenredner in mächtigen Geberden beurkunden. Dabei ein überaus einfach- grosser Wurf der Gewänder, breite Flächen tiefer, doch noch farbiger Schatten mit kurzen rauchigen Grenzen, ohne Mitteltöne, auf ganz hellem Grund. Dies Stück mag den jungen Leuten mehr zu schaffen gemacht haben, als alles was er sonst gemalt hat.
Auch der herkömmliche Kreis der Gegenstände wurde ihm zu eng.
Man wusste aus Palomino, dass Herrera zuerst Sittenbilder (bodegoncillos, Buden- oder Küchenstücke) gemalt habe, ein Ge- schmack der wol mit einem Hang zum Tavernen- und Zigeuner- leben zusammenhing. Solche profane Sachen sind in Spanien meist nicht mehr zu finden, sie sind unter der Legion der Ignoti verschwunden. Doch ist die Art des Herrera so auffallend, dass es möglich war, ein merkwürdiges Stück dieser Art wiederzu- erkennen; es ist der blinde Musikant in der Gräflich Czernin’schen Galerie zu Wien (Nr. 64). Es sind Halbfiguren: der Greis spielt eine Bauernleier (lira rustica, Vielle) wie man sie heute noch bei Savoyarden findet; sein jugendlicher Führer hält den Schlapp- hut den Vorübergehenden hin, deren Bewegungen der schwarz- haarige Dickkopf mit halb kläglichem, halb lauerndem Blick seiner braunen Glotzaugen verfolgt. Es ist ganz mit seinem teigigen Pinsel, und in den Gesichtern und Händen mit vielen unverschmol- zenen und schmutzigen Tinten, aber fester Hand gemalt, und kann sich, so verschieden die Technik, neben jedem Niederländer sehen
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Erstes Buch.
hat. An die rasche Anfüllung grosser Wandflächen gewöhnt,
machte ihn das umständlichere Verfahren der Leinwand ungedul-
dig. Er stellte Versuche an mit einem einfachern System. Zuerst
scheint er auf ein Chiaroscuro in der Art des Caravaggio gekom-
men zu sein, vielleicht ohne dessen Gemälde gesehen zu haben;
jedenfalls war er der erste, der dort die unvermittelten Schatten-
massen der italienischen Naturalisten angewandt hat. Beweis
ist ein grosses Bild der Galerie Lopez Cepero 1), auch ein Pfing-
sten, das er, als habe er geglaubt, dass man ihn darin nicht
wiederkennen würde, ausnahmsweise unterzeichnet und datirt hat.
Der Apostelverein ist hier in den Hintergrund verlegt; aber
ganz vorn sieht man eine aufgeregte Gruppe von sieben gewal-
tigen Männern, in starken Contraposten verschlungen; wie es
scheint, die Festfremden, welche den Eindruck der Zungenredner
in mächtigen Geberden beurkunden. Dabei ein überaus einfach-
grosser Wurf der Gewänder, breite Flächen tiefer, doch noch
farbiger Schatten mit kurzen rauchigen Grenzen, ohne Mitteltöne,
auf ganz hellem Grund. Dies Stück mag den jungen Leuten mehr
zu schaffen gemacht haben, als alles was er sonst gemalt hat.
Auch der herkömmliche Kreis der Gegenstände wurde ihm
zu eng.
Man wusste aus Palomino, dass Herrera zuerst Sittenbilder
(bodegoncillos, Buden- oder Küchenstücke) gemalt habe, ein Ge-
schmack der wol mit einem Hang zum Tavernen- und Zigeuner-
leben zusammenhing. Solche profane Sachen sind in Spanien
meist nicht mehr zu finden, sie sind unter der Legion der Ignoti
verschwunden. Doch ist die Art des Herrera so auffallend, dass
es möglich war, ein merkwürdiges Stück dieser Art wiederzu-
erkennen; es ist der blinde Musikant in der Gräflich Czernin’schen
Galerie zu Wien (Nr. 64). Es sind Halbfiguren: der Greis spielt
eine Bauernleier (lira rustica, Vielle) wie man sie heute noch
bei Savoyarden findet; sein jugendlicher Führer hält den Schlapp-
hut den Vorübergehenden hin, deren Bewegungen der schwarz-
haarige Dickkopf mit halb kläglichem, halb lauerndem Blick seiner
braunen Glotzaugen verfolgt. Es ist ganz mit seinem teigigen
Pinsel, und in den Gesichtern und Händen mit vielen unverschmol-
zenen und schmutzigen Tinten, aber fester Hand gemalt, und kann
sich, so verschieden die Technik, neben jedem Niederländer sehen
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Catálogo, Sevilla 1860 Nr. 545 7' 5″ × 9' 4″.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/80>, abgerufen am 17.06.2024.
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