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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Manieristen.
zu bleiben; und Murillo, todkrank, liess sich in das benachbarte
Kirchlein tragen, "er wolle warten bis die heiligen Männer den
Erlöser herabgesenkt hätten". Die kleinere Redaction der Compo-
sition in San Lucar de Barrameda gibt uns die rein niederländische
Version. de Kempeneer hatte in vierundzwanzig Jahren auch für
andere Städte Andalusiens Retablos gemalt: ausser in Carmona,
in S. Jago zu Ecija, und in der Moschee des Abderrahman: in
der Capelle der Asuncion und in der Taufkapelle1).

Nach der Ansicht der dortigen Kunstrichter war jedoch an
Campanna und den übrigen seiner Nation noch immer etwas von
dem trockenen flandrischen Wesen haften geblieben; ihnen fehlte
die "gute Manier", d. h. die freien, grossen, bewegten Umrisse
der "römisch-florentischen Schule". Diese entspricht der Eleganz
im Schreiben, ihre Quelle ist Raphael mit seiner göttlichen Ein-
falt und unvergleichlichen Majestät; aber er hat sie gelernt von
Bonarroti, dem "Vater der Malerei", der im Nackten über-
menschlich war.

Diese buena manera hat Luis de Vargas aus Italien mitge-
bracht. Er war das "Licht der Malerei", ihr Jakob -- wegen
seiner langen Wanderungen in der Fremde, "seiner schönen Ra-
hel zu Liebe". Er war in Rom eingezogen am 6. Mai 1526, mit
den Horden des Connetable von Bourbon: Graecia capta! "Sein
grösstes Geschenk an Sevilla war die Freskomalerei", ein Ge-
schenk, das freilich nicht auf den zweiten Erben kam. Leider
sind seine Wandgemälde fast alle sogut wie untergegangen: von
den kolossalen Figuren an der Giralda, die damals "wegen Gross-
heit der Zeichnung und Noblesse" für die vornehmste Zierde der
Stadt galten, sieht man nur noch Spuren. Sein "Jüngstes Gericht"
in der Casa de Misericordia zeigt, dass er seine Kräfte über-
schätzt hatte, dieses gleichgültige Machwerk ist kaum ähnli-
chen Versuchen der frühsten niederländischen Romanisten zu
vergleichen.

Seine Hirten in der Kathedrale, wo er sich noch als An-
fänger bezeichnet (Tunc discebam 1555) sind doch, weil noch aus
frischer Erinnerung Roms gemalt, das Bild, wo er am freisten
ist von Manier und reich an wirklich schönen und edlen Köpfen.

1) Vor seiner Reise, in Brüssel scheint die kleine Kreuzigung gemalt zu sein,
welche Hugo Toman in Prag besitzt, das einzige mit seinem vlämischen Namen
bezeichnete Werk, PETRVS KEMPENER. Sie ist von miniaturartiger Feinheit,
ergreifender Stimmung und ohne alle Manier in der Zeichnung. -- Zu dem Chri-
stus eine Zeichnung in Gijon.

Die Manieristen.
zu bleiben; und Murillo, todkrank, liess sich in das benachbarte
Kirchlein tragen, „er wolle warten bis die heiligen Männer den
Erlöser herabgesenkt hätten“. Die kleinere Redaction der Compo-
sition in San Lucar de Barrameda gibt uns die rein niederländische
Version. de Kempeneer hatte in vierundzwanzig Jahren auch für
andere Städte Andalusiens Retablos gemalt: ausser in Carmona,
in S. Jago zu Ecija, und in der Moschee des Abderrahman: in
der Capelle der Asuncion und in der Taufkapelle1).

Nach der Ansicht der dortigen Kunstrichter war jedoch an
Campaña und den übrigen seiner Nation noch immer etwas von
dem trockenen flandrischen Wesen haften geblieben; ihnen fehlte
die „gute Manier“, d. h. die freien, grossen, bewegten Umrisse
der „römisch-florentischen Schule“. Diese entspricht der Eleganz
im Schreiben, ihre Quelle ist Raphael mit seiner göttlichen Ein-
falt und unvergleichlichen Majestät; aber er hat sie gelernt von
Bonarroti, dem „Vater der Malerei“, der im Nackten über-
menschlich war.

