schicklichkeit in der Kunst des Graveurs missbrauchte er zur Falschmünzerei, und entzog sich der Justiz im Asyl des Jesuiten- kollegs S. Hermenegildo, dessen Altarbild er malte. Als nun der junge König Philipp IV die Kirche im Jahre 1624 besuchte, nach dessen Maler fragte und die traurige Geschichte erfuhr, da sagte er: "Darin bin ich Richter und Partei", und liess sich den Flüchtling kommen. "Wer eine so grosse Geschicklichkeit besitzt, erklärte er, der sollte sie nicht missbrauchen; -- wozu hat der Gold und Silber nöthig? Geht, Ihr seid frei, nur hütet Euch vor Rückfall."
Solche Urtheile müssen gespannt machen auf die Arbeiten dieses Faustmalers, und wir wenden uns zu der, welche uns als die "allseitigste Schöpfung" (produccion mas completa) gerühmt wird, dem grossen Jüngsten Gericht in der Pfarrkirche von S. Ber- nardo. In einer Scene dieser Art musste er ja ganz in seinem Element sei. Aber wir finden uns enttäuscht, wenn auch nicht zu seinem Nachtheile.
Die Hauptgruppe ist hier der himmliche Senat, ein grosser Halbkreis nach Art der Disputa, mit dem Richter in der Mitte. Aber dieser erhebt die Rechte segnend, nach den Erlösten hin, die Linke legt sich um das Kreuz, nichts ist da von jenem Zorne des Bonarroti, der (wie Pacheco sagt) alles vernichten und ver- zehren zu wollen scheint. Es ist der sanfte Menschensohn der Theologie Raphaels, auch mit der seitlichen Neigung des Hauptes. In dem himmlischen Hof erkennt man sofort jene Pfingstversamm- lung des Roelas wider, nur sind die Schatten dunkler, die Blicke gespannter, die Typen mannichfaltiger, zuweilen trivial, aber nie gemein, stets kraftvoll, treuherzig. Charakterköpfe sind darunter, einige sogar im damaligen Haar- und Bartschnitt. Und dann ein persönlicher Zug geht durch alle: der tiefe, das ganze Bewusst- sein erfüllende Ernst des Augenblicks, alle hängen mit Augen und Geist an dem Weltrichter, die Stille dieser furchtbaren Mi- nute gleichsam sichtbar machend.
Dagegen ist der untere Theil in abgekürzter Form abge- funden; links eine Gruppe von armen Sündern und Teufeln; rechts die Auferstandenen, dichtgedrängt harrend, wie Soldaten beim Appell. Davor steht der grosse, ritterliche, etwas prosaische S. Michael, das schneidige Schwert erhoben; er ist die in die Augen springendste Figur dieses Theils, das übrige zurückschie- bend . . . . Wo ist nun etwas vom Improvisator? Cean Ber- mudez lobt "die Kunst der Composition, die Contraste der Fi-
Erstes Buch.
schicklichkeit in der Kunst des Graveurs missbrauchte er zur Falschmünzerei, und entzog sich der Justiz im Asyl des Jesuiten- kollegs S. Hermenegildo, dessen Altarbild er malte. Als nun der junge König Philipp IV die Kirche im Jahre 1624 besuchte, nach dessen Maler fragte und die traurige Geschichte erfuhr, da sagte er: „Darin bin ich Richter und Partei“, und liess sich den Flüchtling kommen. „Wer eine so grosse Geschicklichkeit besitzt, erklärte er, der sollte sie nicht missbrauchen; — wozu hat der Gold und Silber nöthig? Geht, Ihr seid frei, nur hütet Euch vor Rückfall.“
Solche Urtheile müssen gespannt machen auf die Arbeiten dieses Faustmalers, und wir wenden uns zu der, welche uns als die „allseitigste Schöpfung“ (produccion mas completa) gerühmt wird, dem grossen Jüngsten Gericht in der Pfarrkirche von S. Ber- nardo. In einer Scene dieser Art musste er ja ganz in seinem Element sei. Aber wir finden uns enttäuscht, wenn auch nicht zu seinem Nachtheile.
