verpflanzten zwar ihre herrliche Sprache, sogar, sagt man, mit asturischem Accent, nach Andalusien, aber die eigenen Kunst- übungen, die sie mitbrachten, kommen kaum in Betracht. Nur selten will es uns vorkommen, als ob auch schon vor dem Jahr- hundert Murillo's hier weichere Linien Antlitz, Gestalt und Bewe- gung umflössen, als entzündeten sich hier wärmere Farben, und als ob morgenländische Phantasie nicht mit den Mauren das Meer überschritten habe.
Die grosse Bauzeit der arabischen Gebieter fällt kaum ein halbes Jahrhundert vor deren Sturz, und die christliche Kunst lebte die anderthalb Jahrhunderte nach der Eroberung durch Ferdi- nand den Heiligen (1248) im Schatten der Exmoschee (seit 1171 erbaut) und ihres Minarets (1184--96). Die Kirche bezog die grosse und die zahlreichen kleinen Moscheen, man baute fort im nunmehr christlich-maurischen (mudejar) Stil. Die Könige von Kastilien richteten sich ein in dem prachtvoll aber ohne Wechsel im Stil um- gebauten maurischen Königsschloss. S. Ana in der Triana, eine Gründung Alfons X, ist der einzige namhafte Bau nordischen Cha- rakters. Das abendländisch christliche Gepräge gewann man durch Einsetzung einiger mageren Elemente der Gothik in die Moschee. Da den bildenden Künsten in der muhammedanischen Ueberliefe- rung kaum ein Platz vergönnt war, so begreift sich das äusserst provincielle, halbbarbarische Niveau des bildnerischen Schmuckes.
Von der Malerei dieser Zeit geben eine dunkle Spur die grossen Wandbilder der Madonna. Die Antigua der Kathedrale soll schon das Cultusbild der verchristlichten Moschee gewesen sein; aber sie, wie die Virgen del Coral in S. Ildefonso und die von Rocamador in S. Lorenzo verläugnen trotz der Uebermalungen nicht ihre Herkunft von der gothischen Malerei des vierzehnten Jahrhunderts. Diese seltenen Denkmäler haben übrigens zahlreiche Parallelen in grossen Statuen, die für die Kirchen dieses Stils wahrscheinlich von den Bauhütten selbst besorgt wurden. In Sevilla selbst gibt es zwei Madonnenstatuen, die Virgen de las batallas von Elfenbein, und die Virgen de la vega, die auf den heiligen Eroberer zurückreichen. Diesem Stil gehört auch das Re- liquiarium Alphons X an, die Tablas alfonsinas. Das erste Grab- denkmal von wirklichem Bildniss- und Kunstwerth verdankt die Cathedrale einem Nordfranzosen; es ist der Erzbischof Cervantes (+ 1457) von Lorenzo Mercadante de Bretanna.
Da erfolgte im Jahre 1401 der kühnsten Beschlüsse einer, die je ein mittelalterliches Domkapitel gefasst hat: der Neubau
Erstes Buch.
verpflanzten zwar ihre herrliche Sprache, sogar, sagt man, mit asturischem Accent, nach Andalusien, aber die eigenen Kunst- übungen, die sie mitbrachten, kommen kaum in Betracht. Nur selten will es uns vorkommen, als ob auch schon vor dem Jahr- hundert Murillo’s hier weichere Linien Antlitz, Gestalt und Bewe- gung umflössen, als entzündeten sich hier wärmere Farben, und als ob morgenländische Phantasie nicht mit den Mauren das Meer überschritten habe.
Die grosse Bauzeit der arabischen Gebieter fällt kaum ein halbes Jahrhundert vor deren Sturz, und die christliche Kunst lebte die anderthalb Jahrhunderte nach der Eroberung durch Ferdi- nand den Heiligen (1248) im Schatten der Exmoschee (seit 1171 erbaut) und ihres Minarets (1184—96). Die Kirche bezog die grosse und die zahlreichen kleinen Moscheen, man baute fort im nunmehr christlich-maurischen (mudejar) Stil. Die Könige von Kastilien richteten sich ein in dem prachtvoll aber ohne Wechsel im Stil um- gebauten maurischen Königsschloss. S. Ana in der Triana, eine Gründung Alfons X, ist der einzige namhafte Bau nordischen Cha- rakters. Das abendländisch christliche Gepräge gewann man durch Einsetzung einiger mageren Elemente der Gothik in die Moschee. Da den bildenden Künsten in der muhammedanischen Ueberliefe- rung kaum ein Platz vergönnt war, so begreift sich das äusserst provincielle, halbbarbarische Niveau des bildnerischen Schmuckes.