Diese buena manera hat Luis de Vargas aus Italien mitge-
bracht. Er war das „Licht der Malerei“, ihr Jakob — wegen
seiner langen Wanderungen in der Fremde, „seiner schönen Ra-
hel zu Liebe“. Er war in Rom eingezogen am 6. Mai 1526, mit
den Horden des Connetable von Bourbon: Graecia capta! „Sein
grösstes Geschenk an Sevilla war die Freskomalerei“, ein Ge-
schenk, das freilich nicht auf den zweiten Erben kam. Leider
sind seine Wandgemälde fast alle sogut wie untergegangen: von
den kolossalen Figuren an der Giralda, die damals „wegen Gross-
heit der Zeichnung und Noblesse“ für die vornehmste Zierde der
Stadt galten, sieht man nur noch Spuren. Sein „Jüngstes Gericht“
in der Casa de Misericordia zeigt, dass er seine Kräfte über-
schätzt hatte, dieses gleichgültige Machwerk ist kaum ähnli-
chen Versuchen der frühsten niederländischen Romanisten zu
vergleichen.

Seine Hirten in der Kathedrale, wo er sich noch als An-
fänger bezeichnet (Tunc discebam 1555) sind doch, weil noch aus
frischer Erinnerung Roms gemalt, das Bild, wo er am freisten
ist von Manier und reich an wirklich schönen und edlen Köpfen.

1) Vor seiner Reise, in Brüssel scheint die kleine Kreuzigung gemalt zu sein,
welche Hugo Toman in Prag besitzt, das einzige mit seinem vlämischen Namen
bezeichnete Werk, PETRVS KEMPENER. Sie ist von miniaturartiger Feinheit,
ergreifender Stimmung und ohne alle Manier in der Zeichnung. — Zu dem Chri-
stus eine Zeichnung in Gijon.
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[47/0067] Die Manieristen. zu bleiben; und Murillo, todkrank, liess sich in das benachbarte Kirchlein tragen, „er wolle warten bis die heiligen Männer den Erlöser herabgesenkt hätten“. Die kleinere Redaction der Compo- sition in San Lucar de Barrameda gibt uns die rein niederländische Version. de Kempeneer hatte in vierundzwanzig Jahren auch für andere Städte Andalusiens Retablos gemalt: ausser in Carmona, in S. Jago zu Ecija, und in der Moschee des Abderrahman: in der Capelle der Asuncion und in der Taufkapelle 1). Nach der Ansicht der dortigen Kunstrichter war jedoch an Campaña und den übrigen seiner Nation noch immer etwas von dem trockenen flandrischen Wesen haften geblieben; ihnen fehlte die „gute Manier“, d. h. die freien, grossen, bewegten Umrisse der „römisch-florentischen Schule“. Diese entspricht der Eleganz im Schreiben, ihre Quelle ist Raphael mit seiner göttlichen Ein- falt und unvergleichlichen Majestät; aber er hat sie gelernt von Bonarroti, dem „Vater der Malerei“, der im Nackten über- menschlich war. Diese buena manera hat Luis de Vargas aus Italien mitge- bracht. Er war das „Licht der Malerei“, ihr Jakob — wegen seiner langen Wanderungen in der Fremde, „seiner schönen Ra- hel zu Liebe“. Er war in Rom eingezogen am 6. Mai 1526, mit den Horden des Connetable von Bourbon: Graecia capta! „Sein grösstes Geschenk an Sevilla war die Freskomalerei“, ein Ge- schenk, das freilich nicht auf den zweiten Erben kam. Leider sind seine Wandgemälde fast alle sogut wie untergegangen: von den kolossalen Figuren an der Giralda, die damals „wegen Gross- heit der Zeichnung und Noblesse“ für die vornehmste Zierde der Stadt galten, sieht man nur noch Spuren. Sein „Jüngstes Gericht“ in der Casa de Misericordia zeigt, dass er seine Kräfte über- schätzt hatte, dieses gleichgültige Machwerk ist kaum ähnli- chen Versuchen der frühsten niederländischen Romanisten zu vergleichen. Seine Hirten in der Kathedrale, wo er sich noch als An- fänger bezeichnet (Tunc discebam 1555) sind doch, weil noch aus frischer Erinnerung Roms gemalt, das Bild, wo er am freisten ist von Manier und reich an wirklich schönen und edlen Köpfen. 1) Vor seiner Reise, in Brüssel scheint die kleine Kreuzigung gemalt zu sein, welche Hugo Toman in Prag besitzt, das einzige mit seinem vlämischen Namen bezeichnete Werk, PETRVS KEMPENER. Sie ist von miniaturartiger Feinheit, ergreifender Stimmung und ohne alle Manier in der Zeichnung. — Zu dem Chri- stus eine Zeichnung in Gijon.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/67>, abgerufen am 24.11.2024.