Die Hauptgruppe ist hier der himmliche Senat, ein grosser Halbkreis nach Art der Disputa, mit dem Richter in der Mitte. Aber dieser erhebt die Rechte segnend, nach den Erlösten hin, die Linke legt sich um das Kreuz, nichts ist da von jenem Zorne des Bonarroti, der (wie Pacheco sagt) alles vernichten und ver- zehren zu wollen scheint. Es ist der sanfte Menschensohn der Theologie Raphaels, auch mit der seitlichen Neigung des Hauptes. In dem himmlischen Hof erkennt man sofort jene Pfingstversamm- lung des Roelas wider, nur sind die Schatten dunkler, die Blicke gespannter, die Typen mannichfaltiger, zuweilen trivial, aber nie gemein, stets kraftvoll, treuherzig. Charakterköpfe sind darunter, einige sogar im damaligen Haar- und Bartschnitt. Und dann ein persönlicher Zug geht durch alle: der tiefe, das ganze Bewusst- sein erfüllende Ernst des Augenblicks, alle hängen mit Augen und Geist an dem Weltrichter, die Stille dieser furchtbaren Mi- nute gleichsam sichtbar machend.
Dagegen ist der untere Theil in abgekürzter Form abge- funden; links eine Gruppe von armen Sündern und Teufeln; rechts die Auferstandenen, dichtgedrängt harrend, wie Soldaten beim Appell. Davor steht der grosse, ritterliche, etwas prosaische S. Michael, das schneidige Schwert erhoben; er ist die in die Augen springendste Figur dieses Theils, das übrige zurückschie- bend . . . . Wo ist nun etwas vom Improvisator? Cean Ber- mudez lobt „die Kunst der Composition, die Contraste der Fi-
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Erstes Buch.
schicklichkeit in der Kunst des Graveurs missbrauchte er zur
Falschmünzerei, und entzog sich der Justiz im Asyl des Jesuiten-
kollegs S. Hermenegildo, dessen Altarbild er malte. Als nun der
junge König Philipp IV die Kirche im Jahre 1624 besuchte,
nach dessen Maler fragte und die traurige Geschichte erfuhr,
da sagte er: „Darin bin ich Richter und Partei“, und liess sich
den Flüchtling kommen. „Wer eine so grosse Geschicklichkeit
besitzt, erklärte er, der sollte sie nicht missbrauchen; — wozu
hat der Gold und Silber nöthig? Geht, Ihr seid frei, nur hütet
Euch vor Rückfall.“
Solche Urtheile müssen gespannt machen auf die Arbeiten
dieses Faustmalers, und wir wenden uns zu der, welche uns
als die „allseitigste Schöpfung“ (produccion mas completa) gerühmt
wird, dem grossen Jüngsten Gericht in der Pfarrkirche von S. Ber-
nardo. In einer Scene dieser Art musste er ja ganz in seinem
Element sei. Aber wir finden uns enttäuscht, wenn auch nicht
zu seinem Nachtheile.
Die Hauptgruppe ist hier der himmliche Senat, ein grosser
Halbkreis nach Art der Disputa, mit dem Richter in der Mitte.
Aber dieser erhebt die Rechte segnend, nach den Erlösten hin,
die Linke legt sich um das Kreuz, nichts ist da von jenem Zorne
des Bonarroti, der (wie Pacheco sagt) alles vernichten und ver-
zehren zu wollen scheint. Es ist der sanfte Menschensohn der
Theologie Raphaels, auch mit der seitlichen Neigung des Hauptes.
In dem himmlischen Hof erkennt man sofort jene Pfingstversamm-
lung des Roelas wider, nur sind die Schatten dunkler, die Blicke
gespannter, die Typen mannichfaltiger, zuweilen trivial, aber nie
gemein, stets kraftvoll, treuherzig. Charakterköpfe sind darunter,
einige sogar im damaligen Haar- und Bartschnitt. Und dann ein
persönlicher Zug geht durch alle: der tiefe, das ganze Bewusst-
sein erfüllende Ernst des Augenblicks, alle hängen mit Augen
und Geist an dem Weltrichter, die Stille dieser furchtbaren Mi-
nute gleichsam sichtbar machend.
Dagegen ist der untere Theil in abgekürzter Form abge-
funden; links eine Gruppe von armen Sündern und Teufeln;
rechts die Auferstandenen, dichtgedrängt harrend, wie Soldaten
beim Appell. Davor steht der grosse, ritterliche, etwas prosaische
S. Michael, das schneidige Schwert erhoben; er ist die in die
Augen springendste Figur dieses Theils, das übrige zurückschie-
bend . . . . Wo ist nun etwas vom Improvisator? Cean Ber-
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/78>, abgerufen am 17.06.2024.
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