Von der Malerei dieser Zeit geben eine dunkle Spur die grossen Wandbilder der Madonna. Die Antigua der Kathedrale soll schon das Cultusbild der verchristlichten Moschee gewesen sein; aber sie, wie die Virgen del Coral in S. Ildefonso und die von Rocamador in S. Lorenzo verläugnen trotz der Uebermalungen nicht ihre Herkunft von der gothischen Malerei des vierzehnten Jahrhunderts. Diese seltenen Denkmäler haben übrigens zahlreiche Parallelen in grossen Statuen, die für die Kirchen dieses Stils wahrscheinlich von den Bauhütten selbst besorgt wurden. In Sevilla selbst gibt es zwei Madonnenstatuen, die Virgen de las batallas von Elfenbein, und die Virgen de la vega, die auf den heiligen Eroberer zurückreichen. Diesem Stil gehört auch das Re- liquiarium Alphons X an, die Tablas alfonsinas. Das erste Grab- denkmal von wirklichem Bildniss- und Kunstwerth verdankt die Cathedrale einem Nordfranzosen; es ist der Erzbischof Cervantes († 1457) von Lorenzo Mercadante de Bretaña.
Da erfolgte im Jahre 1401 der kühnsten Beschlüsse einer, die je ein mittelalterliches Domkapitel gefasst hat: der Neubau
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Erstes Buch.
verpflanzten zwar ihre herrliche Sprache, sogar, sagt man, mit
asturischem Accent, nach Andalusien, aber die eigenen Kunst-
übungen, die sie mitbrachten, kommen kaum in Betracht. Nur
selten will es uns vorkommen, als ob auch schon vor dem Jahr-
hundert Murillo’s hier weichere Linien Antlitz, Gestalt und Bewe-
gung umflössen, als entzündeten sich hier wärmere Farben, und
als ob morgenländische Phantasie nicht mit den Mauren das
Meer überschritten habe.
Die grosse Bauzeit der arabischen Gebieter fällt kaum ein
halbes Jahrhundert vor deren Sturz, und die christliche Kunst
lebte die anderthalb Jahrhunderte nach der Eroberung durch Ferdi-
nand den Heiligen (1248) im Schatten der Exmoschee (seit 1171
erbaut) und ihres Minarets (1184—96). Die Kirche bezog die grosse
und die zahlreichen kleinen Moscheen, man baute fort im nunmehr
christlich-maurischen (mudejar) Stil. Die Könige von Kastilien
richteten sich ein in dem prachtvoll aber ohne Wechsel im Stil um-
gebauten maurischen Königsschloss. S. Ana in der Triana, eine
Gründung Alfons X, ist der einzige namhafte Bau nordischen Cha-
rakters. Das abendländisch christliche Gepräge gewann man durch
Einsetzung einiger mageren Elemente der Gothik in die Moschee.
Da den bildenden Künsten in der muhammedanischen Ueberliefe-
rung kaum ein Platz vergönnt war, so begreift sich das äusserst
provincielle, halbbarbarische Niveau des bildnerischen Schmuckes.
Von der Malerei dieser Zeit geben eine dunkle Spur die
grossen Wandbilder der Madonna. Die Antigua der Kathedrale
soll schon das Cultusbild der verchristlichten Moschee gewesen
sein; aber sie, wie die Virgen del Coral in S. Ildefonso und die
von Rocamador in S. Lorenzo verläugnen trotz der Uebermalungen
nicht ihre Herkunft von der gothischen Malerei des vierzehnten
Jahrhunderts. Diese seltenen Denkmäler haben übrigens zahlreiche
Parallelen in grossen Statuen, die für die Kirchen dieses Stils
wahrscheinlich von den Bauhütten selbst besorgt wurden. In
Sevilla selbst gibt es zwei Madonnenstatuen, die Virgen de las
batallas von Elfenbein, und die Virgen de la vega, die auf den
heiligen Eroberer zurückreichen. Diesem Stil gehört auch das Re-
liquiarium Alphons X an, die Tablas alfonsinas. Das erste Grab-
denkmal von wirklichem Bildniss- und Kunstwerth verdankt die
Cathedrale einem Nordfranzosen; es ist der Erzbischof Cervantes
(† 1457) von Lorenzo Mercadante de Bretaña.
Da erfolgte im Jahre 1401 der kühnsten Beschlüsse einer,
die je ein mittelalterliches Domkapitel gefasst hat: der Neubau
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/56>, abgerufen am 17.06.2024.
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